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Shakespeares Theater

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Shakespeare ideal gespielt: das ist ein Vorgang an sich, ein Schauspiel, das keiner Zuschauer mehr bedarf. Die Bühne ist zum Leben, die Bretter sind zur Welt geworden, und die Schauspieler spielen unabhängig von uns, nur für sich selbst und einer für den andern. Sie feiern ein Fest, sie spielen Federball und sie tanzen, oder sie sind die ergebenen Diener einer alten Zeremonie. ..

So wollen wir Shakespeare gespielt sehen. So erwarteten wir es auch vom Shakespeare Memorial Theatre aus Stratford-upon-Avon, das einige Tage nach dem Piccolo Teatro di Milano im Burgtheater gastierte. Wer das italienische Ensemble gesehen hat, der wird freilich die Engländer ein wenig steif gefunden und sich nach der Lebendigkeit der Südländer gesehnt haben. Gerade „Viel Lärm um nichts“, das erste der beiden Stücke, die wir im Burgtheater sahen, hätte diese Lebendigkeit gebraucht, ist es doch in Messina angesiedelt und fordert für die Hauptfiguren Benedick und Beatrice blutvolles Temperament. Vielleicht ist es der in England beheimateten Sitte des Untertreibens, des Understatements zuzuschreiben, das man uns dieses Temperament — mit Ausnahme einiger Szenen, die packen und mitreißen und zum Mitspielen aufzufordern scheinen — im großen und ganzen schuldig geblieben ist. Immerhin wurde noch genug geboten: Sir lohn Gielgud als Benedick war ein sympathischer Sprecher großer Dichtung — ein deklamatorischer Schauspieler von Rang — und Peggy Ashcroft eine gescheite und hochmütige Beatrice. Nein, die beiden wollen sich absolut nicht heiraten, aber Shakespeare weiß, daß man die Liebe ebenso aus-, wie man sie einreden kann. Vielleicht ist Komödienschreiben überhaupt das Letzte und Höchste, was einem Dichter zu tun bleibt: die Welt zu sehen, wie sie ist, tief und traurig und wehmütig, und dann nicht böse zu sein, sondern sie zu verwandeln in ein leichtes, gelöstes Gebilde, das voller Weltbezug ist und doch in seinen Gefühlen schon darüber hinaus und der Schwermut entwachsen ... Sir John Gielgud, der auch Regie führte, hatte die Inszenierung ganz auf das Wort abgestellt: es brachte die konventionellen Kulissen zum Blühen, es erweckte das Ensemble zum Leben, es füllte den Saal mit Welt. . . Und darum, glauben wir, war es trotz allem eine gute Inszenierung, auch wenn ihr jener Schwung und jene letzte Leichtigkeit fehlte, die ein Komödienspiel haben könnte.

„König Lea r“, das ist die Tragik des alten Königs, der sein Reich unter seine drei Töchter aufteilt, deren Liebe er nicht sicher ist; die zwei älteren Schwestern schwören, ihn über alles zu lieben, Cordelia, die jüngste, weiß nur zu sagen, daß sie ihn liebt,' wie es einer Tochter geziemt... Da jagt er Cordelia davon. . . Die Geschichte von König Lear ist eine zeitlose Mythe. Der Charakter des Stückes hat George Devine, den Regisseur, und Isamu Noguchi, den Bühnenbildner, veranlaßt, es vor einer abstrakten Szenerie spielen zu lassen, vor einfachen, sich zuweilen bewegenden großen Flächen, die keine Assoziationen an Dinge der Welt erlauben. Auch Thron und Foltergerät sind abstrakt entworfen, lediglich die Tragbahre ist im Gegensatz dazu surrealistisch gebaut. Einen weiteren Gegensatz bildet der Naturalismus, mit dem „Blut“ etwa in das Gesicht des Earl of Gloucester geschmiert wird. Schrecklich und stillos sind die Kostüme, die alle Personen in Umhänge. Reifen und allerhand Flitterwerk hüllen, die ihnen das Aussehen von Marsmenschen verleihen. Ein Bein braun, das andere grau — was sind das für Mätzchen? Alles, was bei Shakespeare vom Wort ablenkt, ist schlecht. Darum ist es das Bühnenbild, weil es zum vordergründigen Blickfang wird (trotzdem gerade von ihm einige erregende Szenen, so Sturm und Schneetreiben, ihre Wirkung nehmen), darum sind es die Kostüme und Maskierungen. (Ein abstraktes Bühnenbild hätte ent-peisönlichte Darstellung verlangt.) Das ist alles zu schwer und paßt nicht zusammen. Um so mehr Verständnis muß man der Leistung der Schauspieler entgegenbringen, denen es immer wieder gelingt, ihre Reifengewänder zu überspielen. Gielgud als King' Lear, Peggy Ashcroft als Cordelia, Devine als Gloucester und Richard Easton als dessen Sohn haben eindrucksstarke Momente.

Shakespeare ideal gespielt? Vielleicht ist das heute nicht möglich. Das Shakespeare Memorial Theatre bot zwei interessante Interpretationsmöglichkeiten. Schon das herrliche Oxford-Englisch machte die beiden Abende zu einem Erlebnis.

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