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Innsbruck und Graz zu Gast

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Austauschgastspiele zwischen Theatern aus den Bundesländern und Wiener Theatern sind nicht hoch genug zu schät- len, sollten sie doch anregen und zu Vergleichen herausfordern. Voraussetzung dazu wäre, Begegnungen dieser Art regelmäßiger zu gestalten und sorgfältig vorzubereiten, um so mit überzeugenden Leistungen aufzuwarten. Die letzten Gastspiele der Innsbrucker und der Grazer Bühnen kamen allerdings mehr zufällig zustande, weil das Burgtheater in Helsinki gastierte und so das Akademietheater für Gäste zur Verfügung stand.

Die Innsbrucker Kammerspiele servierten ihre österreichische Erstaufführung der zweiaktigen Komödie „Zum Frühstück zwei Männer“ von Karl Witt- Unger. Der junge Autor hatte seinerzeit mit seinem amüsanten und hintersinnigen Stück „Kennen Sie die Milchstraße?“ einen beachtlichen Beitrag zum deutschen Theater geleistet, der ihm viel Anerkennung im In- und Ausland einbrachte. Den damaligen Erwartungen hat Wittlinger seither eigentlich nie mehr ganz entsprochen, wenn ihm auch Witz, gewandte Dialoge, Überraschungseffekte, kurz, amüsante Unterhaltung fast immer nachzurühmen sind. In seinem letzten Stück schwankt Lilith, jugendliche Direktrice eines Mannequinstudios, zwischen dem Wunschtraum als große Schauspielerin und der Realität einer geschickten Modeschöpferin. Und ebenso schwankt sie in ihrer Liebeswahl zwischen dem tapsigen, lebensdummen, einer makabren Erfindung hingegebenen Chemiker und Wohnungsnachbarn und einem durch Zufall eingedrungenen Großindustriellen, der hinter dem Mannequinstudio ein ganz anderes -Etablissement vermutet hat.

Die zwischen Spiel und Wirklichkeit schillernde Frauengestalt erfordert eine brillante Darstellerin. Es wäre eine Rolle für einen weiblichen Bühnenstar. Irmgard Gutmann wurde ihrer Aufgabe auf nette, attraktive Weise gerecht. Stärker wirkte Helmut Wlassak als spintisierender „Erfinder“; mit unaufdringlichem Humor spielte er einen „Schwierigen“ unserer Tage. Kurt Sterneck entwickelte als Regisseur mehr Witz denn als Kunstdüngerfabrikant und nach seiner ausgerissenen Tochter suchender Vater. Es gab freundlichen Beifall für Darsteller und Autor, wobei man sich insgeheim wünschte, die Innsbrucker kämen bald wieder einmal mit einem gewichtigeren Stück nach Wien.

Die Grazer kamen mit Nestroys „Der Unbedeutende“, einer der letzten Eröffnungspremieren des neuen Grazer Schauspielhauses. 1846 entstanden, ist „Der Unbedeutende“ neben dem „Schützling“ (1847) die bedeutendste von Nestroys gesellschaftskritischen Komödien am Vorabend der Revolution, voll trefflicher Milieuschilderung und reich an Charakteren. Ohne Beschönigung zeigt Nestroy Anständige und Schurken unter den Vornehmen wie im Volk und kleidet die aggressive Kritik an den öffentlichen Angelegenheiten in die Form einer politischen Allegorie. Anders als sonst manchmal Nestroy ist hier auch Platz genug für das Schauspielerische, ohne daß gleichzeitig- die vielgerühmte Schlagfertigkeit in Nestroys Sprache, dieser hochmodernen, frechen, respektlosen Bühnensprache, zu kurz käme.

Aufführung und Darstellung der Grazer erwies sich in der Inszenierung von Helmuth Ebbsals eine starke komödiantische Manifestation für Nestroy. Das Pauschallob gilt für alle Mitwirkenden. Uni nur einige von ihnen zu nennen: Rudolf Buczolich war der brave, ritterliche Zimmermann Peter Span, Gerti Pall dessen verleumdete, rührende Schwester Klara, Hans Dolf der pfiffige Thomas, Erpresser aus Gutmütigkeit, der gut profilierte Anton Lehmann und Olga Voll. Die praktikablen Bühnenbilder schuf Robert Ernst Jahren, die pointierten Kostüme Edith Pfitzner. Viel freundlicher Beifall für die Gäste.

Fast könnte man vergessen, daß Fėlicien Marceaudurch mehrere Romane und ein ausgezeichnetes Balzac-Buch rühmlich bekannt geworden ist und neben anderen Bühnenwerken der Verfasser der Komödie „Das Ei“ ist, eines geistreichen Stückes, das voller Witz und dramatischer Prägnanz die gesellschaftliche Mechanik und menschliche Animalität an Hand der Geschichte und Karriere eines „gewöhnlichen“ Zeitgenossen entlarvte. Fast könnte man es vergessen angesichts seines eben im Theater in der Josefstadt aufgeführten Stückes „Der Manager“(La preuve par quatre). Ein von seinen Geschäften und Konkurrenten geplagter Textilfabrikant hat sich ein System zurechtgelegt, um den Komplex Liebe besser in den Griff zu bekommen. Er zerlegt ihn in die drei Teile: Zärtlichkeit, Sinneslust, Geborgenheit, wobei er seine Technik an lebendigen Objekten demonstriert. Szenische Effekte: Im Vordergrund Erzähltes wird im Hintergrund episodenartig eingeblendet, und einige Wortwitze bieten eine gewisse Auflockerung, aber das Ganze ergibt kein Stück, sondern nur aneinandergereihte Situationen, darunter nicht wenige des Peinlichen.

Wenn das Programmheft aus einer Besprechung der französischen Uraufführung in Paris unter anderem den Satz zitiert: „… die einzelnen Szenen gleichen der Garbe eines brillanten Feuerwerks, die so dicht aufeinanderfolgen, daß es den Zuschauern den Atem verschlägt“, so hört sich das in Wien, wo das Publikum ab und zu einen Lacher von sich gab, arg übertrieben an. Ein: wenig mag daran sohwld sein,; daß Heinrich Schnitzler vielleicht zu gewichtig Regie führte und Hannes Messimer seinen Arthur mit soviel zappliger Nervosität ausstattete, daß sie einen nicht erheiterte, sondern auf die Nerven fiel. Von den zahlreichen Randfiguren konnten Ursula Schult als überspannte, vorurteilslose Mutter einer noch vorurteilsloseren Tochter, Marianne Chappius als überaus drolliges Zimmermädchen und Helly Servi als ahnungslos staunende Sekretärin ihres experimentierenden Chefs den Hauptanteil des Beifalls aul sich beziehen. Reizend die verspielt beweglichen Bühnenbilder von Peter Hadfy-Kovacs.

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