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Ratschläge für einen jungen Dichter

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Jetzt bist du völlig durcheinander. Da redeten wir, noch vor drei Tagen, über deine Aufgabe als Christ und Dichter heute, da entdeckte ich in dir einen jungen Mann, der die Verwirrung in unserer Kirche als Aufbruch zu einer neuen Wirklichkeit spürt, wie kaum einer, und dann findest du in dem Buch eines Jesuiten und Germanisten, das ich dir geschenkt habe, den „perfekt“ geführten Beweis, daß es eine „christliche Dichtung“ nicht mehr gibt, heute nicht mehr geben kann. Warnen hätte ich dich müssen, schreibst du. Mich aber schreckt es nicht, wenn wieder einmal einer die Dichtung totsagt, die Literatur, alle Kunst und nicht allein die christliche. In den fünfziger Jahren gehörte dies Totsagen zum guten Ton, wie heute das „Allesinfragestellen“. Die Untergangspropheten nach dem ersten Krieg waren auch allerhand Totenvögel, doch die „Letzten Tage der Menschheit“ waren ja nicht einmal die vorletzten.

Bin ich persönlich also bösen Orakelsprüchen gegenüber abgebrüht, so ist trotzdem, was viele unserer Zeitgenossen unter christlicher Dichtung verstehen, tatsächlich in Frage gestellt, wenn nicht bereits erledigt. Natürlich erfreuen fromme Legenden um Weihnachten herum nicht nur Kinder, ist ein Bedarf an frommem Kitsch weiterhin gegeben, auch an moralischen Kalendergeschichten, erwarten Christen jeden Ranges, auch Professoren, Politiker, Prälaten, Pädagogen von schreibenden Zeitgenossen, die sich als Christen bekennen, daß sie Herzen erheben, Bekümmerte trösten, Zagende ermuntern, Ängstlichen gut zureden, Ideale aufrichten, angeschlagene Leitbilder reparieren, schöne Verse und Reime ausbrüten. Wenn schon Konflikte, dann ist ein beinah so moralisches Ende wie bei einem ordentlichen Krimi Pflicht.

Von Heimatliebe und konservativem Denken rede ich erst gar nicht. Könnten wir nur stets trösten, dürften wir nur immer wieder ermuntern, den Zustand der christlichen Welt vor dem Konzil bejahen, auch die überkommene Ordnung der Kirche, die ganze österreichische barocke Herrlichkeit! In der Zwischenkriegszeit gab es eine Unmenge von besinnlichen Ministrantengeschichten und Geschichten von kreuzbraven Bauern und eine vom „Zeitgeist“ unberührte Poesie. Von den Hymnen solcher Poeten an den „Führer“ reden wir nicht weiter, und über den blutgetränkten Boden schrieben die Blut- und Bodengymnastiker auch nachher nicht.

Mit einer uns als Christen aufgetragene Dichtung hat das alles wirklich nichts zu tun.

Du forderst auch von mir, dem Alten, nicht neue Theorie oder Antitheorien, sondern Rat und Hilfe für die praktische Entscheidung, vor die du gestellt bist. Bei der Suche nach einem Verleger oder Dramaturgen kann ich dir nicht helfen. Da wende dich an deine gleichaltrigen oder ganz jungen Kollegen. Die wissen auch, wie man als Dichter heute Schlagzeilen macht. Über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, dennoch als christlicher Dichter zu leben, kann ich vielleicht einiges bemerken. Nicht in der Theorie. Das Literaten-chinesisch der großen Mandarine beherrsche ich nicht. Dazu bin ich erstens zu unbegabt, zum andern machen mich Bücher mit mehr als dreißig Fremdwörtern auf einer Seite lebensüberdrüssig.

Vor allem mußt du als Dichter bestehen. Ist dies dein Wunsch und Ziel, hast du dich möglichst früh zu entscheiden, ob du schnell berühmt oder am Ende vieler harter Jahre ein Eigener werden willst. Soweit es überhaupt dabei auf deinen Willen ankommt natürlich. Anders: Strebst du nach einer unverwechselbaren Originalität oder erleichterst du dir den Einstieg in die Literatur mit Hilfe der „kollektiven Originalität“? Diese erspart dir die Mühe des Durchbeißens, die lange Frist des Zu-dir-selbst-Findens. Willst du über Nacht die Mauer des Schweigens durchstoßen, Preise kassieren, gedruckt werden, zur heutigen literarischen Prominenz zählen, dann schreibe nur, was das Kollektiv dir vorschreibt.

Nach dem Krieg eine Geschichte im Stil Kafkas, in den fünfziger Jahren ein Dutzend assoziativ verschwommener Verse, später Texte in alter Da-Da-Weise, noch später in Neoda-da-Manier, Neorealismus, Sprechblasen, Sprachspiele, Dialekt (nicht Mundart): alles nach erprobten Rezepten mit Porno, Intellektualität, Radikalismus, Fäkalismus gemischt und geziert, und du bist hochberühmt und reicher als ein nach persönlicher Eigenart Strebender in 40 Jahren. Nur mußt du, als geübter Mitschwimmer, dich kopfüber in die Literaturbrandung stürzen und auch die richtige Trägerwelle erwischen.

So einfach, wie du dir das jetzt vorstellst, ist das auch wieder nicht. Es kann dir passieren, daß du selbst ein Kollektiv schaffst und hinter dir herziehst (ein Haupttreffer). Auf jeden Fall aber ist es sehr schwer, von einer Kollektivwelle abzuspringen, ehe sie dich an den Strand geworfen, und auf die nächste wieder aufzuschwimmen oder, aller Wellen überdrüssig, unverletzt und noch mit einiger Kraft allein den Strand zu erreichen. Schwer zu raten. Das Gesetz des Reifens läßt sich auch durch Gruppenenergie, Cliquenproduktion und perfekte Wellenreiterei nicht

überlisten. Die dabei ersparte eigene Kraft wird dir, das ist sicher, später vom echten Erfolg abgezogen, soferne du als Autor nicht von all den folgenden Wellen ertränkt oder zerschmettert wirst.

Du bist nun weder ein Mitschwimmer noch ein Maschenstricker. Soweit kenn ich dich. Du willst Person werden und sein, auch als Dichter ein ganzer, unverwechselbarer Mensch. Als Schocker, Rinnsal-, Sauerei- und Fäkallenavantgardist bist du überhaupt nicht angelegt. Dir graust davor. Das ist Anlage und noch lange kein Verdienst. Andere haben diese Anlage eben nicht. Du kannst dir auch eine Welt ohne Gott nicht vorstellen und eine Gesellschaft nicht wenigstens ohne einen Widerhall der Bergpredigt. Du bist zuweilen froh, in diesem Jahrhundert zu leben, du bist allergisch gegen alles Barbarische, auch wenn es unter der Parole der Bewußtseinsänderung auftritt. Weder professioneller Wellenreiter noch Sklave des Vergnügungskapitals, zählst du dich zur schweigenden Mehrheit, zu den „Stillen im Lande“.

Darunter aber leidest du. — Reden, schreiben, rufen, schreiben willst du, nur nicht schweigen, zu allem schweigen! Der Weg zu einer heilen, stillen, unvergänglichen Schönheit ist dir genau so verschlossen wie die gläubige Sicherheit des Bürgers.

Dazu imponieren Dir ja die radikalen Gesellschaftsveränderer und Bewußtseinserwecker. Als Christ erschreckt dich unsere Welt viel tiefer, denkst du wahrscheinlich radikaler als diese Protestierer und Schockierer. Nur daß sie sich in Sackgassen verrennen, gegen Windmühlen anreiten, Lügen durch Lügen, Terror durch Terror, Widersinn durch gesteigerte Sinnlosigkeit ersetzen, das empört dich. Die große Chance, eine weithin überholte, in ihren lebenswichtigen Organen kranke Gesellschaft wirklich zu erneuern, von innen her, die Spiralen des rein technischen Hochmuts, das Ringelspiel der Gewalt abzustellen, die Möglichkeit, dagegen wenigstens den Geist zu mobilisieren, vertun sie mit spielerischen Texten, verschleudern sie um Eintagssensationen. Und daß diese lächerlichen Kurpfuscher mit ihrer Ausklammerung des Geistes, des Gewissens und jeder seelischen Regung eine Reaktion heraufbeschwören, die auch dich verschlingen wird, macht dich erst recht zum Christen.

Ein Dichter, der das Christentum nicht ausklammert, der über langweilige Texte hinaus noch immer oder wieder geistige Entscheidungen sucht, auch wenn es eine christliche Dichtung offiziell nicht mehr gibt und in vollem Bewußtsein dessen, was dich bei deinen christlichen

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