6608809-1954_37_14.jpg
Digital In Arbeit

Herbstpremieren

Werbung
Werbung
Werbung

Wiener Theater eröffnen die Herbstsaison mit Grillparzer und Raimund. Zwei Herbstgestalten, Abgesang großer Traditionen, die sich sehr wohl einfügen in den Wiener Herbst, der lange schon vor Ferdinand von Saar die Dichter und Musiker hier ergriffen hat. Wieviel Herbstliches, Elegisches weht bereits durch den Humor in Grillparzers „Weh dem, der lügt", das uns die Josefstadt in einer beschwingten Aufführung unter der Regie von Helene Thimig beschert. Es mag sein, daß die ergreifende Erscheinung Gustav Waldaus als Bischof dieses Herbstliche noch besonders scharf hervortreten läßt. Im Zusammenspiel des Greises mit den Kindern (Nicole Heesters und Helmuth Löhner als Edvita und Leon), die in überschäumender Lebenslust ihr Spiel anheben, wird jedoch eine der wesentlichen Chiffren des Biedermeiers sichtbar: Kind und Greis, ihre unzertrennbare Verwobenheit. Die Maler malen Kinder und Greise. Und die stärksten und schwächsten Persönlichkeiten dieser letzten großösterreichischen

Kulturepoche vereinigen Elemente des Kindhaften und des Greisentums, absinkend bis zum Kindischen und Grüblerisch-Egozentrischen und sich wieder erhebend zu reiner Kindlichkeit und zum reifen Blick des alten Mannes über die Täler und Hügel der Zeitalter. Grillparzer und Raimund, Stifter und ein Dutzend kleinerer Sänger und Schreiber stehen im Zeichen dieser Verbundenheit von Kind und Greis, der Grillparzer im „Armen Spielmann" sein schönstes Denkmal gesetzt hat und der er auch hier in „Weh’ dem, der lügt" ein Mahnmal errichtet hat, das vielleicht nur von gelernten Oesterreichern ganz verstanden werden kann. Was steht denn hinter dem scherzhaften Spiel, das da eingekleidet ist in ein romantisch gesehenes Germanentum und früheuropäisches Christentum, in Masken, die besonders in der Josefstädter Aufführung erinnern an Scheffelsche Germanen, an studentische Ulke, mit Bärenhaut, Trinkhorn und Rauschebart? — Gewandet ganz in eine freundlich-harmlose Maskerade, birgt Grillparzer den bitteren Kern, den keine pessimi-

stische Dramatisierung und keine optimistische Verharmlosung zu lösen imstande sind: ohne Lug und Trug geht es im Weltgeschehen nicht ab, das gilt für die Weltgeschichte im großen und für dieses Geschehen unter Menschenkindern im kleinen. Grillparzer ist, als echter Oesterreicher, ein Meister ,des Nikodemismus, der Verkleidung seiner tiefsten, härtesten und geheimsten Gedanken in Mären, die den Kindern seiner Zeit behagen mochten und die der Zensur erträglich waren. Also vereint der -Segen des greisen Bischofs das junge Paar, das durch Lüge und List den Barbaren entkommen ist — die doch tief in ihrer eigenen Brust hausen. —- Das Theater tut gut daran, diesen dunklen Ton des Untergrundes, der aus dem ewig zweifelnden Gemüt Grillparzers aufzubrechen droht, zu übertönen und das Spiel ganz ins Helle, Burleske zu kleiden.

Unter der Regie Leon Epps bringt das Volkstheater eine Aufführung von Raimunds „D er Alpenkönig und der Menschenfeind“ heraus, die dieser Bühne und ihrem Namen alle Ehre macht. Raimund ist den Dämonen erlegen, die Grillparzer zeitlebens in seiner Brust zu bannen sich mühte. Wie sein Sieg über sich selbst aussehen sollte, das spielt er sich selbst in „Rappelkopfs Bekehrung" vor. Dieser „schwierige" Mensch steht genau in der Mitte zwischen den „Schwierigen" der Romantik, die sich in Selbstbekenntnissen, in der Seelenlehre der Baader, Carus, Ringseis und Bachofen selbst zu verstehen suchten, und der neueren Tiefenpsychologie, die mit Freud, Adler, Jung und Szondi ein legitimer Erbe dieser Romantik ist — und, was mindestens ebenso wichtig ist,

Erbträger der Erfahrungen, die in Wien, Prag und Budapest zwischen 1800 und 1900 jenes innere Zerbrechen vorwegnahm, das später im Zerfallen des alten Reiches und in den mannigfachen Schizophrenien unserer Zeit neue Ausdrucksformen gewonnen hat. Raimunds Leben und Werk ist voll von beklemmenden Assoziationen zu unserer Gegenwart — um diese in ihrer Fülle allmählich zu bergen ins Bewußtsein (und eben dadurch einer Heilung zuzuführen), gibt es nur ein Rezept: Raimund (und Nestroy) immer wieder neu zu spielen und alle Mittel der Regie und des heutigen Bewußtseins einzusetzen, damit diese ihre eigene Lebenskraft entfalten können. Es ist das Verdienst dieser Aufführung, daß sie dabei nicht der Versuchung erliegt, Raimund zu unterspielen (ins Kabarettistische, wie es schon geschehen ist) oder zu überspielen (ins Kafkasche, da unleugbar innere Beziehungen gegeben sind), sondern in der menschlichen Mitte ihn zu treffen. So gibt er sich als ein Volksstück, das reich ist an Herztönen (Theodor Grieg als Rappelkopf, Hilde Sochor, Elisabeth Epp), in einzelnen Zügen und Gestalten (besonders Otto Woegerer als Alpenkönig) jedoch die dämonische Dimension deutlich genug ahnen läßt,, in der Raimund wie alle genialen Künstler als „unbehauster Mensch" zu Hause ist. Reicher Beifall…

Greta Garbo errang vor mehr als einem Dutzend Jahren einen Welterfolg mit dem Film „N inotschk a", in dem sie die Wandlung einer russischen Kommissarin zu einer liebend erschlossenen Frau darstellte. Melchior Lengyel hat, vielleicht angeregt durch den Erfolg von Don Camillo und Peppone, vor zwei Jahren aus dem anmutigen Brei ein Bühnenstück fabriziert, das nunmehr auch in Wien in den Kammerspielen serviert wird. Man könnte natürlich längere Betrachtungen anstellen über diesen Einzug der Sowjetrussen als Lustspielfiguren auf den Bühnen der westlichen Welt; seitdem die sowjetischen Leichtathletinnen sich in Bern, mit kosmetischen Utensilien ausrüsten, findet niemand mehr etwas Anstoßerregendes an derlei behutsam verspielten Sachen… Vielleicht ist es gut, wenn der ernste Konflikt zwischen Ost und West bisweilen dermaßen verharmlost wird und als Lustspiel darstellt, was so oft als Tragödie aufscheint. In diesem Sinne kommt die „Ninotschka" ebenso wie Don Camillio und Peppone einem gewissen Bedürfnis westlichen Publikums nach Entspannung entgegen. — Die Aufführung in den „Kammerspielen" mischt, sehr zugunsten des Bühnenerfolges, einige ernstere Hintertöne mit Obertönen des Kabaretts. Gisela Trowe als Ninotschka, Peter Preses als Oberspion geben dem Spiel starke Akzente.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung