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Hauptdarsteller: Bodensee

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Die Geschichte von der Witwe von Ephesus ist uralt uąd überdies den Bregenzer Theaterfreunden erst vor ganz kurzer Zeit durch Christopher Frys „Ein Phönix zuviel" vorgesetzt worden. Hans Homberg hat das Motiv ins Chinesische übertragen und zugleich zum Quadrat erhoben. Die Witwe Nr. 1 wird mit Hilfe eines weisen Mannes sehr schnell getröstet, worüber sich dessen Gattin pflichtschuldig entrüstet. Als aber der gelehrte Meister des Tao selber auf der Totenbahre liegt, findet seine Gebieterin ebenso schnell den erwarteten Ersatz. Zum Schluß fehlen Happy-End und Lehre nicht: der Taoist hat die ganze Geschichte nur inszeniert, um seinem Weibe zu zeigen, daß es auch nur eines jener Weibchen ist, von denen man nichts Unmögliches verlangen soll, worauf die ewige Eva antwortet, daß der Gatte selber schuld war, weil er sie in Versuchung führte. Cost fan tutte in neuer Auflage, wobei das prachtvolle Bühnenbild von Gottfried Neumann- Spallart wirklich für zweieinhalb Stunden in die feierlichen Formen des Fernen Ostens versetzt.

Ein Stoff, an dessen Bearbeitung sich die Dichter von mehr als zwei Jahrtausenden versucht haben, bedingt einen niemals abreißenden und immer in Spannung haltenden Dialog. Ihn meistern Kräfte des Wiener Burgtheaters in unvergleichlicher Form. Hilde Mikulicz ist eine Taitai, die alle Register von zärtlichster Hingesunkenheit bis zu triebhafter Raffinesse blendend beherrscht. Neben ihr wirkt Angelika Hauff als. Liniy, Witwe Nr. 1, um einen Strich frivoler. Hervorragend zeigt, sich Dagny Servaes in der Rolle der Dienerin Yatu, die jeweils die Situationen erfaßt und genau das tut, von dem sie annimmt, daß es den unausgesprochenen Wünschen der Herrin entspricht. Die männlichen Hauptrollen sind stark gegensätzlicher Art: Heinz Moog als der Philosoph Pong ergeht sich in fernöstlichen Weisheitssprüchen, um schließlich doch zum Sklaven seines Weibes zu werden, und Robert Lindner als Prinz Tschinys ist die ganze Eitelkeit und Siegessicherheit des hochgeborenen Jünglings. So machten dichterische Gestaltung und Spiel den Abend zu einer eindrucksvollen Eröffnung der Bregenzer Fest- .MAKYCglÄrViAIJQ ®A

Hombergs „Chinesische Witwe“ wurde ausgewählt unter 478 Werken aus 15 Sprachen, die für den Bregenzer Schauspielwettbewerb eingereicht worden waren. Der erste Preis fiel auf das Drama „Der große Verzicht“ von Reinhold Schneider, welches im Jahre 1958 aufgeführt werden soll.

Nach allgemeinem Urteil ist „Zar und Zimmermann“ in der Bühnengestaltung von Fritz Judtmann das schönste Spiel auf dem See, das Bregenz jemals erlebt hat. Das Bühnenbild ist einfach bezaubernd. Das Orchester ist in ein Schiff verlegt. Windmühle und engbrüstige Häuser führen in das Idyll des alten Holland, in dessen Rahmen das Rathaus mit dem Glockenturm wundervoll paßt. In der letzten Szene gleitet der Zar auf einem Schiff in die Ferne, das größer ist als die Karavellen, auf denen Kolumbus nach Amerika fuhr. Auf einer Bühne mit solcher Breite können sich Volksszenen entwickeln und kann man den klassischen Holzschühtanz des letzten Bildes nach beiden Seiten scheinbar grenzenlos wachsen lassen. Der große Hauptdarsteller von Bregenz, der Bodensee, ist heuer endlich wieder nach allen Möglichkeiten aussenützt.

Dazu zeigt sich der Vorteil, eine wirkliche Oper abrollen zu lassen, nicht eine Operette. Diesmal vereinen sich Tonkunst und die Inszenierung von Adolf Rott zu einer Vollendung, bei der kaum noch eine Steigerung möglich scheint.

Die sechs männlichen Rollen — Oskar Czerwenka als Bürgermeister, Karl Terkal als französischer, Marian Rus als russischer und Hans Günther-Nöcker als englischer Gesandter, Peter Klein als Peter Iwanow und Eberhard Wächter als Zar — sind durchaus Starbesetzung. Ob man Terkals „Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen" oder Wächters „Einst spielt ich mit Zepter, mit Krone und Stern" oder den bekannten Arien, jlie Czerwenka in unerhörter Modulationsfähigkeit abwandelt, den Vorzug geben will, bleibe dahingestellt. Auf gleicher Höhe stehen Hilde Rössel-Majdan als Witwe Brown und Emmy Loose als herzliebe Marie. Die Wiener Symphoniker dirigiert Heinrich Hollreiser, das Wiener Staatsopernballett leitet Erika Hanka. Besonderes Lob gebührt dem Bregenzer Festspielchor. Ton. Farbe und darstellerische Kunst schaffen eine nächtliche Symphonie um den Bodensee.

Das Wiener Staatsopernballett, wieder dirigiert von Heinrich Hollreiser und geleitet von Erika Hanka, erlebt Bregenz heuer in zwei Werken aus dem Bereich der modernen Musik, dem „Rondo vom goldenen Kalb" von Gottfried von Einem und „Othello" von Boris Blacher. Die tänzerischen

Leistungen sind von ungeheurer Kraft. In der „Hochzeit" entwickeln Lisi Temple und Willy Dirtl hinteißende Effekte; die nachfolgende. Revolutionsszene vermittelt großartige Massenwirkungen, während das dritte Bild, die „Roulette“, wieder die individuellen Leistungen hervortreten läßt. Im zweiten Spiel zeigt sich Willy Dirtl nicht nur als genial begabter Tänzer, sondern zugleich. als Mimiker, der alle Stufen der Leidenschaft, Schuld und Sühne zu beherrschen versteht. Im Ballett ist Desdemona bereits tot und Othello durchläuft visionär die Geschichte seiner Liebe, seiner Eifersucht und Schuld. Neben ihm wirkt Christi Zimmerl als Desdemona besonders zart. Ein glänzender Einfall der Regie ist das Ritornell, das nach jedem Bilde von Lisi Temple, Gerlinde Dill und Kurt Hieß getanzt wird.

So haben die Bregenzer Festspiele schon in der ersten Woche die Leistungen früherer Jahre beträchtlich übertroffen. Dabei stehen Oper und großes Schauspiel sowie die Konzerte noch bevor.

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