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Der Hamlet des XX. Jahrhunderts

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Eine große Aufführung des Burgtheaters. Leopold Lindtberg inszeniert „H a m 1 e t“. Nicht zufällig war dieses Werk ein Lieblingsstück des deutschen 19. Jahrhunderts

— ein Paradestück der alten „Burg“. Kainz als Hamlet — mit Yorriks Schädel in der Hand — ein Bild, das in den Zeitschriften des kultivierten Publikums nicht fehlen durfte* ein Schaustück theatralischer Paraden, in denen selbst der blasierte Spätling das Gruseln, selbst der in allen Wassern der Modephilosophien gewaschene Denker Rätsel der Denkwelt und der sentimentgesättigte Jüngling Tiefe und Geheimnis der Gefühlswelt kennenlernte. Für den Feinschmecker ein genüßliches Spiel zwischen „Sein und Schein, „Tat“ und „des Gedankens Blässe“, für den nervösen Sucher neuer Weltanschauung zwischen Wagner, Nietzsche und Freud (dessen erste Werke bald nach der Jahrhundertwende erscheinen) eine raffinierte Mischung seelischer und geistiger Komplexe — Hamlet und sein Vater, Hamlet und seine Mutter, Hamlet und Ophelia —, welche Fülle möglicher Kombinationen, die zu stets neuen Deutungs-, da heißt Selbstdcutungsversuchen anregten. Denn: dies war das Hauptstimulans der „Hamlet“-Aufführungen vor und auch noch zwischen den beiden Weltkriegen: in diesem Hamlet, der zwischen Traum und Tat, Komödie, und Tragödie, Schein und Wirklichkeit ein verwegen-vermessenes Spiel treibt, liebte der Menidi des Fin de siecle, sich selbst

— erhöht, überhöht — zu sehen und zu deuten. Hier, in dieser Gestalt sah r eine großartige Rechtfertigung für das Spielerische, Unklar, Zweideutige seiner eigenen Existenz, welche es noch nicht wagte, ihre Gedanken in die Tat überzuführen. Bedenken wir doch: Alles Gräßliche und Grausame, das im 20. Jahrhundert Wirklichkeit wurHe, wurde im 19. Jahrhundert gedacht — vor-gedacht, oft in spielerisch spielenden Versionen wie das Thema eines Musikstückes abgewandelt... Das war es, was das Publikum der letzten Generationen unbewußt-bewußt an „Hamlet“ faszinierte: dies grausam-verwegene große Spiel zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen erkannter Schuld eigener Vergangenheit und dem Wagnis radikaler Neulösungen in der Zukunft — einbegriffen aber in den weiten nebel- und düsternisumwobenen Leerraum der Gegenwart: Unerträglich wäre „Hamlet“ für diese Welt geworden, wenn sie gezwungen worden wäre — wie Shakespeare in den Worten der „Sdiauspieler“ im Stück selbst es fordert —, dies Drama als Abbild, Spiegel, Gleichnis der Wirklichkeit zu nehmen — nein, so weit wollte man noch nidit gehen —, deshalb gefiel man sich, das Drama „Hamlet“ auf eine „Rolle“

— eben die des Hamlet — zu verkürzen. Und da jede Zeit die Männer findet, welche ihrem innersten Antlitz im Gesicht ihres Lebens und Wirkens Ausdruck verleihen, fand auch diese, Epoche ihren Mann: im Schauspieler KaiÄz. „Hamlet“ war das Stück die Efjblle des Kainzl

Das Erlebnis unserer Gegenwart und die Erfahrung unserer Vergangenheit befähigt uns heute, „Hamlet“ neu zu sehen — ganzheitlicher, umfassender, totaler — und, wie wir glauben, dadurch wieder näher an Shakespeare selbst heranzukommen. „Hamlet, Prinz von Dänemark“ ist nicht nur ein Schau-Spiel um Wahn und Schuld, Gedanken und Gefühle eines genialisch seltsamen Einzelnen — wie es die egozentrisch Welt des 19. Jahrhunderts sehen wollte —, sondern ein Drama von den letzten Dingen der höchsten irdischen Verantwortlichen — ein Staatsdram —, ein Königsd r a m a. Wir wissen heute, wie innig Aufgang und Höhe des europäischen Dramas -— in der Tragödie der Griechen ebenso wie jener Shakespeares — verbunden sind mit dem Ringen um die Gestalt des „Königs“. Der „gute König“ ist Symbol heiler, ganzheitlicher Welt — unter seiner Herrschaft grünen und blühen die Saaten, reifen die Menschen und Völker zum vollen Mannesalter der „T u g e n d“, der politischen, gemeinschaftsbezogenen Tüchtigkeit heran — „himmelblaues Kaiserwetter“ glänzt über dem Kosmos, dem Ordnungsgefüge des Staates und der Natur, der ihm Heil und Gesundheit verdankt. Wehe der Welt, wehe dem Volk, dessen „König“ irregeht: die Elemente der Natur verwischen sich, Mißernte und Seuchen, die Drachensaat von Krieg, Rebellion, Blut-sdiande und Unzucht, Lüge und Meintat übersdiwemmen Volk und Reich! Erdbeben und Sintflutstimmung. Drohende Zeichen verkünden den Wechsel der Dinge, suchen zu mahnen und zu warnen. Ödipus — Shakespeares Königsdramen: Hamlet, „'s ist etwas faul im Staate Dänemark“ — dies ist das Merkwort des Shakespeareschen Hamlet (wie das „Sein oder Nichtsein ...“ das Kennwort der „Hamlet“-Idee des 19. Jahrhunderts war), und diese „Faulheit“ muß, wie im „König ödipus“ des Sophokles so auch im „Hamlet, Prinz von Dänemark“ auseitern. Diese Fäule besteht in der Lüge angemaßter, unrechtmäßig erworbener Herrschaftsmacht. Die höchste politische Gewalt, Schirmherrin der Gerechtigkeit, Ordnung und Sitte beruht auf Mord und Meintat, d% Claudius mit Hilfe Gertrudens deren Gatten Hamlet I. beseitigt hat. Nun eitert „Faulheit“ aus. Und dies das Großartige an Shakespeare: er zeigt, wie alle — alle infisziert sind von dieser tiefinnerlich verpesteten Atmosphäre — dieser ganze Hofkreis der „Regierenden“, der „Verantwortlichen“, steht im bleichen Schein des verhüllten Mordes: und deshalb müssen sie alle zugrunde gehen. Claudius, der König (denn auch als Mörder ist er noch der König), Gertrude, die blutschänderische Königin, Polonius, der liebedienerische hohe Staatsbeamte mit seiner ihm allzu willfährigen Toditer Ophelia und seinem Sohn Laertes, die feilen Höflinge Rosencrantz und Güldenstern — alle, alle; und in ihrer Mifte Hamlet. Auch er: bei aller angeborenen Größe edlen Mannestums ganz verstrickt in das Net/ dieser Welt des Lügnerischen, Gewalttätigen, böse Sdiauspielernden — des verdorbenen, geschändeten „Politischen“! Ein neuer Fürst aus einem neuen Geschlecht, aus einer anderen Welt kann erst Entsühnung, Heil, Gesundung bringen: der Natur, dem Staat, dem Volke.

Es war einst die Tragödie der „Hamlet“-Leser, -Hörer und -Spieler der vergangenen Generationen, daß sie weder im Leben noch in Gedanken, weder im kleinen Raum ihrer Persönlichkeit noch im großen Raum ihrer Gesellschaft zu jener Ganzheit, zu jener Geschlossenheit aller Dascinsbereidie vorzu-dringn vermochten, der Shakespeare war-nend-mahnend in seinem „Hamlet“ ein so großes Mal gesetzt hatte. Deshalb die Auflösung des Hamlet in Finzelrollen, ja zuletzt in eine Rolle: die des Kainz...

Lindtbergs Regieführung weist bereits auf den „Hamlet“ der Zukunft hin — auf jene große Tragödie des „Politischen“, des unerbittlich geschlossenen Zusammenhanges einer herrschenden Gesellschaft in Schuld und Sühne, in der Verpflichtung, gemeinsam zu büßen für die Untaten jedes einzelnen Gliedes ... Albin Skodas „Hamlet“ ist noch stark verhaftet der großen Tradition eines Kainz: großes Schauspielertum um einen Seltsam-Einzelnen, im tiefen See des untergründigen Ichs Verlorenen. Es muß diesem Schauspieler gesagt werden: Gegenwart und Zukunft fordern im tiefsten nicht einen neuen Kainz-Stil, sondern ein dienendes Einbezogensein in ein neues, großes Ordnungsgefüge der „Mächte“. Der „Hamlet“ der Zukunft wird nicht „reaktionär“, Spiel um Traum und Tat eines somnambulisch-hellseherischen Feuerkopfes sein, sondern Drama, Tragödie des „Staates“, und das heißt immer der Träger höchster Verantwortung, eben: „Hamlet, Prinz von D ä n e m a r k“.

Unzulänglich das Bühnenbild: ohne Linie, Format und Charakter. Was sollen diese Bauornamente in Anfühlung an den Münchner „Jugend“-Stil von 1900, diese filmischen Hintergründe ohne Hintergründigkeit, diese töricht im Leerraum stehenden Säulen in der Tragödie der „Könige“, in der unerbittlich, hart, schneidend klar und scharf jedem Mitspieler, das heißt Mitschuldigen, sein Teil zu tragen, zu leiden und zu büßen zugemessen ist? ^

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