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Die Tragödie der Treue

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Ein neues Heft der Shakespeare-Übersetzung von Theodor von Zeynek ist in der Salzburger Stifter-Bibliothek erschienen: „Troilus und Cressida“, die merkwürdig tiefe Komödie, die ich seit langem nicht gelesen hatte. Da ich mich wieder nach Troja begab, freilich nach einem, das von dem Homers zweieinhalbtausend Jahre entfernt liegt und dennoch das Homers ist — wie durch Schliemanns Ausgrabungen mehrere Schichten Trojas nach vielen Zerstörungen entdeckt wurden —, verwunderte mich eine ästhetische Einsicht, die nicht abgeleugnet werden konnte. Die Helden Homers erscheinen auch hier, aber wie anders sind sie gesehen! Während sie in der Ilias und in der Odyssee göttergleich sind, selbst dort, wo sie freveln — denn auch die Götter Griechenlands freveln ja -, geben sie sich hier so menschlich, daß sogar der Spott sie verringern kann; das Erhabene der Königs- oder der Feldherrenwürde verfällt dem Hohn, sowohl des Patroklos, der zum Ergötzen Achills den Agamemnon nachmacht, als auch der giftigen Schmähsucht des Thersites. Menelaos ist als Hahnrei lächerlich, Ajax nichts weiter als ein Haudegen, die körperliche Kraft des Achilles wird der Dummheit geziehen, Nestors Altersweisheit zur Geschwätzigkeit herabgemindert, und so besteht niemand vor dem Witz des Neides, dessen Thersites nicht müde wird. Einzig Hektor verbleibt in dem Licht des Ruhms, in dem er bei Homer erstrahlt, und die Jugend des Troilus ist rührend in ihrer Verliebtheit. In Cressida ist er verliebt, und es bedarf vieler mühsamer Wege, um die Liebe des Jünglings an ihr Ziel gelangen zu lassen. Davon steht nichts im Homer. Hier haben wir ein kyklisches Drama, das Shakespeare nicht erfunden hat, sondern das auf eine Erzählung Chaucers und die Bearbeitung einiger seiner Nachfolger zurückgeht. Troilus liebt Cressida, und Cressida erwidert endlich diese Liebe. Beide schwören einander ewige Treue. Kann ein solcher Schwur früher Jugend eingehalten werden? Das ist das Thema der Komödie, die jedoch eine so tragische wird wie Molieres „Georges Dandin".

Die Treue ist ein stets wiederkehrendes Motiv Shakespeares. Im „Sommernachtstraum“ kann die Erklärung für ihr krasses Versagen in dem Irrtum Pucks gefunden werden, aber auch in anderen Dramen wird sie in Frage gestellt, und wer wollte dafür bürgen, daß Romeo und Julia, wenn sie weitergelebt hätten, die Liebe füreinander hätten bewahren können? Die ungeheuerliche Szene, da Richard der Dritte angesichts des Sarges des von ihm ermordeten Königs um die junge Witwe wirbt und ihr Ja verlangt, beweist die Wahrheit des berühmten Wortes von der Schwachheit des Weibes und mehr als nur diese Wahrheit. Wir wagen es nicht, einen allgemeingeltenden Schluß aus einer so erschreckenden Tatsache zu ziehen. Die keuschen Gestalten Imogenes und Hermiones vermögen nichts wider eine solche Er-Kenntnis der weiblichen Natur, die in der „Widerspenstigen Zähmung“ mit roher Direktheit dargestellt wird. Nirgends hat Shakespeare die Wehrlosigkeit der Frau gegen das Begehren des Mannes so selbstverständlich geschildert, wie in der Figur der Cressida. Sie will ja dem Troilus die beschworene Treue halten, aber wie sollte sie dem Drängen des Diomedes widerstehen? Die Szene, in der sie sich diesem zunächst verweigert, dann jedoch, da er sie zu verlassen droht, ihn dennoch bittet, bei ihr zu bleiben, ihr Schwanken zwischen dem gegebenen Wort und der neuen Verlockung, zwischen der ja doch vergangenen Liebe und der Gegenwart, die der Frau allein gilt und die darum stärker ist als die dem Troilus zugelobte Treue: diese Szene, deren Troilus in einem Versteck Zeuge wird, gehört zum Einleuchtendsten, was jemals für das Theater gedichtet wurde. Der junge Liebende glaubt an die Treue der Geliebten, und er muß ihre Untreue wahrhaben. Wohl hatte er selbst sie ohne allzuviel Widerstand in das Lager der Griechen fortbringen lassen: nun erkennt er zu spät, was Jugend nicht vorwegzunehmen vermag.

„Ein Spiel vor jedem Druck der Luft“ ist eben alles, was uns bindet. Wie die Elfen des „Sommernachtstraums“ hin und wider schweben, durch den Wald und durch das Haus, so auch, was wir einander spenden und versagen. Auf Erden hat nichts Bestand, selbst nicht der heiligste Eid, denn alles was wir erleben, geht vor uns auf wie ein Theaterspiel und vergeht so, bis der Vorhang fällt, der auch nur zum Schein fällt. Es bleibt die unerbittbare Einsicht des Dichters, daß Leben Vorübergang ist, daß nichts bindet und daß alles sich löst. Das Theater der Einheit der Zeit, des Raumes und des Ortes hat etwas Statisches, besonders das griechische und französische des siebzehnten Jahrhunderts. Aber das Zauberische der elisabethanischen Epoche ist ein schweifend Dynamisches, und daher erklärt sich der schnelle Szenenwechsel, den die griechische und französische Bühne nicht duldet. Die Aufeinanderfolge der Szenen ist die des Traumes. Das griechische Theater kennt den Traum nicht, das englische ist fast nur Traum Auch das spanische träumt, und das deutsche Theater schwankt zwischen Traum und Wachen. „Das Leben ein Traum" wird zum „Traum ein Leben“. Der „Sommernachtstraum“ aber ist das Leben selbst und bleibt doch das Wunder, das keiner der im Leben Befangenen begreift.

In seinem gespielten Wahnsinn nimmt Hamlet Ophelias Untreue vorweg, aber sie ist so treu, daß sie ihm in den wahren Wahnsinn nachfolgt. Gleichwohl weiß sie um die Hoffnungslosigkeit der Treue, und das ist ein Urborn der Schwermut des Mannes, der uns die Traurigkeit des Jacques in „Wie es euch gefällt“ und sogar Lears vermessene Torheit, sich der Liebe der Töchter zu vergewissern, deutet. Ja, vielleicht ist nur der Narr erhaben über diesen Schmerz, der Othellos Argwohn grausam rächt. Die Weisheit des Narren nimmt diesen Schmerz scheinbar nicht ernst, die Torheit Othellos aber erliegt ihm. In allen Dramen Shakespeares ist die Unsicherheit des Mannes der Anlaß sowohl für die Tragödie als auch für die Komödie: die Unsicherheit der Frau hingegen wird zum Wissen um das Leben, das sie ja selbst ist. Im fünften Akt des „Troilus“, im Gespräch mit Ulysses, dem schönsten der Dichtung, kommt der enttäuschte Liebende zu einer Scheinlösung des Unerträglichen, „Wegleugnen will er, was sein Auge sah“, ruft der mit zuschauende Theresites fast ergriffen aus. Nein, Troilus lügt die Wahrheit nicht weg, aber er will sie nicht wahr sein lassen, denn:

Wir hatten Mütter. Leistet keinen Vorschub dem Lästermaul, das grundlos wagt, zu schmähen, Und das nach Cressida die Frauen mißt. Nein, lieber denkt: es war nicht Cressida.

Ulysses:

Was tat sie, Prinz, was unsre Mütter schändet? Troilus:

Nichts, gar nichts, außer es war wirklich sie.

Und hier überredet sich der Betrogene zu der großartigen Bezeugung: Nein, es war nicht sie, es war des Diomedes Cressida, als die er sie nun anerkennt und entschuldigt. Und dennoch ist sie seine Cressida auch:

O Irrsinn der Gedanken,

der so mit Grund und Gegengründen spielt! Zwiespältger Geist. Empört sich der Verstand, Verlier ich nichts, und nicht empört’ ich mich, Verlier ich den Verstand, ’s ist Cressida Und ist es nicht. In meiner Seele kämpft es unnatürlich; sie, die unteilbare, klafft tiefer als die Erde vor dem Himmel, Und doch, die weite Kluft vor diesem Riß Gewährt nicht Zutritt einem einz’gen Zweifel… Beweis, Beweis gibts stark wie Plutos Tor des Himmels Band schloß Cressida an mich! Beweis, Beweis gibt's stark wie Plutos Tor des Himmels Band, es glitt, es riß, es fiel!

Nur Menschenhand verknüpft mit neuen Knoten An Diomed die Reste ihrer Treu, der Liebe Trümmer, Ruinen, letzten Rest, den schmutz' gen Satz der überzarten Liebe.

Mit solcher Gerechtigkeit hat kein Dichter die Frau gesehen und geschildert wie Shakespeare. Darum kennen seine Sonette die Eifersucht nicht: denn er weiß, daß Leben Leben begehrt, um Leben weiter zu reichen in die Welt, die Leben ist.

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