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Sie warten auf Antwort

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Schon in den frühen Tagen des Expressionismus, in denen es der jungen Generation von 1910 klar wurde, daß der Glaube an einen unendlichen Fortschritt der Menschheit, der in einem „irdischen Paradies“ enden sollte, ein Aberglaube, ein Irrglaube war, begann Ratlosigkeit die Geister zu erfassen, denen aus der Zerspaltenheit der mannigfachen Weltanschauungen keine einheitliche Antwort mehr werden sollte. Die Flammenzeichen des ersten Weltkrieges und die Folgezeit bis zum zweiten Weltbrand haben diese Situation nur verstärkt und sichtbar werden lassen, wovon die Prophezeiungen von Nietzsche, Bloy und Péguy, die pessimistischen Kulturphilosophien von Jünger und Spengler, die Dichtungen von Kafka, Trakl, Rilke und auch Bert Brecht handeln. In dieser Zwischenzeit hat bekanntlich Brecht jene so oft mißverstandene Untersuchung angestellt, „ob der Mensch gut ist“. Und viele mit ihm „warteten auf Antwort“. Die Zeit der Faschismen und des Grauens des zweiten Weltkrieges sowie der unmittelbar darauffolgenden Jahre hat den Generationen, die in ihr zum geistigen Eigenleben erwacht sind, eine vernichtende Antwort gegeben, indem sie nun alle Bindungen der Tradition, alle Kulturkulissen, alle Fluchtversuche restlos zerschlug. Der Nihilismus oder die Nihilismen schienen zu triumphieren. Die jungen Menschen warteten vergeblich auf Antwort. Ihre Lage hat erst jüngst die Beichte des jungen Franzosen Michel Mourre („Gott ist tot?“) erschütternd geschildert. Der Mensch dieser Zeit, der „Antwort sucht" auf seine Frage nach dem Sinn, vermag sie nirgends zu finden, weder im Surrealismus oder im Existentialismus noch in einer religiösen Tradition, die nur Tradition ist oder von Trägern verwaltet wird, die den Fragenden nicht mehr glaubwürdig erscheinen. Und die junge Generation, von Radikalisten durch die Radikalismen der Zeit geschieht, stellt nun ihre Frage nach den Wurzeln und erwartet Antworten, die das Uebel von der Wurzel her zu beheben vermöchten.

In dieser Situation wurde auch Jeannie Ebner, eines der hoffnungsvollsten Talente der österreichischen Gegenwartsdichtung, hineingeboren und sie hat sie mit offenen Augen in ihrem Gleichnisbuch beschrieben. Es ist ihr dabei gelungen, an dem ganz einfachen, fast hausbackenen Beispiel eines Hauses und seiner Bewohner zu exemplifizieren, worauf es bei dieser „Antwort“ allein ankommt, die jeder auf seine Weise finden muß.

Ihr Roman „Sie warten auf Antwort“ ist ein Gleichnis, für das jeder die Deutung finden kann, die ihm am meisten entspricht. Es ist die Geschichte des Menschen, der vom „Baum der Erkenntnis“ gegessen hat und sich dadurch vom liebenden Vater, der irgendwo, fern in einer anderen Welt lebt, entfernt hat. Der Mensch ist in das Stromland, in die große Stadt, in ein Haus mit- vielen hellen und dunklen Kammern gezogen. Er kommt immer mehr darauf, daß ihm dies Haus wohl vom fernen Baumeister geschenkt wurde, daß er es aber doch nicht recht zu bewohnen weiß. So wird er rat- und hilflos. Er erwartet Antwort von außen, von drüben, Antwort, die nicht kommen will, die auch gar nicht kommen kann, weil er sie nur in sich selber finden wird, da die Stimme Gottes oder des Vaters nur in seinem Herzen und Gewissen vernehmbar werden kann. Die Dichterin zeigt nun in ihrem Gleichnis verschiedene Menschen und ihre Weise, auf Antwort zu warten:

Da ist zunächst das einfache und ehrliche Gemüt der schlichten Hausmeisterin, Frau Materna, die nicht wahrhaben will, daß es auch dunkle Mächte gibt und dunkle Kammern in ihrem Haus, das sie sauber halten will. Sie fordert Schutz und Antwort von den übergeordneten Mächten.

Da ist ihr Gatte, der Hausmeister, der nicht selbst Verantwortung tragen will und sich lieber in dumpfem, blindem Gehorsam bescheidet.

Da ist der ewig forschende Geist des Dr. Fröhlich, der an der Seite seiner Gattin, die ihn liebt, trotzdem nicht zur Ruhe und Erfüllung kommen kann und dessen ewig bohrender Forschergeist sich mit der, luziferischen Gestalt des Seiltänzers Muni ver-

bindet, um hinter die Gesetze einer höheren Ordnung zu kommen, die er nicht einzusehen vermag. Aus diesem Bündnis erwächst die Katastrophe von Feuer und Glut für die ganze Stadt und für das Maternahaus im besonderen. Erst nach dieser Katastrophe sieht Dr. Fröhlich ein, daß wir die Antwort nur in uns selber und im liebenden Miteinander finden können. Er sühnt seine geistigen Frevel durch Werke der Nächstenliebe. In einer Traumvision wird ihm der tiefe Sinn des Lebens und des Waltens der scheinbar blinden Natur offenbar. (Ein großartiges Symbol für die „natura naturans“!)

Ein einzig reines Wesen, die zum Vater ZUrÜck -- kehrende Seele der Gattin Dr. Fröhlichs,. Angelika, die sein Leben und das Geschehen im Maternahaus geheimnisvoll durchwaltet, weiß um die wahre Antwort, mit der man zu leben vermag; „Der Vater ist gut.“ Das ist die tröstliche Botschaft dieses Buches vom Leben der Menschen in unserer drangvollen Zeit.

Man wird sich allerdings nicht verhehlen dürfen, daß in diesem dichterischen Gleichnis auch gnosti- sches Gedankengut steckt. Die abendländische Gnosis blüht ja jetzt allerorten wieder auf und ihre ersten Opfer waren zu allen Zeiten die geistempfänglichen Dichter. Der Gedanke, daß auch Luzifer erlöst werden könne, spukt in den Gehirnen seit Origenes bis zu Charles Péguy und Giovanni Papiui, er lebt auch in Jeannie Ebner, deren „guter Vater“ noch sehr dem „Deus absconditus“ des Alten Testaments gleicht. Wir wollen hoffen, daß sie uns einmal von Menschen erzählt, denen die „Parusie des Sohnes“ zum lebensgestaltenden Leitbild geworden ist. Jetzt wollen wir ihr für ihr stellenweise sehr kühnes Buch danken, weil es die Menschen lehren kann, die Antwort in sich selber zu suchen: denn „Das Himmelreich ist in euch“, sagt die Schrift.

Philipp Noël

Wahrheit und Lüge. Von Karl H ö r m a n n. Verlag Herold, Wien. 212 Seiten. Preis 52 S.

In einer Zeit, da die Lüge im öffentlichen wie im privaten Leben eine vordringliche Rolle spielt und die Wahrhaftigkeit von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk zum Problem geworden ist, kann der Frage „Wahrheit und Lüge“ nur erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Verfasser wird dieser Aufgabe in lobenswerter Weise gerecht, nicht nur in dieser oder jener Detailfrage, sondern auch in einem Ueberblick über alle damit in Zusammenhana stehenden Fragen. Er behandelt vorerst das Wahrheitsproblem im allge-

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