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„Hamlet“ läuft in München

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Die mißlungene Inszenierung von

Shakespeares „Hamlet“ im

Münchner Residenztheater ist von den bundesdeutschen Zeitungen mit so genußvoller Ausführlichkeit verdonnert worden, daß sich der österreichische Gast auf seine Höflichkeitspflichten besinnen und nachsichtiges Schweigen über die Aufführung breiten könnte. Allein das Faktum dieses Regiedebakels ist daraufhin zu untersuchen, ob es nicht das Symptom jener frevelhaften Verselbständigung der Regie auf Kosten des Werkes sei, von der unsere Bühnen angeblich schon wieder heimgesucht werden.

Jedoch muß Kurt Meisel, der Münchner Inszenator, vor dem Vorwurf in Schutz genommen werden, daß sich sein Regiekonzept selbstherrlich über den Sinn des Werkes hinweggesetzt habe; es ist vielmehr an diesen Sinn gar nicht herangekommen. Diese Inszenierung ist darum auch nicht „interessant“ mißlungen. Die Frage, ob die Tragödie vom Zwiespalt zwischen Wissen und Handeln eine verfehlte oder eine gültige Deutung erfahren habe, stellt sich gar nicht. Meisel ist nämlich schon an den sprachlichen Klippen des Kunstwerks gescheitert.

Shakespeares barocke Weitsicht blieb schon in ihrer vordersten (und zugleich tiefsten) Dimension unentschleiert. Was an psychologischer Präzision in dieser Sprache lebt, wurde von Meisels verse- zerstückelndem Verfahren ertöt ; was sie an musikalischen Registern, Farbwerten und Dynamik besitzt, wurde von der knauserig-kahlen Inszene zur Eintönigkeit gleichgeschaltet; das innere Tempo der Sprache schließlich, mit seinen wunderbaren Zäsuren und Raffungen, war zum ratternden Leerlauf verurteilt. Statt Acce-

lerandi und Ritardandi im Sprachlichen sinnfällig zu machen, kurbelte Meisel die äußere Aktion, die Gesten und Gänge der Schauspieler, auf Höchsttempo.

Nur an Beispielen kann die ebenso komplexe wie totale Verirrung des Regisseurs verdeutlicht werden. Die Wachen auf Helsingör treiben mit dem Geist von Hamlets Vater ein regelrechtes Fangenspiel; Hamlet selbst, Laertes und Horatio verkehren miteinander nur im Laufschritt; selbst König Claudius hetzt atemlos zum Gebet. Aus der Tragödie des Zauderns ist ein vierstündiger Langstreckenlauf, aus dem Theaterspiel eine Sportveranstaltung geworden.

Ganz grobe Manierismen und Sinnentstellungen tun ein übriges, um diese Vorstellung zu einer Peinlichkeit werden zu lassen. Da muß der König während Hamlets Mordanschlag ein Pater noster grölen, da muß Ophelia nach der beklemmend spannungsreichen Liebesszene ihren Monolog („O welch ein edler Geist") auf dem Bauch liegend sprechen, da verkrallt sich, wie in Dr. Caligaris Gruselkabinett, ein Punktscheinwerfer in das Gesicht des toten Hamlet, als er von des Fortinbras Mannen von der sich verdunkelnden Bühne getragen wird.

Viele namhafte deutsche Schauspieler sind in der Aufführung beschäftigt; aber keiner ist dem Dilemma zwischen sinnwidrigen Regieanweicungen und völliger Absenz von Regie hei] entkommen. Der Münchner Staatsbühne ist nur zu wünschen, daß sie mit ihrer jüngsten Premiere — Anouilhs „Becket“ — das so leichtfertig verlorene Prestige wiedergewinnt.

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