6574231-1950_35_07.jpg
Digital In Arbeit

Westöstlicher Film-Diwan

Werbung
Werbung
Werbung

In einer vielbeachteten, animierten Erstaufführung des österreichischen Films „Das Kind der Donau wird, von östlich inspirierter Seite, der riskante Versuch einer Versöhnung der beiden augenblicklichen weltpolitischen Gegensätze wenigstens im Film unternommen. Ob aus grundsätzlichen oder bloß absatztaktisehen Erwägungen, sei dahingestellt. Der Versuch jedenfalls ist grundsätzlich gutzuheißen, audi wenn er Im ersten An-sprung noch nicht gelungen ist. Als ideelle Perspektive bleibt er gerade hier in Wien, am Schnittpunkt schroffer Kräftelinien, sogar ein Programm.

Der Versuch beginnt schon im Drehbuch und dehnt sich im Verlaufe des Films auf Musik, Tanz, Darstellung und Kamera aus. Dabei werden allerdings ein gutes Dutzend Chancen verpaßt. Der spannungsreiche, sinnfällige Gegensatz etwa zwischen dem weicheren Duktus der oberen Donau der Wachau und den strengeren Uferlinien der ostösterreichischen Donau wird, statt dramaturgisch anreizend und anfeuernd genützt zu werden, zu einer schwammigen Synthese verniedlicht, in der die ansonsten sehr ehrgeizige und alle Stimmungstrümpfe der neuen Farbtechnik nützende Kamera nervös und ungewollt komisch zwischen Dürnstein, Wien und Carnuntum hin- und herspringt. Das Ist eben von vorneherein keine landschaftliche Einheit, und es wäre eben die ehrlichste Aufgabe eines Films mit diesem verpflichtenden Titel gewesen, diese Einheit aus der Vielfalt geistig herauszuentwickeln. Das ergiebige Grundmotiv, der avantgardistische Selbsthilfeversuch einer jungen Theatergruppe, barg gerade in dieser Richtung tausend Möglichkeiten. Besser gelang der westöstliche Diwan im Tänzerischen und Musikalischen. Beide laufen im zweiten Teil des Films, besonders am Schlüsse, zu einem grandiosen Furioso auf, das manche Schwächen der ersten Hälfte verdeckt und den guten Gesamteindruck des Films rettet. Zwei so grundverschiedene Elemente, wie die verhaltene hohe Kunst unseres Staatsopernballetts und die lockerere, sprühendere der bekannten, jung und elastisch gebliebenen Marika Rökk, verschmelzen im wirbelnden Schnitt der Bilder und Töne mühelos zu einer östlich dezenten Revue von westlichem Schwung und Reiz. Hier ist auch die Achse, um die die Pole sausend rotieren, am deutlichsten zu spüren: das Vermittelnde, das Versöhnende, das österreichische.

(Weniger Einfall und Humor von selten der Veranstalter verriet es, den Kritiker 7ur schwierigen Bewertung gerade dieses problematischen, ersten österreichischen Nachkriegsfarbfilms in die fünfte vordere Reihe eines riesigen Kinopalasts zu verbannen. Der Kritiker war trotzdem bemüht, entgegen mancher verzerrten Perspektive, alles im richtigen Lichte zu sehen . . .) i

Jenen duftigen, kapriziösen Witz, der immer schon Claudette-Colbert-Filme ausgezeichnet hat, hat auch die jüngste Para-mount-Komödie .Fl o r I da -Ex pr ß. Ein belangloser Ehezwischenfall gibt dem Film Anlaß zu freimütigstem Spott über die kostspieligen Schrullen der oberen Zehntausend, jener sagenhaften Wurst- und Konservenkönige, nach deren Aufwand (und Spleens!) sich drüben 140 Millionen Tag und Nacht sehnen. Eine Pikanterie des auch sonst phantasievollen Films ist, In die Anfangstitel eine Art Vorspiel der Handlung hineinzukopieren. Witz und Problemstellung sind frei, aber nicht eigentlich anstößig. Uber Liebe und Treue, Ehe und Scheidung wird freilich trotz des moralischen Happy ending drüben geredet wie über Wurst und Brot, offenbar eine tiefere psychologische Folgeerscheinung der — Uberproduktion an Vieh und Getreide...

Robuster als der kultivierte Charme der Hollywooder Komödie Ist der saftige bajuwa-rische Witz des Lustspiels Zwei in einem Anzug“. Er verulkt in einem ansonst durchaus harmlosen Verwechslungsschwank die neue Kunst, nennt aber reichlich inkonsequent im selben Atem seine zwei Jünger Im Film durchaus achtbare, solide Könner. Tüchtige Schauspieler, gemischt mit blutigen Dilettanten, stellen das stilfremde und uneinheit-lidhe Ensemble.

Der beste Film der Woche aber ist nicht ein heiterer, sondern ein trotz eines Satyrzwischenspiels todernster: Jacques Feyders französischer Film „Entsagung („Die Frau mit den vier Gesi'chtern“). Schon der Grundeinfall, die Aufspaltung der Identifizierung einer Selbstmörderin In drei Irrfährten (eine romantisch-moderne Paraphrase zu dem Motiv des Mädchens von der Seine) ist ein filmischer Volltreffer. Seinen Adel aber erhält der Film durch die wahrhaft vollendete mimische Kunst Francoise Rosays in vier subtil differenzierten Charakterrollen. Besonders die Darstellung einer tumben Magd aus der Bretagne (erste Episode) ist eine Meisterleistung an Einfühlung in Charakter und Umwelt. Die müde Skepsis der Rahmenhandlung und die freizügige Ausschmückung der derbkomischen zweiten Episode erfordert einige Vorbehalte, die jedoch das Lob für die künstlerische Gesamtleistung nicht wesentlich einschränken.

Dem ebenso ungewöhnlichen wie unverständlichen Wunsch einer geachteten Wiener Verleihfirma, daß über den Film .Der Sohn des Monte Christo nur die Tages-, nicht auch die Wochenpresse berichte, sei hie-mit nicht entsprochen. Der Film ist schlecht, sogar sehr schlecht. Mehr darüber können beim besten Willen weder Morgen- noch Jausenblätter, weder Monats- noch Vierteljahrsschriften i.erichten. Dr. Roman He rle

Bartofc, waren besonders gelungene Beispiele für eine ebenso geistvolle wie für die Musik-siruation des heutigen Frankreich aufschlußreiche Programmgestaltung unter nahezu völligem Verzicht auf Romantik und Pathos. Diese Linie wurde nur einmal unterbrochen, als Wilhelm Kempff eine — übrigens mit auffallendem Enthusiasmus aufgenommene — Virtuosität mit der Neigung zu ffektvoller .Dramatisierung“ an nicht gerade tauglichen Objekten (Bach, Mozart, früher Beethoven) der mediterranen Geistigkeit romanischer Interpretationsweise zur Seite stellte.

Aix ist aber vor allem das Fest der Moderne. Milhaud — gleich Cezanne, dessen Atelier auf einer Anhöhe außerhalb der hügelumgürteten Stadt nun einem verwunschenen Dornröschenschlaf überantwortet ist, ein .Aixois“ — hat in .Le Carnaval d Aix und „La cheminee du Roi Ren6“ proven-calische Folklore reizvoll und eigenartig erneuert. Auric und Daniel-Lesur bewiesen, auf welch hohem Niveau das in Frankreich besonders weit gespannte und intensiv kultivierte Gebiet der „angewandten“ Musik (Ballett, Schauspiel, Film) steht. Debussy, Ravel und Roussel werden hier natürlich als die großen .Klassiker“ der Musik empfunden, was — begünstigt vom geringen zeitlichen Abstand zu ihnen — das Interesse für die fortschreitenden Möglichkeiten unserer Zeit geradezu fördert.

Zwei europäische Erstauführungen standen da an der Spitze. Francis Poulenc spielte selbst sein neues dreisätziges Klavierkonzert (1949), das zunächst mit einer an Haydn und Schubert orientierten Melodienfülle geistreich und virtuos operiert, um dann im „Rondo ä la Franjaise den mauvais garjon“ Polenc hervorzukehren, der persiflierende Humor liebt, mit rhythmischem Klang gewürzt. Die im Auftrag der Kussevitzki-Stiftung geschriebene ,Turangal!la“-Symphonie von Olivier Messiaen (1948) dauert fünf Viertelstunden. Sie duldet nicht bloß deshalb kaum ein zweites Programmstück neben sich. Wie sein Orchesterwerk „Trois Täla“ bezeugt auch diese neue Komposition lebendigen Kunstverstand und sittlichen Ernst. Ihre Riesendimension, auch im geistig-religiösen Sinne Himmel und Erde beschwörend, kann nur durch die suitenartige Reihung von zehn .Bildern“ mit so bezeichnenden Titeln wie „Chant d'amour“ I und II, „Turangalila“ I bis III oder „Developpement de l'amour bezwungen werden. Auch in dieser Partitur Messiaens geistert es wieder von geheimnisvollen indischen Rhythmen. (Ein indischer Theoretiker des 13. Jahrhunderts zählte 120 derartige rhythmische .Reihen auf, die jeweils an bestimmten Tagen gebräuchlich waren: die Begegnung Messiaens mit religiösen Musiksymbolen mathematischer Provenienz ist offenkundig.) Auch schicken wieder Vibraphon und Ondes Martenot ihre intensiven, nicht immer wählerischen Melodiegebete gen Himmel; das Klavier, das wieder die großartige Yvonne Loriod feierlich traktierte, verwandelt die Symphonie gelegentlich zum Konzert, und ein riesenhaftes Schlagwerk, dessen Herkunft (China, Indonesien, Türkei und andere) wahrhaft weltumspannend ist, rhythmisiert das Riesenwerk, das man eine „WoIkenkratzer“-Symphonie genannt hat. Ideologisch ist die Symphonie eine Art musikalischer „Weltgottesdienst“ mit ple-tistisch-neubarocker Massierung der Mittel im Stile eines Neo-Berliozismus; sie ist stark genug, zur Entscheidung Für oder Wider aufzurufen.

Auch für die Interpretation war — neben Pariser und ausländischen Ensembles — eine mediterrane Küstlergarde aufgerufen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung