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Einladende Bühne

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Ein altes Erfolgsstück Alfred Neumanns, dem breiteren Publikum durch eine zweimalige Verfilmung (einmal mit Jannings) bekannt, „Der Patriot”, ist im Volksthe’ater in einer mitreißenden Aufführung neu herausgebracht worden. Die Vorgänge um die Ermordung des Zaren Paul I. und die Thronbesteigung Alexanders I. haben bekanntlich das russische Volk noch viele Jahrzehnte beschäftigt, die Legende wollte nicht an den Tod Zar Alexanders glauben, ließ ihn, büßend für seine Mitschuld am Tode des Vaters, als Mönch durch das heilige- unheilige Rußland wandern oder in Klostereinsamkeit sühnen. Reinhold Schneider hat in seiner Novelle „Taganrog” dieses Nachspiel behandelt. Alfred Neumann bringt das Vorspiel auf die Bühne. Sein Held ist nicht der von Gewissensqualen und Entwicklungshemmungen bedrängte Zarewitsch (von Palkovits glaubwürdig gestaltet), sondern der Gouverneur und starke Mann im Staat, Graf Pjotr Pahlen, „der Patriot”. Paul Dahlke gibt dieser Gestalt die in ihr liegende drängende Wucht; unerbittlich, vor allem auch gegen sich selbst, geht sie ihren Weg zur Beseitigung des wahnsinnigen Zaren, der das Reich in den Abgrund zu stürzen droht; dieser treue Diener seines Herrn, des Zaren (intim weiß er sich dem unglücklichen Paul verbunden, ist Fleisch von seinem Fleisch, wenn auch nicht Geist von seinem Geist), übernimmt für den Thronfolger, sein Gewissen zu sein. Da Zar Paul bei der erzwungenen Abdankung ums Leben kommt, nimmt sich der Patriot nachher selbst das Leben, durch den von ihm gedungenen Zar-Mörder, und entsühnt, so weit es an ihm liegt. Dahlke arbeitet, sehr selbstsicher, mit der Potenz und eigentümlichen Strahlkraft seiner eigenen Persönlichkeit und läßt an sehr klug ausgesparten Stellen einen Vulkan blitzartig explodieren. Das Brodelnde, gemeistert durch einen überlegenen Intellekt, bringt er sehr gut zum Ausdruck. Elfe Gerhart, seine Gattin, hier seine Geliebte, trägt nicht nur optisch, als glänzende Erscheinung, dazu bei, die geballte Kraft, die Macht dieses Mannes eindrucksvoll zur Geltung zu bringen. Hans Rüdgers, als Zar Paul, gibt eine Charakterstudie, die das Ambivalente, Ausschweifende und Hintersinnige russischer Naturen, eine „schirokaja natura” im Vollsinn, breit schwellend in seinen Heimlichkeiten und Unheimlichkeiten, ausmalt. Dieser Zar, wahnsinnig und angstgepeitscht, ein Schwächling und Lüstling, sieht in blitzartigen Erkenntnissen die Lage seines Reiches und seine eigene ausweglose Situation bis ‘in ihre Abgründe hinein ein; dadurch trägt er Züge eines Gekreuzigten, durch seine Schuld und seine Schwäche gekreuzigten Menschen, wie sie Dostojewskij so ergreifend gestaltet hat. Josef Hendrichs als Graf Panin, von der Last ebenfalls sehr :

Publikum nahm die Aufführung sehr aufmerksam und beifallsfreudig auf.

„Intermezzo” im Akademietheater; ein Giraudoux, der es in sich hat. Und eine sehr intensive Aufführung. Was macht dieser Zauberkünstler aus einer „Pubertätsaffäre” des Mädchens Isabelle, die sich ein Doppelleben erhalten will, eines in ihren Träumen, im Umgang mit der Natur, mit Geistern, den Toten und dem Tode, und ein Leben in dieser Welt, in einer Kleinstadt, mit einem kleinen Beamten als Gatten, mit bisweilen wenig liebens werten Zeitgenosseh? — Giraudoux läßt da zunächst einmal die „beiden Frankreich” aufeinander prallen, die seit Jahrhunderten miteinander ringen. Das freidenkerische, bourgeoise, aufgeklärte Frankreich der Republik des 19. Jahrhunderts, vertreten durch den von Paris entsandten Kontrollor, der die kleinen Städte, die bunten Departements „reinigen”, „säubern” soll. Ein später Nachfahre jakobinischer „Sauberer”, will er den „Aberglauben”, den Glauben an Geister, an Metaphysisches, an das Wunder und das Wunderbare „ausrotten”; er gleicht jenen biederen Beamten, die in diesem französisch-bürgerlichen 19. Jahrhundert den Kampf mit der „Dame von Massabielle” auf- nahmen, in Lourdes, und bekanntlich verloren. Hier, in dieser hintersinnigen Komödie, geht es um kleinere Dinge. Das Mädchen Isabelle ist aber doch eine Nachfolgerin der wundersehenden französischen Maimädchen, eine von den tausenden kleinen Verwandten der Jeanne aus Domrėmy, die noch die Feen unter dem Maibaum tanzen sah, und der vielen, die es heute da noch gibt. Als Lehrerin spielt sie sich mit ihren Kindern in eine Wunderwelt ein, in der alles zugegen ist, was in Alteuropas Sommernachtstraum an Geheimnissen geschaut wurde, ehe Film, Fernsehen und andere Dinge unsere Augen verblödeten, und wovon uns die großen Märchensammler und die Dichter, seit Shakespeares Sommernachtstraum bis zu Fry und Lorca, noch erzählen. Die Poesie, Erbin und Amtswalterin der Phantasie und des inneren Reiches. Giraudoux war aber zu sehr auch ein guter Bürger seiner Bürgerrepublik, um nicht ihren beiden Seelen Rechnung zu tragen. Isabelle muß nicht auf den Scheiterhaufen, der „Geist” zieht sich zurück, ebenso sein Partner in der Bürgerwelt; der junge Mann erhält Hand und Herz; es bleibt Erinnerung. Der Duft eines Gedichts. — Aglaja Schmid, die beiden Brüder Thimig, das Ensemble der Burg gestalteten eine Aufführung, die zum Besuch einladet.

Ein Intermezzo gibt’s auch im Theater am Parkring: nämlich Arthur Schnitzlers „Zwischenspiel”, eine etwas antiquierte Komödie in drei Akten. Schnitzlers Stücke leben von der Atmosphäre; von der zugleich unruhigen und müden Atmosphäre des Wiens der Jahrhundertwende. Gelingt es nicht, diese Atmosphäre auf der Bühne spürbar zu machen, dann scheinen alle Worte, alle Bonmots wie aus dem luftleeren Raum gesprochen und alle Personen zerfahren und zerknittert, wie fallengelassene Marionetten, die ein Windstoß durcheinander wirft. Da also die Atmosphäre Schnitzlers nicht wieder lebendig wird, zerfällt seine melancholische Welt in nichts. Ob das nun an diesem schwächeren Stück, an der Regie (Wolfgang Glück) oder an den befangenen Hauptdarstellern allein lag: Amadeiisl der Kapelffnįišter: (Thomas Valion), und seine Gattin Cäcilie, Operri- sängerin, wirkten reichlich affektiert, so daß keine Spannung, weder auf den Fortgang, noch auf den Ausgang des Spiels, entstehen wollte. Ein Lichtblick war Otto Tausig, der allerdings mit seinem Hans- wurst-Dichter die weitaus ergiebigste Rolle erwischt hatte. Mit edler Zurückhaltung sprach Wolfgang Riemerschmid den Part des jungen Fürsten Sigismund, der freilich weder die Ehe Amadeus’ noch die ganze Affäre retten konnte. Aber schließlich: was kann der Sigismund dafür?

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