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Achtung Kleinbühnen

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Es gibt in Wien nur eine einzige Bühne, die einen völlig eigenen Aufführungsstil erarbeitet hat: „Die Komödianten“ im Theater am Börseplatz. Von ihrem Leiter Conny Hannes Meyer stammt das derzeit ur-aufgeführte szenische Märchen „Die Sache mit Dornröschen“, dessen Wiedergabe eine vollkommene Kongruenz ihrer Spielweise mit dem Stückcharakter erreicht. Dieses Märchen wird zur politischen Parabel. Dornröschen ist da ein Symbol: Gelingt die Befreiung der schlafenden Eingeschlossenen, ersteht die „goldene Zeit“, die Freiheit von allen bedrückenden gesellschaftlichen Zuständen. Die Rosenhecke, an deren Dornen die Eindringlinge verbluten, ist der Widerstand, den das herrschende System jeder Änderung entgegensetzt. Drei Frauen verlocken die Wagemutigen mit Kost und Bett, ihren Versuch aufzugeben. Und nun weicht der Autor von Grimms Märchen völlig ab: Als ein junger Fant mit Hilfe des Gärtners eindringt, zeigt es sich, daß Dornröschen schon mehrfach „befreit“ wurde, aber „Federfuchser“ und „Greif“, Bürokratie und Militär, vergewaltigten es immer wieder und so auch jetzt. Durch die beiden verfällt alles wieder in Schlaf. Bittere Erkenntnis: Letztlich bewirken auch Revolutionen keineswegs das erwartete Heraufkommen einer „goldenen Zeit“. Überaus eindrucksvoll gelingt es Conny Hannes Meyer, die Vorgänge durch langsames Sprechen, durch stilisierte Bewegungen und Rhythmisierung als artiflziell märchenhaft dazutun. Die raffiniert versponnen wirkenden Kostüme und Bühnenbilder von Gerhard Jax steigern diese Wirkung. Bezeichnend ist die völlige Gleichwertigkeit der darstellerischen Leistungen.

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Auch Versunkenes zu persiflieren kann attraktiv sein. So etwa, wenn Fritz Herzmanovsky-Orlando in dem jetzt erst im Theater am Belvedere uraufgeführten Stück „Sellawie oder Hamlet, der Osterhase“ einer „Gesellschaftskomödie aus den feinsten Kreisen Böhmens und Mährens“, das alte Kakanien, ins Skurrile überdreht, fröhliche Urständ feiern läßt. C'est la vie, war das Leben wirklich so? Unter höchsten Herrschaften, einem Fürsten Wallenstein, ungarischen Grafen, einem polnischen Adelsmarschall und ihren Damen läßt dieser „schnurrige, tolle, verträumte, geistübersprühte, phantasiegejagte, wissensbelastete und dabei so höfliche Wundermann“, wie Karl Wolfskehl Herzmanovsky genannt hat, auf einem böhmischen Schloß, im Wiener Stadtpark aus Courths-Mahlerschen Bereichen wohl ausgewählten Kitsch zu einem verbalen Feuerwerk amüsanten Hohns auf dieses alte Österreich aufsprühen. Es geht um der Fürstentochter Thekla nicht standesgemäße

Liebe zu einem „hohlröhrenden“ Mimen und Aspiranten des Burgtheaters sowie um Seiner Durchlaucht Kartenspiel mit einem betrügerischen polnischen Adelsmarschall. Und dann ist da die Sache mit dem Ei. Der böhmakelnde Privatdozent Seni hat nämlich entdeckt, daß dieses Wort in der Schlegelschen „Hamlet“-Ubersetzung besonders häufig vorkommt. Da aber bekanntlich Osterhasen Eier legen, führt dies zu einer Improvisation „Hamlet, der Osterhase“, bei der alle hohen Herrschaften mitspielen.

Aller Spott, aller Sarkasmus, alle Satire läßt die Liebe zu dieser vergangenen, vielfarbigen, facettenreichen Welt spüren, die das alte Österreich war. Regisseur Irimbert Ganser inszeniert das Stück unter Einsatz pantomimischer Mittel, manchmal fast wie ein Ballett. Die

Darsteller sind überfordert, beachtlich wirken Angelika Raubek und Roland Knie. Günther Tayrich wendet im Bühnenbild mehrfach witzig die Eiform an.

Positives Recht in totalitären Staaten steht in Widerspruch zu ethisch verantwortlichem Rechtsgefühl. Welche Komplikationen sich hiedurch ergeben können, zeigt Carl Amery in seinem Stück „Ich stehe zur Verfügung“, das derzeit im Theater der Courage aufgeführt wird. Der DDR-Soldat Kroeger erschoß, dem Befehl gehorchend, an der Grenze einen Flüchtling, floh später selbst in die Bundesrepublik und bekennt sich zu ihr. Doch droht ihm nun Anklage wegen Mord. Sein Anwalt, ein rückgekehrter Emigrant, hält zunächst die Justiz in diesem Fall überfordert, veranlaßt aber dann Kroeger, zu gestehen, den Flüchtling getötet zu haben, doch nicht absichtlich, sondern durch einen unglücklichen Zufall. Als ein „Partisan der Menschlichkeit“.

Das Stück bringt vor allem die Verhöre mit dem Untersuchungsrichter, einem penetranten Wahrheitsfanatiker, der aber schließlich vom Autor, dramaturgisch etwas billig, ausgeschaltet wird, indem ihm der Anwalt Straffälliges aus der NS-Zeit vorhält. Die auf nackte Spannung gearbeiteten Szenen legen das Fragwürdige irdischer Justiz bloß. Unter der straffen Regie von Peter M. Birkhofer zeichnen vor allem Peter Wolsdorf, Herbert Lenobel und Kurt Radlecker profilierte Gestalten.

Der heute 33 jährige Amerikaner Arthur L. Kopit hatte mit seiner Tragifarce „O Vater, armer Vater“ vor zehn Jahren internationalen Erfolg. Vorher schrieb er den Einakter „Sind mir durch offene Fenster“, der derzeit im „Experiment am Llchten-werd“ gespielt wird, Es sind das ein paar beinahe schwebende Szenen um das gerade nur angedeutete Zueinander eines Zauberers, eines Clowns und eines Mädchens. Das Unausge-sagte ist da stärker als das Ausgesagte, und eben dies gelingt dem Regisseur Helmut Wagner durch das fast diffuse Spiel von Robert Sterbik, Kurt Kosutic und Traute Furthner gut szenisch wirksam zu machen. Der im Anschluß aufgeführte Einakter „Als die Huren auszogen, um Tennis zu spielen“, ebenfalls von Kopit, zeigt, daß diesem Autor im Gegensatz zu der vorher entstandenen. Abstruses darbietenden „O-Vater“-Farce die Satire auf bestehende konkrete Zustände, diesfalls auf das Leben in einem exklusiven Landklub, gar nicht liegt — geradezu läppisch gerät. Wagner macht auch noch den Fehler, das Stück reichlich gewichtig zu nehmen, statt es herunterschnurren zu lassen.

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