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Graz: Theater des Herzens

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Es tut gut, von der Bühne her, statt intellektueller Artistik oder schablonenhaften Lustspieltons endlich wieder die Stimme des Menschen zu hören. Ob aus dem jugendlichen Pathos Schillers, dem versöhnenden Lächeln des alternden Shakespeare oder aus dem kindlichen Gottvertrauen eines gläubigen Amerikaners unserer Zeit, immer spricht das Herz eines Dichters zu uns, und die Schaubühne wird durch sie aus einem psychologischen Konstruktionsbüro wieder Forum des Lebens.

Die Bedenken, die erst gegen eine neuerliche Grazer Inszenierung von „Kabale und Liebe“ innerhalb weniger Jahre laut wurden, während man den übrigen Schiller sehr stiefmütterlich behandelt, zerstreute der Erfolg der Aufführung. Im kleinen Raum der Kammerspiele verdichtete sich das Geschehen und steigerte sich die Unmittelbarkeit der Wirkung. Für den nicht vorurteilsfreien Schiller-Kenner mag die stark gekürzte Fassung schmerzhaft gewesen sein, wer aber das Theater um des Theaters willen besuchte, den mußte der leidenschaftliche, pausenlose Ablauf der Handlung in seinen Bann ziehen, auch dann, wenn man nachher erkannte, daß durch die Kürzung die Gestalt des alten Miller ungewohnt stark hervortrat, so daß Luisens Entscheidung zwischen Vater und Geliebten fast zum Kernpunk der Handlung wurde.

Wie Schillers Gestalten endlich wieder ein Publikum mitrissen, zauberte Shakespeare als Märchendichter seine Zuseher aus dem Hader des Tages in die traumhaften Reiche Siziliens, und des Küstenlandes Böhmen. Das „W i n-, termärche n“, vielleicht zusammen mit ( dem „Sturm“ die Krönung Shakespeareschen Werkes, erlebte eine festlich beschwingte Aufführung, die dem Sinn des Werkes gerecht wurde.

Freilich nicht an künstlerischer Kraft, aber an Wärme wirklichen Gefühls kommt Emmet Laverys Schauspiel von der Gesellschaft Jesu, „Die erste Legion“, den beiden klassischen Werken nahe. Längen und vor allem einige Fehlbesetzungen beeinträchtigten leider stark den Wert der Aufführung, oder war es auch eine Scheu vor dem Jesuitenstück,was den Publikumserfolg so gar nicht dem Werke gerecht werden ließ? Die Scheu verspäteter Bürger des 19. Jahrhunderts oder die Gleichgültigkeit einer von Materialismus und Nationalismus breitgeklopften Masse, kurz all derer, denen Christentum eine weit zurückgelassene Station bedeutet, und die es nach einer Schule von Enttäuschungen aufgeben wollen, wieder zu glauben. Daß aber Vertrauen in Gott etwas anderes ist, als fanatisches Gehorchen, das sie „Glauben“ nannten, gerade das verkündet Laverys Schauspiel, in dem der schlichte, frohe Glaube eines Kindes zum Wunder erblüht und so dem unbeugsamen Wahrheitsucher und dem verhärteten Atheisten Gottes Liebe beweist, was selbst den „Legionären Gottes“ in diesem Stück nicht gelungen ist. Sie, die durch Wunder Glauben predigen wollten, müssen erkennen, daß es uns Gott nicht so leicht macht: erst aus dem Glauben wird das Wunder geboren. Gesunde Selbstkritik und humorvoller Dialog lockern den Ernst der Handlung, und wenn auch ein europäischer Dichter das Stück philosophisch tiefer durchdacht hätte, gerade hier tut es not, wieder schlichter denken zu lernen, der Stimme aus einem geistig weniger belasteten Volk zu lauschen.

Endlich war es noch eine österreichische Uraufführung, die die Jahreswende im Grazer Theaterleben zu einer ereignisreichen werden ließ: Hartleys Dramatisierung von Oscar Wildes „Dorian Gray“. Das Stück hält sich teilweise bis in den Dialog streng an den Roman. Wohl die beste Lösung, denn aus dem Werk wirkliches Drama zu schaffen, wäre vergebliches Bemühen. So fesselt die Gestalt des Lebenskünstlers auch von der Bühne her, brillieren die Wildeschen Paradoxe und erkennt der Zuhörer, daß das Schicksal des seltsamen Jünglings und der Menschen um ihn mehr ist als das phantasievolle Gebilde eines Modedichters der Jahrhundertwende. Aber die Logik Oscar Wildes verführt, zwing* dazu. Auch die Güte dieser Aufführung und die Wahl des Stückes rechtfertigen die Hoffnungen für das neue Jahr am Grazer Theater.

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