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Pathos und Klamauk

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Jean Racine, der „König der Tragödie“, war in Frankreich abgewertet worden. Wie sehr versagten in dem angeblichen Hauptwerk „Phädra“ die Effekte, hatte Malraux erklärt. Und Jean Vilar meinte, die Konflikte reduzierten sich bei Racine auf Vorzimmerzank. Dem entgegen hält es Antoine Bourseiller, der Leiter des Marseiller Centre Dramatique du Sud-Est, für unerläßlich, Racine zu spielen. So inszenierte er „Phedre“, und wir sahen nun seine Wiedergabe im Theater an der Wien.

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Jean Racine, der „König der Tragödie“, war in Frankreich abgewertet worden. Wie sehr versagten in dem angeblichen Hauptwerk „Phädra“ die Effekte, hatte Malraux erklärt. Und Jean Vilar meinte, die Konflikte reduzierten sich bei Racine auf Vorzimmerzank. Dem entgegen hält es Antoine Bourseiller, der Leiter des Marseiller Centre Dramatique du Sud-Est, für unerläßlich, Racine zu spielen. So inszenierte er „Phedre“, und wir sahen nun seine Wiedergabe im Theater an der Wien.

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Bei uns wurde diese Tragödie seit langem nicht mehr aufgeführt. Läßt man wieder das Schicksal Phädras, der Gemahlin des Königs Theseus, dieihren Stiefsöhn liebt und daran zugrunde geht, auf sich wirken, so beeindruckt wohl das Übermaß an Leidenschaft, das Ausschwingen des Gefühls, das so gut wie ausschließlich diese Menschen beherrscht. Eine Gegenwelt zu der unsern ersteht, in der die Gefühle nicht eingeschrumpft sind, nicht als suspekt igelten.

Nun fordert Bourseiller, man müsse die Metrik und und die Musik ih Racines Werk wieder aufspüren. Das liegt den Franzosen ganz besonders, die Darsteller tragen die Verse gleichsam wie kostbare Gebilde vor sich her, wir hören ein singendes Sprechen, einen fast ständig tragischen, an schaurigen Stellen hohlen Ton. Pathos, Die Darsteller spielen frontal zum Publikum, auch wenn sie zueinander sprechen, sie bewegen sich gemessen. Ein fast artifizielles Bühnenbild von Oskar Gustin — lotrechte Stäbe formen eine Art Grotte — und Lichteffekte von glühendem Rot, Blau, Grün, Großartige Kostüme entwarf Martha Le Parc. Die Szene, wird zur Manifestation des Kunstvollen als eines Bereichs jenseits des Nur-Natürlichen. Verdichtung der Wirkung in Chantal Darget, der Darstellerin der Phädra: Es ist, als sei alles an ihr Verkörperung des Tragischen.

Worüber lacht man? Über Schwächen, über Fehler der Menschen, über Situationen. Eine vornehme ältere Dame mit Nobelvilla empfängt in der Komödie „Eine Villa in Nizza“ des Spaniers Miguel Mihura, die im Theater der Josef Stadt zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte, auf eine Heiratsannonce hin zwei Kavaliere, zwischen denen ihr zu wählen schwerfällt. Dünner Einfall: Die Vornehme hat Schulden in ganzen Bereichen der Stadt und will deshalb heiraten, die Kavaliere sind elegante Ganoven und haben auch kein Geld. Situationskomik. Die drei beschließen beisammenzubleiben und durch Betrug und Diebereien ihr Leben zu finanzieren. Unter der gewandten Regie von Peter Loos stattet Vilma Degischer die Vornehme mit neckischen Gigsern aus, geben Hans Holt und Korl Schönböck den Nobelganoven Haltung. In Rollen, die das Stück strecken, sind Hortense Raky und Juanita Tock sowie Frank Friedrich eingesetzt. Inge Fiedler entwarf ein pompöses Villeninterieur.

Man lacht über Schwachen, über

Fehler. Sind diese Begriffe dehnbar? In der angeblich skurrilen Geschichte „Im Schoß der Familie“ des 31jähri-gen Iren Syd Cheatle, die dm Kleinen Theater im Konzerthaus zu sehen ist, bringt ein Pater einen entlassenen jungen Straflinig bei einer reichlich wurmstichigen FamiHe unter, wo schon ein Schwachsinniger Aufnahme fand. Ein Einbruch wird gestartet. Die zarte Tochter des Hauses, die sich daran beteiligt, bezeichnet sich voll Wonne als Verbrecherin. Eine Schwäche? Das Publikum lacht. Was sich mit dem erotomanen Vater, der sexuell ausgehungerten Mutter und dem Pater begibt, gemahnt an Situationen in den Novellen der Renaissance. Allerdings vergröbert. Das Publikum lacht. Diese Szenen von recht zweifelhafter Komik werden unter der Regie von Heinz Marecek mit Ingold Platzer, Georg Hartmann und “Walter Benn, mit Lüo Pechtold, Werner Pochath und Stephan Paryla flott gespielt.

*

Die Zeiten halben sich verkraßt. Wie harmlos wirkt heute ein Stück, das im Jahre 1936 uraufgeführt wurde! Das im Volkstheater dargebotene Lustspiel „Freut euch des Lebens“ der Amerikaner Moss Hart und George S. Kaufmann zeigt, wie es wäre, wenn wir stets nur das täten, was uns Spaß bereitet. In der Familie Sycamore ergeben sich alle ihren Hobbies: Feuerwerke besteln, Ballerine, Buchdrucker spielen, Stücke schreiben. Selbstredend geht es bei diesen Vergnüglichkeiten recht wirbelig zu, was der „herrlichsten Familie der Welt“ Spaß bereitet, macht auch uns Spaß, weil es so närrisch wirkt. Ist es aber närrisch? Diese Familie wird mit einer von Wallstreet-Zuschnitt konfrontiert und schon klappt die fingerfertige Lustspielstrategie: Töchterchen hier, Söhhchen dort, klar, daß Papa Großverdiener, auf Börsenkurse ausgerichtet, zu freudigerer Lebensauffassung bekehrt wird.

Unter der beschwingenden Regie von Erich Margo spielen neben anderen zahlreichen Mitwirkenden Herta Block und Arnfried Hanke das junge Paar, Hanns Krassnitzer einen vergnüglichen Großvater, Hans Rüdgers den Wallstreetmenschen und vor allem Peter Hey witzig einen russischen Emigranten aus der Ballettbranche. Maxi Tschunko entwarf einen Innenraum, der den Bedürfnissen der närrischen Familie sehr wohl entspricht.

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