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Adventpremiere

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Nach dem großen Erfolg der Berliner Aufführung ist nun im Akademietheater Eugen O'N e i 11 s Drama „Eine* langen Tages Reis in die

Nacht“ herausgekommen. In einer großartigen Aufführung. Wobei gleich vermerkt werden muß: ohn eine außerordentliche Leistung der Schauspieler war dieses Stück kaum erträglich. So aber wirkt es beklemmend, erregend und, im breit ausrollenden letzten Akt, wie ein Epos. Man denkt an Tschechows Kirschgarten, an Thomas Wolfes breite, epische Darstellung des Lebens und Scheiterns seiner „Helden“; wie riesige Ströme, Düna und Mississippi, wälzen sich die Massen des Leides, schmutzige, schmerzliche Fluten, an den Zuseher heran. Ihre eigentümliche Beleuchtung und Verklärung erhalten ie „nur“ dadurch, daß sie sich voll und ganz ausrollen, selbst darstellen können: in ihrer Gnaden-losigkeit, in ihrer Aufrichtigkeit liegt ihre Humanität, ihre harte Begnadung. — Es geschieht „nichts“ in den dreieinhalb Stunden, in denen sich da vier Mitglieder einer Familie gegenseitig anfallen, offenbaren, zerfleischen. Alles ist schon geschehen. Das aber geschieht neu: die alten Wunden brechen in einer Weise auf, daß sich ihre Träger im Blitzlicht des Jüngsten Gerichts, das sie sich selbst sprechen, erkennen, bis in die letzten Abgründe hinein. Das ist Gnade. Dies mitteilbar zu machen, gelingt der Kunst Alma Seidlers, Attila Hörbigers und Alexander Trojans (in Abstand ist der jüngere Bruder, A. Wolf, zu nennen). Die Mutter: eine „Spritzerin“, wie sie, im Aufschrei des Hasses und der Liebe, der ältere, ungeliebte Sohn nennt. Eine Morphinistin, die ihr Leben im Taumel des Giftes und der Erschöpfung, in Selbstanklagen über den Tod eines Kindes und in verzweifelten Attacken gegen ihren geliebten Mann und den ungeliebten älteren Sohn verwest. Dieses Verwesende, in den Wahn und Gram Verschwebende, gestaltet Alma Seidler unvergeßlich. Es gibt gegenwärtig ganz wenige Schauspielerinnen von Weltformat, die dieser Rolle gewachsen sind. Alma Seidler ist es. Ihr ebenbürtig der geliebte und gehaßte Gatte, Attila Hörbiger. Ein „Geizhals“, der zumindest mitschuldig ist an der Giftsucht der Gattin und am Hinsterben seines jüngsten Sohnes Edmund, da er beiden nur billigste Aerzte zukommen Heß. Wenn aber, im letzten Akt, dieser „Mörder“ die Geschichte eines Lebens erzählt, dann weht leise ein ganz großer Atem über die Bühne: Atem der Weite, des gelebten Lebens Dichtung als Verdichtung ausweglosen Leides.- Dieser irische Proletariersohn konnte Zeit seines Lebens die Angst vor dem Armenhaus, vor dem Sterben seiner Mutter dort, nicht überwinder. Schwierig wie diese Rolle Ist die des älteren Sohnes, James Alexander Trojan erreicht hier eine Meisterschaft, die einen Höhepunkt seiner schauspielerischen Karriere darstellt. James, der ungeliebte Sohn seiner Mutter Marv, ist ein gescheiterter Schauspieler, der sich dem Suff und den Frauen ergeben hat. Dieses verzweifelte Subjekt hat seinen jüngeren Bruder, den Liebling der Mutter, zu all dem verführt, was ihn selbst zugrunde richtet, um ihn mit hineinzureißen in sein Verderben. Edmund stirbt an Schwindsucht dahin . .. Lind nun fallen sich diese vier Mitglieder einer Familie gegenseitig an und werfen sich alles vor, was sie einander angetan haben, bewußt und unbewußt, willentlich und gegen ihren Willen.

Und da kommt nun das spezifisch Katholische dieses Dramas zum Ausdruck: es besteht nicht darin, daß der Vater bekennt, trotz allem täglich zu beten, und daß die Mutter davon erzählt, sie wäre gerne Nonne geworden. Es besteht in der eigentümlichen „Breite“ dieser schwachen, schuld- und sündhaften Menschen, die sich ebensosehr lieben wie hassen. Ja, sie lieben sich auch, und ihre Umarmungen zwischen ihren Zerfleischungen sind ebenso echt wie diese. Sie beruhen auf dem Glauben an das kleine Wörtchen „und“, das Karl Barth in der Zeit seiner stürmischesten Vertretung der dialektischen Theologie des Katholizismus als Zeichen seiner Ver-teufelung vorgeworfen hat. Diese Vier da wissen noch, in all ihrer Schwäche und Verfallenheit, um das „und“: sie sind gescheitert, sie gehen unter, sie wissen, daß sie nicht viel wert sind. Aber sie wissen auch — und deshalb seiden sie weiter, auch nach dem letzten Aktschluß, töten nicht und begehen nicht Selbstmord,, obwohl „alles“ verspielt und vertan ist —: das, was sie da aufführen in ihren engen vier Wänden, ist nicht alles. Jeder einzelne von ihnen ist nicht nur dieser elende Sünder, dieses „Schwein“, süchtig, geizig, verkommen, schwindsüchtig, sondern ist zugleich ein anderes und mehr: verbunden, durch das „und“, mit dem Kosmos (wie es der ehemalige Matrose Edmund ausdrückt), mit dem Geist (wie es der Nietzscheaner Jaimes meint), mit der Jungfrau Maria, wie es die Mutter Mary, und mit Gottvater, wie es der gescheiterte Vater bekennt.

Kommunikation ist alles. Die Kommunio der Heiligen wird durch die Kommunikation der Sünder bewahrheitet. Wer Schwierigkeiten hat, das zu verstehen, sehe schnellstens das Stück an und lese dann eine typisch prostestantische Tragödie, etwa Hebbels „Maria Magdalene“, wo lauter an sich lautere, anständige Menschen sich gegenseitig töten, weil sie aus dem Ich nicht herausfinden. Das protestantische Drama ist Tragödie, Bericht vom Untergang des Ichs, das in den Abgrund der Kontaktunfähigkeit stürzt, und endet deshalb immer als Tragödie, als Vernichtung des Ichs. Das katholische Drama beginnt als Tragödie, als Ausfaltung der Brüchigkeit und Heillosigkeit des Menschen, und endet in der „Erlösung“, im Eingang in die letzte Kommunikation. In diesem Sinne ist es richtig, zu sagen, es gebe, genau genommen, keine katholische Tragödie.

O'Neill gelingt es in diesem seinem oft mißverstandenen Werk, diese „Erlösung“, die ein älteres, barockistisches Schaustück allzuoft billig-oberflächlich in äußere Lösungen verlegt hatte, ganz hereinzunehmen in das immanente Geschehen: im letzten Bild umstehen Vater und Brüder die in den Wahn entrückte Mutter offenen Mundes. Heilloses Entsetzen liegt auf ihren Zügen. Zugleich spürt, weiß man: diese Tischgemeinschaft der Sünder ist in einer innersten Dimension einander selig verbunden, die kein Gift töten, keine Untat aufheben kann. — Eine unvergeßliche Aufführung.

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