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Der Klassiker als Klassiker

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Shakespeare und sein um ein knappes Jahrzehnt jüngerer Zeitgenosse Ben Jonson in Neuinszenierungen: Das reizt zum Vergleich. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der Prinzipal der „Komödianten“, Conny Hannes Meyer, führt mit seiner „Volpone“-Inszenierung vor, wie man einen Klassiker entstaubt und aktualisiert. Die Burgtheater-Inszenierung von Shakespeares „Troilus und Cressida“ hingegen läßt kaum einen Ansatz erkennen, diesem Stück anders als schon so oft und immer wieder gehabt beizukommen.

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Shakespeare und sein um ein knappes Jahrzehnt jüngerer Zeitgenosse Ben Jonson in Neuinszenierungen: Das reizt zum Vergleich. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der Prinzipal der „Komödianten“, Conny Hannes Meyer, führt mit seiner „Volpone“-Inszenierung vor, wie man einen Klassiker entstaubt und aktualisiert. Die Burgtheater-Inszenierung von Shakespeares „Troilus und Cressida“ hingegen läßt kaum einen Ansatz erkennen, diesem Stück anders als schon so oft und immer wieder gehabt beizukommen.

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Freilich, die Voraussetzungen bei den „Komödianten“ sind die besten, die man sich vorstellen kann. Ein Ensemble, das seit langem Entwicklungen nicht nachvollzieht, sondern zu jenen viel zu dünn gesäten Theatern im deutschen Sprachraum zählt, die sie in Gang halten. Dazu ein technischer Apparat, der Routine kaum zuläßt. Dazu hervorragende, ausgereifte, intellektuell wache, noch nicht einmal ansatzweise versulzte Darsteller.

Letztere, nämlich auf längst verwelkten Lorbeerkränzen eingeschla-fene, von' Publikumsgunst und anderen Faktoren in den sanften Schlummer permanent prolongierter Prominenz gewiegte Hofräte der Bühne, sind eines der Hauptprobleme der „Burg“, aber auch sie hat in ihrer Neuinszenierung von „Troilus und Cressida“ Chancen, die sich boten, gut genützt und zwei hervorragende, heute und hoffentlich noch möglichst lange unverbrauchte Kräfte, Kurt Sowinetz und Andrea Jonasson, in genau der richtigen Rolle eingesetzt. Das Ergebnis ist eine sehr respektable Shakespeare-Aufführung, die sich würdig den vorausgegangenen anschließt. Aber nur gelegentlich so tut, als würde sie Traditionen in den Wind schlagen. Die brav auf dem (mit dickem Flies belegten) Bretterboden der von der Aufführungstradition geschaffenen Realitäten bleibt.

Conny Hannes Meyer konnte auf eine „Volpone“-Fassung zurückgreifen, die vor langer Zeit für die „Scala“, das längst abgerissene Theater in der Wiener sowjetischen Besatzungszone, erarbeitet wurde: Regie führte damals Brechtschüler Besson, B recht soll sich beratend beteiligt haben. Dabei wurde aber der Klassiker keineswegs wider den Strich gebürstet, nichts „denunziert“, wurden Konturen verschärft, wurde vor allem eine neue Figur eingefügt: ein stummes „Wesen“ (hervorragend Gabriele Weng), das nur ein einziges Mal den Mund zu öffnen hat, eine Art die Handlung begleitender, mit Gebärden kommentierender, manchmal konterkarierender ambivalenter Pierrot. Er gibt dem Stück etwas, was ihm fehlt: einen poetischen Zauber, der jene üblen menschlichen Eigenschaften, die Ben Jonson im „Volpone“ unbarmherzig zur Schau stellt, um so krasser hervortreten läßt. Womit die „Zeitferne“ des Stückes aus der Shakespeare-Zeit nicht (nach dem wohlbekannten Hamlet-im-Frack-Re-zept) überbrückt, sondern betont wird - ebenso wie aber eben, auf der anderen Seite, seine anklagende moralische Position. Das nenne ich: dem Klassiker auf die Sprünge helfen.

In der Burg wurde er hingegen genommen, wie er ist, und das heißt bei einem so oft inszenierten Shakespeare: Wie er im Lauf der Zeit geworden ist, wie man ihn analysiert und interpretiert und zu sehen gelernt hat. Also: Der Klassiker als Klassiker. Im einen Fall: Staub entfernt, ohne Substanz anzutasten, dazu ein Stück Ergän-zungs- und Verbesserungsarbeit, das bei einem Shakespeare ein Sakrileg wäre, dies aber bei einem Ben Jonson bestimmt nicht ist. Im anderen Fall: Stellenweise vorhandener Staub munter mit modischen Gags überlackiert.

Was natürlich nicht bedeutet, daß den.„Komödianten“ ein Brocken wie „Troilus und Cressida“ so gelungen wäre wie der „Volpone“. Sie haben ja auch den Vorteil, sich die Stücke aussuchen zu können - während das Burgtheater doch verpflichtet ist, von Zeit zu Zeit eine neue Shakespeare-Inszenierung vorzuweisen. Und es sich dabei vielleicht wirklich nicht leisten könnte, mit einem Werk von Shakespeare etwa so zu verfahren wie Brecht mit dem „Coriolan“. Obwohl das natürlich eine interessante Erfahrung zu werden verspräche: Eine Serie von Shakespeare-Inszenierungen bei den Komödianten. Denn schließlich hatte Shakespeares Globe-The-atre mit dem Haus der Komödianten technisch, und auch was das Schauspielerpotential betrifft, wohl mehr gemeinsam als mit unserer „Burg“.

Shakespeare wie Ben Jonson zeigen den Menschen völlig illusionslos, mit einer mitleidlosen Klarheit. Ben Jon-sons „Volpone“ ist die „schwarze Komödie“ um einen dem Gold verfallenen Erbschleicher, der die Habsucht der anderen ans Licht bringt, bis sich herausstellt, daß er alles andere als der überlegen Kalkulierende ist, bis er sich selbst ein Bein stellt. Die Inszenierung rückt Mosca, die „Schmeißfliege“, in den Vordergrund, und im insgesamt hervorragenden Ensemble spielt Gerhard Swoboda diesen Mosca als Prototyp des Generalsekretärs, der als servüe Hilfskraft im Hintergrund bleibt, bis er selbst nach dem Ganzen greifen kann (dementsprechend bleibt Manfred Lukas-Luderer in der Titelrolle etwas passiv) - das Kalkül scheitert freilich am programmierten Sieg der Gerechtigkeit, der bei Ben Jonson etwa so ernst zu nehmen ist wie ihr ebenso obligater Sieg im Kriminalfilm.

„Troilus und Cressida“, dieses Stück, in dem Shakespeare vielleicht den größten Kehraus aller Illusionen in der Literaturgeschichte veranstaltet und die Liebe sich nur poetisch entfalten läßt, um ihr das Laster gegenüberzustellen und den Treubruch folgen zu lassen, und den Helden nur heldisch sein läßt, um zu zeigen, um wieviel effizienter Feigheit und Schurkerei zum Ziel führen, dieses Stück läßt sich nicht so einfach „entstauben“ und „aktualisieren“ wie der eindimensionale „Volpone“. Regisseur Terry Hands und sein Bühnenbüdner Abd'elkader Farrah sind durchaus auf der Höhe gegenwärtiger Shakespeare-Rezeption, und die hat eben vorerst nicht mehr anzubieten als eine abgeräumte, von allen Schauplatz-Andeutungen befreite Bühne und ein hartes Nebeneinandersetzen dessen, was Shakespeare hart nebeneinander gesetzt hat. Und einen Shakespeare hervortreten zu lassen, der sich als dichterisches Pendant des Ur-Politologen Machiavelli ausweist.

Großartig und völlig aus dem Geist des Stückes heraus gegen dieses So-ist-es räsonierend Kurt Sowinetz (Thersites), hervorragend durch Intensität und Wandlungsfähigkeit Andrea Jonasson (Cressida), ein Stück zu viel in Richtung Karikatur überzeichnet Heinz Reincke als Kuppler Pan-darus. Ein paar weitere sehr gute Leistungen. Und zuviel undeutliches Sprechen. Und zuviel hohles Pathos (Erich Auer schlägt hier wieder einmal alle Rekorde) rundherum. Denn „Troilus und Cressida“ ist nicht nur die Geschichte eines Paares, sondern beschäftigt sich ebenso intensiv mit politischem Handeln und mit der Möglichkeit und Unmöglichkeit ethischer Prinzipien in der Politik. Diese Dimension bleibt unbeachtet, unausge-leuchtet, unberührt. Sie könnte, vielleicht, die aktuellste dieses Stückes sein.

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