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Wiener Herbstpremieren

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Das Burgtheater spielt jetzt Schiller „Jungfrau von Orleans“. Wie gleich hinzuzufügen ist, mit großer Wirkung. Das dialektische Problem dieser „romantischen Tragödie“ ruht in der virtuosen Verknüpfung der Kantischen Sittenlehre mit der Heiligenlegende und dem nationalen Pathos der Freiheitskriege. Wenn es auch mehr von außen gesehene Symbole des katholischen Glaubens sind, die Schiller auf die Bühne bringt, so liegt das Werk doch schon stark auf der Linie der katholischen Dramatik Calderons. Im Grunde geht es um die Frage des Glaubens an die innere Sendung und um die Störung jenes reinen makellosen Glaubens durch die Welt. Eine der tiefsten Stellen des Werkes spricht aus, daß der Gottgesandte blind sein müsse. Wer sieht, wird schon verstört und zweifelt. Und Schiller zeigt, wie die Jungfrau sehend wird, wie die Liebe Johannas innere Kraft zerstört. Aber auch wie sie sich durch Läuterung zu noch höherer Reinheit des Glaubens erhebt. Ein tiefer Riß zwischen Mensch und Welt geht durch dieses grandiose Werk Schillers. Und, kaum in Worte sagbar, weist der Dichter den Weg zur Heilung durch die größte Sammlung der Seele im größten Leid. Schiller ist und bleibt ein Dichter starker und großer Seelen. Er ist wohl kaum ein Arzt für kranke Seelen, die in ihrer Energie geschwächt sind. Sein Werk ist ein einziges Sursum corda für, gesunde Herzen. Es wäre allerdings verfehlt, in dieser Dichtung das Werk eines Katholiken zu sehen: das Katholische ist nur eine der Masken, in die der Dichter seine sittliche Problematik verbirgt. Die Aufführung ist von bemerkenswerter Höhe. Maria Becker, Neuling am Burgtheater, hat sich mit ihrer Jungfrau von Orleans auf das glänzendste eingeführt.

Und wie es das Gesetz der Serie will, zeigen uns die Wiener Theater gleich drei Heroinen statt einer. Neben der Jungfrau Ferdinand Bruckners „Heroische Komödie“ an Volkstheater ad Hofmarmsthals „Elek-tra“ in der Insel.

Da Volkstheater brachte Bruckners „Heroische Komödie“ in einer ausgefeilten Aufführung zu Gehör. Wer sich den laugenscharfen Schilderer psychoanalytischer Seelenkunde erwartete, als der Bruckner von seinen früheren Dramen her bekannt ist, sah sich diesmal getäuscht. Dafür versetzt der Autor den Zuschauer in das anmutige Milieu des Empire, um ihm in dieser Maske ein Privatissimum über den politischen Heroismus zu halten. Mit der Ironie, die jetzt in politfcis große Mode ist (man denke nur an Werfeis Jakubowski), zeigt Bruckner eine Heroine — der Feder. Das Lächeln, das in dieser Verbindung: Frau — Heroismus — Feder liegt, ist leider vom Autor kaum ausgenutzt worden. Die Ökonomie des Stückes ist gut disponiert: Madame de Stacl, die fanatische Heroine; Constant, der ausgeglühte Krater von einst, der nur mehr Sehnsucht nach der Idylle hat; Bcrnadotte, die Fahne nach dem Wind; Narbonne, der unbewegliche Dummkopf und Leutnant Rocca, der Fanatiker der Freiheit. Geradezu wie im Hörsaal sind die Musterbeispiele der wesentlichsten politischen Haltungen um die Hauptgestalt gruppiert. Allein wie so alles auf den großen Ton der Uberzeugung in diesem dennoch wieder leicht ironischen Stück gestellt ist, verliert das Ganzf an menschlichem Gehalt. Den zündenden Funken sucht man darin vergebens.

Den findet man in Hofmannsthals „Elek-tra“, gespielt in der Insel. . Man hörte das Werk ohne den Stahlpanzer des Straußischen Orchesters und war von der großen Schönheit der Dichtung tief bewegt. So und nur so wird im Gegensatze zu Bruckner weiblicher Heroismus in seiner erhabenen Größe offenbar. Ist nicht Elektra eine viel größere Heldin als Madame de Stael? Woher kommt das? Die Gründe liegen auf der Hand. Hofmannsthal bringt es zuwege, daß Heroismus nicht im Pathos stecken bleibt, sondern ins Menschliche aufgelockert wird. Man kann sich in dem als ästhetenhaft völlig zu Unrecht verschrieenen Gesamtwerk Hofmannsthals kaum viel Menschlicheres vorstellen als diese Elektra. Ja, das ist ein Typus des großen Heroismus, der keinen anderen Gedanken hat als: Rache.

Jeder Atemzug Elektras haucht Rache. Jede Miene spricht Rache. Jeder Seufzer will das erlesene Opfer verpesten. Und doch! Da ist keine Figur, die nicht lebend vor uns steht. Chrysothemis, nichts als Weib; Orest, obwohl mehr großer dunkler Schatten als Mensch, reicht doch in Elektras warme Nähe. Ja die Diener, die „Hunde auf dem Hofe', sie alle atmen wärmste Menschlichkeit aus. Der einmalige Reiz dieses Stückes beruht darauf, cjß diese tiefe Humanität in das Milieu einer mykenischen Königsburg verlegt ist, die eher den Eindruck eines Schlachthofes erweckt als den einer menschlichen Behausung. Ja, das ist echtes Drama, weil es echter Gegensatz ist: Die Verbindung von tiefstem Leid und heroischem Fanatismus auf dem Hintergrunde des Grauens.

Die Insel versöhnte die durch die Elektra angeschlagenen Nerven ihrer empfindsameren Zuschauer mit dem „Zerrissenen“ von Nestroy. Die Aufführung war wohl eher Commedia dell' arte und französisches Lustspiel als die große Weltironie Nestroys. Es hat sich wieder einmal gezeigt, wie schwer der eigentliche Nestroyton auf dem Theater zu erhaschen ist.

Die äußere Handlung ctes „Zerrissenen“ ist von aufreizender Inaktualität. Gibt es weniger Zeitgemäßes als den Menschen, der aus lauter Überfluß-schwermütig wird? Aber das ist nur der eine Teil der Handlung. Der Kern sitzt tiefer. Herr von Lipps muß erst, einmal durch ein ihn aufstörendes Erlebnis unter das Volk kommen, um zu erkennen, wie gerade dort die reinste Liebe erblüht, dort die reinsten Herzen zu finden sind, während die „Gesellschaft“, im Bilde seiner Freunderln, als angefault und schmarotzerhaft entlarvt wird. Das alte Komödienthema der Testamentseröffnung in Gegenwart des sich Totstellenden, der dadurch die wahre Gesinnung seiner Erben erfährt, ist hier auf köstliche Weise erneuert. Wie so oft bei Nestroy ist auch dieses Stück ein Fddzug gegen die verbildete Gesellschaft und für dfo

Reinheit des einfachen Herzens.

Der Herbstspiegcl der Wiener Theater kann aber nicht abgeschlossen werden, ohne Mauriacs „Asmodee“ in 4er Josefstadt gebührend zu würdigen. Obwohl das Transzendentale — daß in so vielen Stücken z stark hervorgestellt wurde — nicht allzusehr in den Vordergrund tritt, schwebt es doch als unsichtbarer Nebel über dcA ganzen Stück. Nicht der Geist kommt auf die Bühne, sondern der junge, sehr lebendige Engländer möchte jener Geist Asmodee sein, der die Dächer von den Häusern und Hütten abhebt, um das Leben der Bewohner zu belauschen. Unbewußt gelingt es ihm auch. Das abgeschlossene, von der Außenwelt unberührte Leben in diesem kleinen Chateau, in dem die Leute zwischen Himmel und Erde leben und von einem düsteren Hausgeist in Form eines Hauslehrers beherrscht werden, wird grundlegend gestört durch die Ankunft dieses jungen, halb romantischen, halb sehr realen Gast. Man muß diese kleinen Schlösser in der Vendee oder Provence gesehen haben, um die ganze Wahrheit dieser auf die Bühne gestellten Atmosphäre zu erkennen. Die Mutter und junge Witwe, die noch einmal ins Leben zurück möchte, die Tochter, die das wirkliche Leben noch gar nicht kennt, im reinen Glauben aufgewachsen und erzogen, die Dinge besser sieht als ihre Mutter, der Erzieher, der trotz Herkunft und abstoßendem Aussehen das ganze Haus unter seinem Banne hält. Würde das Stück in Deutschland spielen, es wäre zu hart, um etwas Versöhnliches zu haben. Mauriac aber weiß, daß zu solchen Menschen auch der blaue Himmel des französischen Südens gehört, um den Dingen ihre Schärfe zu nehmen. Vielleicht ist der Schluß nicht für jeden befriedigend, man weigert sich vielleicht auch zu gestehen, daß es für die junge Schloßherrin das beste ist, ihr gewohntes Leben an der Seite des gehaßten Hauslehrers weiterzuführen und für die Tochter hinauszugehen, um den Bann abzuschütteln. So merkwürdig die Geschichte klingt, man muß zugeben, sie könnte in Frankreich sich zugetragen haben. Die schauspielerischen Leistungen Paula Wcsselys und Rudolfs bringen den Zuschauer auch über die Härten der deutschen Ubersetzung, die an sich gut getroffen ist, hinweg.

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