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Bunte Palette

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Ein eigenes Gesicht erhalten die Spielpläne der Theater nicht durch das übliche Nachspielen von Werken, die anderswo Erfolg hatten. Unterscheiden können sie sich durch eine Initiative, die auf das Herausbringen von Uraufführungen qualitätvoller Werke, aber auch auf das Hervorheben vergessener spielenswerter Stücke gerichtet ist. Dieser Vorstoß zum Gestrigen oder Vorgestrigen wurde in Wien schon mehrfach bei Nestroy unternommen, der hiefür mit seinen 83 Stücken reiche Möglichkeiten bietet. Nun führt das Burgtheater mit Erfolg die im Jahr 1838 entstandene Posse „Glück, Mißbrauch und Rückkehr“ auf, wobei der zweite Titel, „Das Geheimnis des grauen Hauses“, im Programmheft durch große Lettern bevorzugt wird.

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Ein eigenes Gesicht erhalten die Spielpläne der Theater nicht durch das übliche Nachspielen von Werken, die anderswo Erfolg hatten. Unterscheiden können sie sich durch eine Initiative, die auf das Herausbringen von Uraufführungen qualitätvoller Werke, aber auch auf das Hervorheben vergessener spielenswerter Stücke gerichtet ist. Dieser Vorstoß zum Gestrigen oder Vorgestrigen wurde in Wien schon mehrfach bei Nestroy unternommen, der hiefür mit seinen 83 Stücken reiche Möglichkeiten bietet. Nun führt das Burgtheater mit Erfolg die im Jahr 1838 entstandene Posse „Glück, Mißbrauch und Rückkehr“ auf, wobei der zweite Titel, „Das Geheimnis des grauen Hauses“, im Programmheft durch große Lettern bevorzugt wird.

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Ein seltsames Stück. Nestrou entnimmt die Handlung einem Roman des Vielschreibers Paul de Kock — gegen 200 Bände —, die wohl ernst gemeint war, aber bei ihm zur Persiflage wird. Gleich auch führt er die Romantik biedermeierlich ad absurdum, denn das schaurige Geheimnis des unheimlichen, einsam gelegenen, grauen Hauses, in dem wir mindestens die grausigen Schandtaten eines Unholds de Sade- scher Phantasie vermuten, besteht darin, daß hier der reiche Herr Eisenkorn absteigt, weil in der Nähe seine Tochter Friederike lebt, die er von den Gefahren der Stadt fernhält. Und dieser Herr Eisenkorn schenkt eine Fabrik seinem Neffen Blasius, einem armen Schlucker, den er überhaupt nicht kennt, vollends, ohne sich über ihn näher zu erkundigen. Ja, der Neffe, ein Tunichtgut, gilt schließlich als Retter Friede- rikens, da er sie aus den Armen eines „Räubers“ befreit hat, den er selbst bestellte. Mit Ungereimtheiten wird hier Federball gespielt.

Moralisiert Nestroy? Weil er den arbeitsscheuen Blasius, der die Fabrik gegen ein Schloß eintauscht, aus Verschwendungssucht wieder arm werden läßt? Ihn mit dem kreuzbraven Diener Rochus und der verlassenen und wiedergewonnenen, noch kreuzbraveren Braut Wawi kontrastiert? Er stattet Blasius so selWnWt daß.

man sein Vergnügen an ihm hat, Nestroy begnadigt ihn zur Ehe mit der von Eisenkorn reichbeschenkten Wawi, er verurteilt ihn nicht. Nestroys lachender Hohn verbeißt sich nicht in diesen Fall, er gilt ganz allgemein dieser Welt, quillt fast aus jeder Dialogzeile.

Diese Posse wird unter der Regie von Leopold Lindtberg mit großem Aufwand herausgebracht. Die Bearbeitung durch ihn und Florian Kalbeck potenziert das Nestroyische noch geschickt. Der Bühnenbildner Lois Egg ordnet in Breite und Höhe der Bühne ausschließlich riesenhafte Tarockkarten an, auf denen die Schauplätze angedeutet sind. Guter Einfall, die Ereignisse im Leben des Blasius als Spiel des Schicksals zu symbolisieren. Heinrich Schweiger ist ein vitaler, witzig durchtriebener Blasius, seine Leistung gibt der Aufführung die Durchschlagskraft. Als Gegensatzflgur ergänzt ihn Ernst Anders als munter-beweglicher Rochus. Stefan Skodler zeichnet den Eisenkorn als kurzangebunden, her- renhaft, Helma Gautier als untadelige Friederike und Ulli Fessl als biedere Wawi heben sich neben Else Ludwig, Edd Stavjanik und Hugo Gottschlich in weitere Rollen unter den zahlreichen Mitwirkenden stärker heraus.

Die Kammerspiele bieten mit dem Lustspiel „Geliebtes Scheusal“ der Engländerin Joyce Rayburn Unterhaltungskonfektion. Der Industrielle Cadwell wird in seinem Wochenendhaus von der Freundin seines Sohnes liebevoll bedrängt, aber es passiert nichts, Witz: Es sieht für die andern nur so aus. Die Gestalten sind durchgepinselte Schablone, was sich begibt ist es ebenfalls. Unter der routinierten Regie von Peter Loos spielen alle Mitwirkenden anscheinend mit Wonne sich selbst, Erik Frey und Vilma Degischer, Klaus Wildbolz, Johanna Thimig und Karl Bosse.

Ein Verdienst erwirbt sich das „Experiment am Lichtenwerd“ durch den Rückgriff auf Maeterlinck, der neben Gerstenberg wohl der einzige Vorläufer des handlungslosen Theaters in Europa war. Bei „Aglavaine und Selysette“ denkt man an die

Welt der Präraffaeliten, an die Rossetti und Bume-Jones. Zwei Mädchen, ein junger Mann werden vorgeführt, die, in schmerzhaftem Glück und glückhaftem Leid, einander verbunden, wie Schemen wirken. Was in diesen Szenen gesprochen wird, gemahnt an die Sätze einer Sonate. Eine volle Gegenposition zur Welt von heute ersteht. Regisseur Herbert Adamec dynamisiert die Dialoge, läßt das Stück auf einem großen Teppich inmitten der rings angeordneten Sitzreihen spielen. Margret Vollmeier, Ingeborg Amodé, Erwin Ebenbauer erweisen Begabung. Politische Schlußfolgerungen in einem hinzugefügten Vor- und Nachspruch wirken abwegig.

Die „Komödianten" im Theater am Börseplatz führen im Gegensatz zu den anderen Bühnen zeitnah Brisantes vor. Unter dem Titel „Wir spielen

'Frieden’ " wenden Texte von Erich Fried szenisch dargeboten. Es geht dabei vor allem gegen die amerikanischen Greuel in Vietnam, darüber hinaus aber grundsätzlich gegen den Glauben an die Freiheit der Demokratie, wobei Fried nicht bedenkt, daß es politische Ordnung ohne Übel nie gegeben hat und man wohl von zwei Übeln das kleinere wählt. Er prangert die Polizei an, allerdings nicht dort, wo sie ohne öffentliche Kontrolle totalitär herrscht. Er wendet sich aber auch dagegen, daß rote Fahne gegen rote Fahne in Front steht. Er fordert einen fleckenlosen Sozialismus. Menschen, die in der Mitte eines Taifuns die Windstille, innere Ruhe, Frieden, genießen wollen, macht er vollends lächerlich.

Die epigrammatische Schärfe, das Plakative dieser Textmontagen setzt Regisseur Conny Hannes Meyer mit vier Darstellern und drei Darstellerinnen — schwarze Pullover und Hosen — vollends in BewegungsVorgänge um. Der Ausdruck wird damit ungemein gesteigert, das Verbale erreicht dreidimensionale, also räumliche Vehemenz. Projektionen stimulieren. Es zeigt sich abermals, daß die „Komödianten“, wie keine andere Bühne in Wien, einen geschlossenen Aufführungsstil erarbeitet haben. Leider besteht die Gefahr, daß wir diesen Regisseur an die Bundesrepublik verlieren.

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