Verlierer unter sich

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Shakespeares "Hamlet" und Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" bei den Salzburger Festspielen.

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Shakespeares "Hamlet" und Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" bei den Salzburger Festspielen.

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Geharnischte Krieger versperren den Zugang zum Königsschloss. "Wer da?" ruft einer. Mit dieser Frage beginnt William Shakespeares "Hamlet". Auch bei den Salzburger Festspielen beginnt das Trauerspiel mit diesen Worten - doch ansonsten hat Regisseur Martin Kusej kaum einen Stein auf dem anderen, kaum eine Zeile auf der anderen gelassen: Auf der Perner-Insel ist es Fortinbras, der zu Beginn Einlass begehrt, jener norwegische Prinz, der bei Shakespeare erst mitten im Stück auftaucht und der nach der Selbstauslöschung des Königshauses den dänischen Thron besteigt. Und Fortinbras ist eine Frau, gespielt von Judith Engel. Am Ende taucht sie noch einmal auf, aber nicht in Ritterrüstung, sondern im Badeanzug. Mit Waffengewalt konnte sie die Bastion nicht einnehmen, als Frau, die ihre Weiblichkeit nicht hinter einem Harnisch verbirgt, fällt ihr der Thron wie von allein in den Schoß.

Die neue Weiblichkeit und nicht der verbissene Geschlechterkampf triumphiert über die Herrschaft der Männer - mit dieser Klammer hält Kusej die "Hamlet"-Story zusammen, die sich in seinen Händen ständig in Einzelteile aufzulösen droht. Am kompaktesten ist noch der dänische Hof, ein brutaler Mafiosi-Clan mit schicken Langhaarfrisuren: der seine Skrupellosigkeit hinter der Maske des Weltmannes versteckende König (Marcus Calvin); der nach außen seriöse Polonius (Bernhard Baier); dessen Sohn Laertes, der in jedem amerikanischen Krimi einen perfekten kolumbianischen Drogenhändler abgäbe (Andreas Schlager); die ein bisschen doofen, aber sich ungemein smart gebenden Killer Rosenkranz und Güldenstern (Karl Friedrich Seraphim und Hüseyin Cirpici). Wen wundert's, dass "Hamlet" über weite Strecken in einer Lagerhalle spielt, Aufbewahrungsort für illegale Waren aller Art, archetypischer Ort für den Showdown von Gangsterfilmen.

Hamlet, von Samuel Weiss beeindruckend verkörpert, ist naturgemäß nicht der melancholische, zögerliche Schöngeist Shakespeares. Der Sohn des ermordeten Königs bleibt bei Kusej eine rätselhafte Figur, dessen innerer Antrieb sich rationaler Beurteilung verschließt. Das schwarze, kurz geschorene Schaf der Gangsterfamilie hat wohl in Wittenberg auf Techno-Parties ein Paar Extasy-Pillen zuviel eingeworfen. Sein Wahnsinn ist echt, nicht gespielt - beim ersten Auftritt hat er glatt vergessen, sich die Hosen anzuziehen. Ständig halluziniert er, hält Zwiesprache mit imaginären Gestalten. Aus diesen Phantasiefiguren haben Kusej und sein Dramaturg Sebastian Huber eine neue Figur geschaffen: Yorick.

Bei Shakespeare trägt der berühmte Totenschädel diesen Namen, auf der Perner-Insel ist er eine Synthese aus Hamlets Vertrautem Horatio, dem Geist des Vaters, den Totengräbern. Wenn Yorick auch noch in die Rollen der Schauspieler, die den Königsmord nachspielen, schlüpft, fährt Werner Wölbern zur Höchstform an: Szenenapplaus erntete er für seine aberwitzige Pantomime zu Filmausschnitten von "Casablanca" bis "Pulp Fiction".

Nur Randfiguren sind die Frauen: Ophelia (großartig: Johanna Wokalek), die in ihrem Schmerz der Sprachlosigkeit anheimfällt und nur mehr jault und wimmert wie ein waidwundes Tier; die Königin (schauerlich deklamierend: Renate Jett), die ebenso kurz geschoren ist wie ihr Sohn Hamlet und entsprechend behandelt wird. Als sie aus dem vergifteten Kelch trinkt, ist das ihrem Mann, der sie zuvor brutal vergewaltigte, nur eine ärgerliche Handbewegung wert. Beide gehen mit der männlich dominierten Welt, deren Opfer sie wurden, unter. Dass Frau Fortinbras sich neben den Leichenbergen im Schutt des Patriarchates räkelt, können sie nicht mehr miterleben.

Auf der schiefen Bahn Eine solche Klammer, die das Stück notdürftig zusammenhält, fehlt bei Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" im Salzburger Landestheater, wo Regisseur Frank Castorf Regie eine Abfolge skurriler Einzelbilder zeichnete. Zugegeben: Die zahlreichen Regieanweisungen, die den Text überschwemmen, sind keinem Leser, geschweige denn einem Regisseur wie Castorf zumutbar. Aus Rache prangen manche dieser Anweisungen in Leuchtschrift über der Bühne, Veralberungen des schriftstellerischen Genauigkeitszwanges. Auch die Moralinsäure (man stelle sich vor, eine Frau hat regelmäßig außerehelichen Sex mit wechselnden Partnern!) und die verklemmte Erotik (genüsslich schreibt Williams seinen Darstellerinnen immer wieder Unterkleider vor) sind von Vorgestern. Dennoch wäre die Geschichte des Scheiterns der unglücklichen Blanche DuBois an der Rohheit und den Vorurteilen der Gesellschaft auch heute noch aktuell. Wäre, denn das interessiert Castorf wenig.

Keine schwüle Südstaaten-Atmosphäre, sondern die kalten Achtziger-Jahre; kein wehmütiger Jazz, sondern Britney Spears und Nirvana: In dieser Umgebung fächert Castorf die Widersprüche der überdrehten Blanche (Silvia Rieger) auf: Sie, die anderen Rohheit und Gefühllosigkeit vorwirft, hat ihren eigenen Ehemann in den Selbstmord getrieben. Sie, die gerne die Dame von Welt spielt, hat sich durch die Betten eines ganzen Militärcamps geschlafen. Auch der vermeintliche Neandertaler Stanley Kowalski (Henry Hübchen) gewinnt durch die Konstruktion von Widersprüchen Tiefe: Er, der "Pollacke", das "Tier", war Kampfgefährte Lech WalÚesas in Danzig und saß in politischer Haft, bevor er gebrochen nach Amerika emigrierte.

Auch hinter dem scheinbar braven Mitch (Bernhard Schütz) verbirgt sich womöglich ein Psychopath: Seine angeblich kranke Mutter ist nur noch eine Mumie, die er wie einst Norman Bates in Hitchcocks "Psycho" im Rollstuhl herumführt. Nur einScherz? Zumindest ermordet erBlanche nicht unter der Dusche... Und die anscheinend so unterwürfige Stella Kowalski (Kathrin Angerer, was für eine Schauspielerin!) betrügt ihren Mann bei der erstbesten Gelegenheit.

Doch das Zusammenwirken der Figuren bleibt fragmentarisch, kein Faden ist auch nur annähernd so rot wie der Lieblingspyjama Stanley Kowalskis, der vom Williams'schen Original übrig geblieben ist. Eunice (Brigitte Cuvelier) und Steve (Matthias Matschke) sind nur bizarre Gestalten. Ein weiteres Bruchstück: Das Bad, oftmaliger Rückzugsort der Protagonisten, ist via Videokamera und Bildschirm für den Zuseher einsehbar - die Hochkultur kann vom "Big Brother"-Zitat nicht genug bekommen.

Trotz einiger großer Theatermomente gleitet das Ganze insgesamt in die Sinn- und Bedeutungslosigkeit ab, so wie die Figuren, als am Ende die Bühne kippt.

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