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Neue Ballette und Shakespeare

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Was mit dem Salzburger Landestheater während der Ära Matiasek vorgegangen ist, läßt sich nun, da sie sich ihrem Ende nähert, im vollen Ausmaß überblicken. Wenn auch nicht alles gelang, was unternommen, nicht alles erreicht werden konnte, was angestrebt wurde, ist das Gesamtergebnis doch sehr bemerkenswert. Außer einem interessanten Spielplan und einem an jungen Talenten reichen Ensemble bot das Theater seinem Publikum etwas in der Provinz nur selten Realisiertes: einen aus den gegebenen Möglichkeiten entwickelten, durchaus eigenständigen Aufführungsstil. Wohl war das theatralische Geschehen manchmal umstritten — eines aber muß anerkannt werden: Langweilig war es nie. Die beiden letzten Premieren haben es neuerlich demonstriert.

Der Ballettabend in der Choreographie Manfred Tauberts wurde verdientermaßen ein bedeutender Erfolg. Das einleitende handlungslose Ballett nach dem Concerto grosso in F von Antonio Vivaldi, nur von drei Personen getanzt, war eine vollendete Übertragung der musikalischen Gestalt ins Tänzerische. Leider mußte dann der berühmte „Carnaval“ von Michael Fokine mit der Musik Robert Schumanns zu einer Tonbandbegleitung getanzt werden, weil sich das Orchestermaterial als unverwendbar erwies. Gleichwohl gedieh das Kreisen der Commedia-dell'arte-Figuren um den melancholischen Pierrot zu schwebender Anmut. Den tiefsten Eindruck hinterließ die Uraufführung des Tanzdramas von Manfred Taubert, „Die Geschwister“, einer tragischen Pantomime um Liebe und Verrat, um Schuld und Sühne, Lust und Tod. Die dichte Handlung wird von vier Personen getragen und zeigt das Menschenherz in seiner Getriebenheit und in seinem Preisgegebensein. Dem Ausdruck der Urangst und der Verlassenheit dienten die Photoprojektionen des Bühnenbildes von Günther Kilgus ebenso wie die elektronische Tonkulisse Johnny Mandels. Die tänzerische Gestaltung erinnerte an die Bewegungskunst Maurice Bejarts. Friederike Singer erschütterte als das verlassene junge Mädchen, Manfred Taubert, Heinz Schulze und Regine Petran boten großartige Leistungen. Den Abschluß machte die „Soiree espagnol“ (Musik von Jules Massenet aus „Le Cid“) mit brillanten solistischen und gruppenweisen Evolutionen. Als bester Tänzer nach den bereits genannten erwies sich Joachim Gerster. Von den Damen gefielen noch Zlata Ste-pan in ihrem kraftvollen Stil, Sabine Cosse und Dagmar Hasencamp. Das heiter verspielte Bühnenbild zu „Carnaval“ stammt von Monika von Zallinger, die durchaus geglückten Kostüme entwarf Manfred Taubert. Der Weggang dieses hervorragenden Choreographen und Tänzers — er übersiedelt mit Matiasek nach Braunschweig — wird in Salzburg als schwerer Verlust empfunden werden.

Problematischer als der Ballettabend und Gegenstand lebhafter Diskussionen war Matiaseks Neuinszenierung von „Romeo und Julia“. Shakespeare entwickelt seine Dramen aus den Charakteren der handelnden Personen, aus der Wesenheit seiner Geschöpfe. Wie genial er auch den Handlungsablauf führt — das Individuum hat den Primat vor der Aktien. Der Schauspieler ist der Vollstrecker des Bühnengesetzes. In der Inszenierung Matiaseks ist es der Regisseur. Alles ist in Bewegung aufgelöst; die Charaktere, nach einem sehr dezidierten Regieplan geführt, kommen zu kurz. Das hat seinen guten Grund darin, daß aus dem Ensemble nicht alle Rollen überzeugend zu besetzen sind. So wird wenigstens eine stilistische Einheit erreicht. Für den Ausdruck starker Empfindungen bleibt dabei kein Raum. Haß und Liebe äußern sich mezza voce. Nur Peter Kol-lek als Romeo macht streckenweise eine Ausnahme. Er erinnert dann an Horst Caspar, gerät nur zuweilen in ein Tempo, dem er nicht gewachsen ist. Felicitas Ruhm ergreift durch kindliche Innigkeit. Leidenschaft und Tragik zerstören die Seele des Kindes Julia, aber sie brechen sie nicht auf. Als ungewöhnlicher, markant gezeichneter Bruder Lorenzo ist Dirk Bautzenberg hervorzuheben. Alle anderen sind nach bestem Vermögen bemüht. Die Simultanbühne Erich Kondraks enthält allzu viele Elemente; aber sie genügt trotzdem nicht, engt ein und beunruhigt. Als Ganzes gesehen: ein interessanter Theaterabend, der dem Publikum zu schaffen macht.

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