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Vor allem Klassiker

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West und Ost begegnen einander am nächtlichen Bodensee. Der Bürgermeister jener holländischen Stadt, in der — der Legende nach — Peter der Große den Schiffbau, lernte, weilte in Bregenz zu Gaste, während ein Amerikaner mit slawischem Namen den Zaren repräsentierte und das Prager Nationalballett tanzte — wieder einmal geht die Kunst in der Koexistenz den Staatsmännern voran.

Leider begannen die Bregenzer Festspiele 1967 mit einem Defizit, nicht in der Kasse, sondern künstlerisch. Die internationalen Welturaufführungen sind eingestellt. Gewiß, manches Spiel der letzten Jahre hat die Gunst der Kritiker nicht erworben, aber es war Anlaß zur Diskussion und zog die literarische Prominenz nach Bregenz. Selbst der ärgste Skeptiker mußte Reinhold Schneiders „Großen Verzicht“, Max Zweigs „Franziskus“ und Frank Zwiliingers „Galileo Galilei“ als Leistungen anerkennen. Daß die Welt-Uraufführungen kein „Geschäft“ waren, ist Binsenweisheit; die Auswahl hätte strenger sein dürfen, als in den Vorjahren Brauch wurde, aber mußte deshalb eine Lücke aufgerissen werden, die durch eine saubere, fleißige Wiedergabe von Bekanntem nicht ganz geschlossen werden kann?

Eine gelinde Entschädigung für die entfallene Uraufführung war die Wiedergabe von Shakespeares „Wie es euch gefällt“ durch das Wiener Burgtheater. Es ist doch großartig, wie der sprachgewaltige Brite, dem das historische Drama am nächsten liegt, aus einem reichlich unwahrscheinlichen Stoff ein stundenlanges Spiel von Situationskomik und blendender Dialoge macht! An der Spitze der Darsteller steht naturgemäß Johanna Matz als Rosalind/e, die es glauben läßt, daß Mädchen in ihr den schönen Jüngling Ganymed sehen, während Orlando (Wolfgang Stendar) auf Schritt und Tritt an seine Rosalinde erinnert wird. Dazu die ' vielen, durchwegs glänzend besetzten Gestalten, der Hofnarr (Erich Aberle), der sentimentale Amiens (Fred Liewehr), der skeptische Jacques (Alexander Trojan), an der Spitze Stefan Skodler als nobler Herzog in der Verbannung des Ardennerwaldes; zwei ganz Große von der „Burg“, Richard Eybner und Paul Hörbiger, brillieren als Pfarrer, Textdreher und Schäfer CorinnuS. Nicht übersehen seien Helma Gautier als Celia und Eva Kerbler als Phöbe. So lag auf dem Spiele keineswegs der Staub von vier Jahrhunderten, es riß hin, als wäre es, für den Bregenzer Festtag geschrieben.

Der Dauerkrieg zwischen dem österreichischen Sormnerwetter und dem nächtlichen Spiel auf dem Bodensee hat heuer eine Eskalation erfahren. Nach vier Wochen Sonnenschein, die einen Rekord über 18 Jahre schlugen, brach die Generalprobe zu „Zar und Zimmermann“ in einem Umwetter buchstäbMch zusammen; einige kleine Wünsche, welche die Premiere offen ließ, bestätigten erneut die Notwendigkeit einer Generalprobe, deren Fehlen sich irgendwie rächt. Die Erstaufführung selber fand in einer Pause zwischen den Gewittern, und von ihnen nicht ganz unberührt, statt.

Wir hatten „Zar und Zimmermann“ in Bregenz schon dm Jahre 1957 gesehen Oskar Czerwenka, der das Spiel tragende Bürgermeister und zweite Salomo, sowie Karl Ter-kal als der kluge französische Gesandte sind wieder gekommen. Neu sind heuer das Liebespaar Peter Iwanow (Martin Vantin) und Marie (Elisabeth Witzmann). Die Rolle des Zaren hat der Amerikaner Raymond Wolansky übernommen; Lortzing läßt ihn und das Publikum den ganzen Abend warten, bis er seine Bravourarie „Einst spielt ich mit Zepter, mit Krone und Stern“ zu Gehör bringen kann (und dies bei einem Wetter, das jeden Augenblick den Abbruch der Vorstellung befürchten läßt...). Als arroganter Brite, der auf den falschen Zaren setzt, führte sich der junge Vorarlberger Horst Kathan ein. Mit Hilde Konetzni, der Witwe Browe, gab es ein dankbares Wiedersehen.

Das Bühnenbild des „Zar und Zimmermann“ ist ein Schwelgen in leuchtenden Farben. Die Inszenierung von Adolf Rott und die Bühnengestaltung von Ottowerner Meyer nützten die Breite des Raumes und die Lichtwirkungen in stets neuen Einfällen. Besonderes Lob gebührt Grete Volters für den Entwurf der Kostüme.

Von den drei Dramen aus Franz Grillparzers Nachlaß ist „Libussa“ das hintergründigste und darum am schwersten aufführbare. Innerhalb eines Jahrhunderts wagte sich das Burgtheater bisher erst dreimal an die „Libussa“, ist es doch fast ein Zuviel der Probleme, die der Dichter meistern will: den Übergang des Ahnungsvollen zur Vernunft, vom Menschlich-Guten zum Gesetz, von der slawischen Naturhaftigkeit zum deutschen Begriff von Stadt und Staat; Selbst die mann-weibliche Bipolarität unterspdelt das im tiefsten Sinne politische Drama.

Daß Regisseur Leon Epp einrichten und streichen mußte, ist klar. Daß die grandiose Prophetie im 5. Akt seinem Rotstift verfiel, ist unverzeihlich. Daß „alle Völker dieser weiten Erde nach und nach auf den Schauplatz treten“, nach dem „blaugeaugten Volk“, das zu Grill-parzers Zeiten dominierte, die Slawen „breit und weit, allein nicht hoch, noch tief“, brauchte man in Bregenz nicht zu hören. Wenn dann ausgerechnet der Vers „Die lang gedient, sie werden endlich herrschen“ stehen bleibt, wird der Akzent von der nationalen Abfolge willkürlich ins Soziale versetzt.

Trägerin der Titelrolle ist Martha Wallner. Das Kind der höheren Welt findet zarteste Töne der Liebe zum irdischen Manne, zum erdhaften Bauern, und muß als Gemahlin des tatkräftigen Fürsten zerbrechen. Die Spannweite ihres Ausdrucks an der Weissagung zu erproben, hat der Regisseur seiner Libussa erspart. Bei Erich Auer als Primiislaus, dem bäuerlichen Staatsmann„ der, weder Gelehrter noch Krieger, zum Führer seines Volkes wird, hatten die Vorarlberger Zuschauer Gelegenheit, Vergleiche zur eigenen Landesgeschichte zu ziehen.

Und wieder der Gegensatz zwischen den Schwestern Libussas, die den Schritt aus der Märchenwelt in die Wirklichkeit nicht begreifen, und den sehr, sehr irdischen Stammeshäuptlingen! Liselotte Schreiner und Lilly Stepanek verkörpern die

Schwestern in edler Sprache, Heinz Grohmann, Otto Kerry und Fritz Lehmann in wohl ausgewogener Mischung von primitiver Schlauheit und dem Talent, vor lauter Schläue hereinzufallen, die Wladiken, wie sie sich, wenig verändert, in östlichen Ländern bis in die jüngste Vergangenheit erhalten haben. Ein Sonderlob gebührt Ella Ferstel als Dienerin Wlasta.

Und noch ein Stück Böhmen kam nach Bregenz: das Ballett des Prager Nationaltheaters. „Coppelia“ von Leo Delibes war als Ausweichvorstellung für verregnete Seeaufführungen gedacht; da aber das Wetter — wenigstens nach der Premiere — ausnehmend gnädig war, wurde es dankbar begrüßt, daß „Coppelia“ zweimal als selbständiges Abendprogramm über die Bretter ging. Der Stern der Aufführung war die ausdrucksfähige Marta Drottnerova als Swanilda, während sich Vlastimil Jilek (Coppe-lius) als hervorragender und wand-lungswilluger Charaktertänzer bewährte. Stilistisch liegt das Prager Ballett glücklich zwischen westlichen Formen und der klassischen russischen Tanzkunst.

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