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Tragikomödien

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„Aurelie“ von Marcel Pagnol im Akademietheater. Das ist ein merkwürdig glücklich-unglückliches Spiel. Pagnol versteht es, die Landschaft seiner Heimat, der Provence, in breiter Buntheit zu malen. Ein Impressionismus, der nicht die Hintergründigkeit van Goghs besitzt, der in und vielleidit an diesem Lande starb, der aber immerhin Lichter tieferer Bedeutung durchscheinen läßt im Gewände sonnverschlafener Alltäglichkeit. Ein Dorf, noch in halber Erbuntertänigkeit unter einem Marquis, mit all seinen farbigen Typen, aus denen der aufgeklärte junge Lehrer, der heißspornige Herr Pfarrer, zwei einander zugehörige Antipoden, und einige Käuze hervorragen. Es ist nichts zu sagen gegen Pagnols Bild dieser Dorfseligkeit, gegen seine Genremalerei. Ein Rest des Zaubers, der über den alten Kirchtürmen, den staubigen, verbrannten Plätzen, den backroten Dächern und blauschattigen Winkeln dieses provencalischen Nestes schwebt, ist hier, auch in der Aufführung, noch deutlich spürbar. Nun aber das weniger Erquickliche. Da eine Staffage im Kolorit einer an sich stark akzentuierten Landschaft noch kein Drama ergibt, muß sich Pagnol um eine „Handlung“ umsehen, an deren Aktschnüren er die Püppchen des Panoramas auffädeän kann. Hiebei wählt er nun folgende Mär, deren Stoffmischung aus erbaulichen und weniger erbaulichen Elementen das ganze Stück zwitterig macht. Aurelie, die Frau des neuen Bäckers Aimable, geht gleich am Beginn des ersten Aktes mit einem jungen Schäfer durch, sie kehrt am Ende des Stücks reumütig zurück, nachdem der Autor den Hauptraum des Spiels freigegeben hat für Lärm, Ulk und G’spaß, freund- und feindliches Bemühen um den armen Hahnrei. Aimable ist aber nicht einfach nur ein „Gehörnter“, er will sich zwar nach Annahme der boshaft-dummen Widmung eines Hirschgeweihs erhängen, kehrt aber bald hurtig auf die Bühne zurück, um hier in franziskanischer Humilität, in Sanftmut und Güte, mit der Herzkraft und Weisheit eines vir pius, eines wahrhaft Gerechten, sein Eheweib wieder in die Arme zu schließen. Parabel zur Parabel vom verlorenen Sohn. Der junge Pfarrherr verliest das Evangelium von Christus und der Ehebrecherin, die Schabernack treibende Dorfmeute verläßt sein Haus; Schluß. — Eine Mengung durchaus disparater Motive also, die von Pagnol nicht zu einem reinen Guß verschmolzen werden. In der Aufführung des Akademietheaters rettet Hermann Thi- mig das Stück. Sein Bäcker Aimable ist ein Glock nturm, der, wfcnn Leid und Glück ihn zum Singen und Schwingen bringen, das ganze harte, schrullige und pockennarbige Dorf schirmend überragt. Und auch das Stück.

Nach der „Insel“ bringt nun das Neue Theater in der Scala ein Stück von Clifford Odets heraus: „Golden B o y", die Geschichte eines amerikanischen Boxers. Der junge Joe Bonaparte, Ab-

kömmüng einer italienischen Emigrantenfamilie, geht an „Amerika“, an der Skrupellosigkeit und Grausamkeit einer Geschäftswelt, die nur „Geld“ und „Erfolg“ kennt, zugrunde. In den letzten Jahren des Faschismus hatte ein bekannter italienischer Autor Erfolg erzielt mit einem Reisetagebuch „America amara“ — bitteres Amerika ... Das Dritte Reich interessierte ich aus denselben durchsichtigen Gründen für alle sozialkritischen und satirischen Schilderungen „amerikanischer Zustände“ und fand deshalb Gefallen an John Steinbecks „Früchte des Zorns“. Die Farben haben sich gewandelt, die Fronten sind geblieben . .. Dies jedoch nur als Vorbemerkung, bleiben wir noch bei dem jungen Bonaparte. Dieser will kein neuer Feldherr werden wie der Korse, nicht einmal ein Duce, nur Champion, Weltmeister im Boxen (Mittelgewicht). Dagegen lehnt sich, so muß man wohl sagen, das alte Europa auf, vertreten durch seinen Vater, den Gemüsehändler, der immer noch das Amerikanische nur radebrecht und die Sprache des „Money“, des „Erfolges“, überhaupt nicht recht versteht, und auch durch eine Stimme in seiner eigenen Brust. Letztere wird durch eine Geige symbolisiert. Der Bub Bonaparte wollte nämlich Musiker, ein großer Virtuose werden. Zehn Jahre hat er geübt... Der einundzwanzigjährige junge Mann erdrosselt diese innere Stimme und geht, in der Gesellschaft der Würger, der Busineßmen und Gangster, die schmale übelbelichtete Straße, die ihn durch rücl ichts- losen Kampf auf die Höhe des von Jupiterlampen beleuchteten Welterfolgs führen soll. Oben angelangt, bricht Joe zusammen. Er war doch zu schwach — war er noch zu sehr Europäer? Er, der das Heimlichste, das Menschliche verraten, scheitert im Menschlichsten. Ein Autounfall, gnädiges Schicksal, nimmt ihn und die Frau, die ihn liebt, aus einer ausweglosen Situation hinweg. — Odets Stück weist beträchtliche Längen auf, hat aber etliche starke Stellen. Diese werden, wie übrigens das ganze Stück, von zwei Schauspielern getragen, von Karl Paryla und Hortense Raky. Die Szenen auf der nächtlichen Bank — Hintergrund: der Dschungel der Weltstadt New York, Vordergrund: zwei einsame arme Menschenkinder — haften in der Erinnerung. Leise Worte, das stumme Spiel der Gebärden, stärkste Sprache verwundeten inneren Seins, laut und mächtig prägen sie sich ein als Male eines Menschentums, das überfremdet und vernichtet wird vom Räderwerk einer Gesellschaftsordnung, die weder wahre menschliche Gemeinschaft noch auch wahre Ordnung kennt.

Eine „satirisch-parodistische Revue“ nennt sich die Sketchfolge des Kleinen Hauses der Josefstadt „W i r sind so frei“ von Rolf Olsen und Aldo Pinelli. Zeiterscheinungen, von der Luftbrücke und Friedenskonferenz bis zum General des Teufels und der Wiener Theatermisere, werden hier vom Standpunkt des Würstelmanns, des Zeitungsverkäufers und immer wieder des Kabarettclowns skizziert und persifliert. In einer manchmal sogar geistreichen Weise. Da sehr flott gespielt wird, mit viel Schwung und Temperament, gelingt es, mehrere störende

Wiederholungen und Reprisen zu tou- chieren. — Aus dem Ensemble ragen Leopold Rudolf, in großer Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit, und Ernst Waldbrunn hervor. — Rudolf als Wiener „Weltbürger“ Marke Garry Davis: eine groteske Parodie, an der Nestroy seine Freude gehabt hätte.

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