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Schicksalsdienst am Kunden

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Nur wer aus der Armut kommt, trägt das Maß der Dinge in sich. Auch ein Aufstieg verrückt es nicht, auch nicht die Fülle, der er später gebietet. Ihm leuchtet auch die ärmliche Farbe, und die dürren Stunden seines Daseins schrecken ihn nicht. Immer bleibt solche Armut ein Gewicht, das ihn im gleichen hält. Die Welt ist größer für ihn, weil er nicht nur die Eilande der Schönheit liebt, sondern auch das harte, das unfruchtbare Land ehrt. Sein Absturz aus einem reicheren Leben aber ist dann für ihn wie eine Heimkehr zur eigenen Wirklichkeit. Rudolf Henz, aus „Begegnung im September“

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Nur wer aus der Armut kommt, trägt das Maß der Dinge in sich. Auch ein Aufstieg verrückt es nicht, auch nicht die Fülle, der er später gebietet. Ihm leuchtet auch die ärmliche Farbe, und die dürren Stunden seines Daseins schrecken ihn nicht. Immer bleibt solche Armut ein Gewicht, das ihn im gleichen hält. Die Welt ist größer für ihn, weil er nicht nur die Eilande der Schönheit liebt, sondern auch das harte, das unfruchtbare Land ehrt. Sein Absturz aus einem reicheren Leben aber ist dann für ihn wie eine Heimkehr zur eigenen Wirklichkeit. Rudolf Henz, aus „Begegnung im September“

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Brüdern erwartet. An wen kannst du dich halten, wen zu Hilfe rufen oder für dich gewinnen, als Autor meine ich? Was immer du heute schreibst, unterliegt, sobald du als Literat mitreden willst, jener Zensur der Radikalen in Verlagen, Dramaturgien usw., die, schärfer als je eine k. k. Zensur, fast an die NS- oder KP-Zensur heranreicht. Bei ihr feiern, was die Kirche beim Konzil endlich bereut und in sich selbst überwunden hat, Inquisition und

Index verbotener Schriften, fröhliche Urständ. Das findest du in keinem Gesetz, in keiner Verfassung oder irgendwelcher Gesellschaftstheorie, doch schreib einmal gegen die Meinung der Mandarine! Daß aber christliche Zeitgenossen dann dein Werk begrüßen würden (Qualität natürlich vorausgesetzt), darauf verlaß dich lieber nicht. Den Amusischen unter ihnen (nicht wenige) ist jeder Dichter irgendwie unheimlich: als einer, der ihre, wie sie annehmen und verkünden, von Gott gesetzte Ordnung stört. Die halbwegs Musischen halten von einem dichtenden Christen wenig, die Intellek-tuelfen und christlichen Progressiven schätzen doch nur perfekte Atheisten, Erfolgsautoren und die einander ablösenden Zerstörer des Menschenbildes. Ein katholischer Snobismus aber ist das ärgste.

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Ich male schwarz. Doch viel mehr erwartet dich nicht, und es ist auch für dich besser, nichts zu erwarten außer jene einsamen Stunden, in denen Gott mit Versen dich heimsucht und dir das Gefühl gibt, daß du doch zu etwas auf der Welt bist.

Also lieber Expertisen schreiben als Gedichte, Protokolle statt Romane, Computer befragen statt Träume, kranke Menschen heilen statt sie als die einzigen Zeitgenossen auf die Bühne stellen? Wenn du ohne Schreiben leben kannst, dann sofort. Es ist auch besser so für dich und die deinen. Sonst aber such dir einen Beruf (Hauptberuf, Nebenberuf), wie es sich ergibt, dies aber solange die Konjunktur vorhält. In den letzten 60 Jahren war diese Möglichkeit für einen jungen Autor, nach seinem Geschmack einen Brotberuf zu wählen, noch nie so groß.

Daß du nach fünf Gedichten oder drei flachen Texten ein Recht hast, von der Gesellschaft erhalten zu werden, glaubst du ja selbst nicht.

Kriegst du ein Arbeitsstipendium, dann arbeite, daß die Fetzen fliegen, glaub nur nicht, daß ein Stipendium dir einen bürgerlichen Beruf ersetzen kann. Ob er dann mit Büchern zusammenhängt oder mit Buchhaltung, es kommt nur darauf an, daß deine Arbeit (Nebenarbeit, Hauptarbeit) dir jede Literatur um der Literatur willen und jede Nabelschau verbietet. Auch wenn du Gott jeden Tag anklagst und nach Zeit schreist: was dir diese Arbeit an Zeit stiehlt, kommt an Wirklichkeit, an Erfahrung, an Reife wieder herein. Glaub mir das!

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Einige Warnungstafeln vor Sack- 1 gassen müßte ich noch für dich aufrichten, etwa: „Unser technisches Zeitalter erfordert eine rein technische Kunst.“ „Unser wissenschaftliches Zeitalter duldet allein eine intellektuelle Literatur“, und was so an Halbwahrheiten oder Dreiviertelblödsinn plakatiert wird. „In einer unheilen Welt ist ein heiles Menschenbild unmöglich.“ Dies nur ein paar von jenen fragwürdigen, aber arroganten Sprüchen, die du freilich studieren, in dich aufnehmen und überwinden mußt. Wenn du sie nämlich hochnäsig übersiehst oder zornig verwirfst, ohne ihrem wenn auch oft geringen Wahrheitsgehalt nachzugehen, kommst du auch nicht weiter. Dieses Andere und Ärgerliche, auch das Dumme bringt das Blut durcheinander, zwingt dich zur starken Auseinandersetzung mit der Zeit und läßt dich jene Sprache finden, die unserer Zeit nottut. Total verboten sind nur Türme aus Elfenbein oder aufblasbarem Plastik.

Hüte dich dabei vor allem, was nach Manifest riecht oder nach Diskussion. Auch verlockende Forumgespräche, Symposien, Fernsehdiskussionen über Literatur, Kunstgespräche und was sie da im Schweiße ihres Angesichtes üben, sie alle sind J dir verboten. Eine Zeitlang, für die unmittelbare Gegenwart wenigstens. ( Und wisse, deine Aufgabe ist keine 1 andere als die aller wirklichen Dich- 1 ter, ob sie sich als Christen noch be- i kennen oder nicht: das neue Bild des ] Menschen aus den Scherben zusam- ] menzufügen, die heute überall in der i Welt herumliegen. j

Du wirst sehen, junger Freund, es l gibt keine herrlichere Aufgabe, aber 1 auch kein größeres Abenteuer. i

^———-~—————— i xsaa uiuva Jiat co iii Ullöcici vvcll ebenso eilig wie das Unglück. Es kommt zu uns durch Telegramm.

Auf dem Boden hinter der Flurtür liegt, mit einem Siegel versehen, das Dokument. Alles kann es enthalten, alles Glück der Erde und alles Unglück des Himmels. Dies ist der Augenblick, da man sich wünscht, In die Zukunft sehen zu können. Diese Zukunft wird im nächsten Augenblick Gegenwart sein. Aber das menschliche Gemüt enthält seinen Kern von Philosophie, der es wünschenswert erscheinen läßt, dem Slück sowohl wie dem Unglück gewappnet entgegenzutreten. Man wünscht nicht mehr vorherzuwissen, als Weiß oder Schwarz, Hell oder Dunkel, das Erwartete oder das Unerwartete. Denn wenn schon das unerwartete Glück einen Menschen taumeln läßt, das unerwartete Unglück schlägt ihn zu Boden.

Das Verhalten der Menschen in diesem Augenblick ist unterschiedlich. Einige gibt es, die, erregt, in Hut und Mantel, während die Tür noch offensteht, das Telegramm aufreißen und den Übergang der Zukunft in die Gegenwart mit einem ungeordneten Ausruf begleiten. Dies ist eine Art vom Unhöflichkeit dem Schicksal gegenüber. Ein höflicher Mann wird selbst das Unglück, das über seine Schwelle tritt, nicht anders empfangen als einen Gast, der, so unerwünscht er sein mag, doch beanspruchen darf, daß man wenigstens die Tür schließt, ehe man ihm Hut und Mantel abnimmt.

Besonders robuste Leute sind imstande, ein Telegramm einfach in die Tasche zu stecken und erst nach Stunden aufzumachen. Aber das sind Akrobaten des Glücks, Seiltänzer des Lebens, die kein Mitleid verdienen, wenn sie abstürzen.

Wir wollen auch noch jenes Mannes gedenken, der schon Im Bett liegt, als ein Telegramm kommt. Er legt sich ruhig erst einmal wieder hin und, nachdem er das Telegramm geöffnet und den Tod von Onkel Bertram daraus entnommen hat, dreht er das Licht aus, legt sich auf die andere Seite und seufzt nur, schon im Halbschlaf: „Nein, wird das ein Schmerz sein morgen früh!“

Wir hätten nicht erwarten können, daß gerade in Afrika dem philosophischen Bedürfnis des menschlichen Gemüts nach einer Vorausschau in die Zukunft Genüge getan werden würde. Aber im Süden des dunklen Erdteils hat Merkur bei Athene einen Fünfuhrtee genommen, und so hat die südafrikanische Postverwaltung beschlossen, Telegramme künftig zu kennzeichnen. Telegramme mit guten Nachrichten sollen in Zukunft in blauem Umschlag ausgetragen werden und den Vermerk „Gute Nachricht“ aufgedruckt bekommen. Wir hätten Grund, die südafrikanische Postverwaltung ihres fürsorglichen Kundendienstes wegen zu beloben, wenn wir nicht noch viel mehr Grund hätten, sie ihres philosophischen Mutes wegen zu bewundern. Offenbar traut sich die südafrikanische Postverwaltung zu, woran die Philosophen der Menschheit bisher gescheitert sind, zu entscheiden, was eine gute Nachricht, das heißt zu entscheiden, was Glück ist.

„Ankomme sechzehn Uhr elf.“ Dies kann sowohl der Anfang wie das Ende einer Komödie, einer Tragödie oder einer Tragikomödie sein. Wenn wir das Geheimnis der südafrikanischen Postverwalttung besäßen, wüßten wir es vorher und würden uns nicht durch Illusionen lächerlich machen oder gar durch Ankauf eines Straußes Margeriten unsere eige-

- nen Hörner schmücken wie die eines Ochsen zu Pfingsten. l „Habe mich soeben mit Fritzi ver-

■ lobt, Edgar.“ Wenn der große Philo-i soph der Post diese Nachricht in der

• Hand hält, woher nimmt er den

• Mut, sie in einen blauen Umschlag

• zu stecken? Vielleicht ist sie an eine i Irene gerichtet, die bittere Tränen ! über diesen Edgar weinen wird. 1 „Paul letztmalig ermahnt stop verweigert Rückkehr.“ Woher will der

! Richter über das Glück in der Kala-' hari wissen, daß das eine schlechte

■ Nachricht ist? Vielleicht kommt Paul

■ in fünf Jahren wieder als ein reicher 1 Mann, dem sieben Diamantenminen gehören und der alles durch Barzahlung wieder gutmacht.

' Wir wünschen, dieses Geheimnis kennenzulernen. Wir hoffen, daß die j Postverwaltung der Südafrikanischen Union nicht so egoistisch sein wird, diesen großen Philosophen, der 1 über Glück und Unglück so wunderbar Bescheid weiß, für ihren Kundendienst zu beschlagnahmen. Wir \ wünschen uns, daß er einen Lehrstuhl bekommt. Der Stuhl müßte dreibeinig sein wie der Sessel der Pythia in Delphi.

Wie schön wäre es, zu einem Philosophen zu wallfahrten, dessen Sessel, erhaben über Glück und Unglück, umspielt von den Winden zweier Ozeane, am Kap der Guten Hoffnung stünde, wo die vielen guten Schiffe, die da zerschellt sind, und die vielen braven Seeleute, die da ertrunken sind, doch wenigstens den Vorteil hatten, in einer erhabenen Umgebung untergegangen zu sein.

Jede gut gemachte Arbeit veredelt. Denn mtt ihr steigt die Unlust über das Fahrlässige, die Lust am Vervollkommneten. Robert Musil

Nur die Ruhe in der Bewegung hält die Welt und macht den Mann.

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