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Wiener Glanz und Glück zum Jahresende

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Das B u r g t h e a t e r hat als letzte Premiere des verglimmenden Jahres 1959 „Der Schwierige“ von Hofmannsthal gewählt. Dieses Lustspiel stammt von 1918. Diese Jahreszahl sollte bei keiner Neuaufführung vergessen werden: vom Regisseur und vom Publikum nicht. Das ist nämlich wichtig, will man den reinen Kern dieses „Lustspiels“, wie es der Dichter selbst nennt, nicht übersehen. In heiterster, „leichtester“ Weise löst sich hier Hofmannsthal, nimmt Abschied von einer Gesellschaft, die ihm doch die liebenswerteste und liebenswürdigste war: Wiens adelige Gesellschaft im matten GoMghmrsdesfc'alten Reiches,' im'h*g n?frkl Beii“ Abend vor 1914. Hans Karl Bühl, der „Schwierige“,' der Mann, der die Tat scheut, weil er ihre Folgen überdenkt, ist ein später Enkel Kaiser Rudolfs im „Bruderzwist in Habsburg“ und ein älterer Bruder von Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Ganz ins Individuale und Intim-Persönliche eingewoben sind hier die Geschicke des alten Reiches: aus der Geschichte sind „Geschichten“ geworden. Die Aggression gegen dieses Reich und seine Menschen wird durch den unverschämten tschechischen Diener Vinzenz, den „neuen Diener“, der meint, Herr werden zu können, und primär, unico loco fast, durch den Baron Neuhoff vertreten. Dieser Mann aus dem Norden stammt leiblich aus einer „guten, alten Familie“, verkörpert aber geistig und seelisch die Unverschämtheit eines neuen Menschenschlages: er ist ein Phraseur und Politiseur, ein Windhund, der meint, diese späte Welt müsse ihm als überreife Frucht in den Schoß fallen. Dies nämlich sieht dieser Kurzsichtige richtig: die Leere in und um diese Menschen. Die große Form birgt keinen großen Inhalt mehr. — Wer die Aufführung des „Schwierigen“ vor einigen Jahren in der Josefstadt gesehen hat, wird, im Eindruck bestärkt: dieses Spiel paßt besser in ein kleineres Haus. Hier also ins Akademietheater. Die Besetzung: Robert Lindner als Graf Bühl ist eine liebenswerte Mimose; die von der klugen Aglaja Schmid als Helene Altenwyl resolut gepflückt wird. Ein Kabinettstück liefert Jane Tilden, neu im Burgtheater, als Antoinette Hechingen, am Anfang etwas zu forciert, dann ganz prächtig die rechte Form gewinnend. Boy Gobert ist ein interessanter Baron Neuhoff: voll Schwäche, voll Ueberhebung. Zu ihm paßt ein anderer Parvenü: der „berühmte Mann“ Fred Liewehrs: die Eitelkeit und Armseligkeit eines akademischen Karrieristen. Adri-enne Gessner gestaltet die Gräfin Crescence mit bewundernswerter Plastizität, ihr Sohn Stani wird durch Peter Weck zum Vorbild so mancher junger Herren, die heute wieder den Ton angeben in einer gewissen Gesellschaft. Die Hohlheit ist geblieben, geschwunden sind die guten Manieren.

Siebzig Jahre Volkstheater! Es war ein guter Gedanke, zur Festaufführung eine Alt-Wiener Posse zu wählen. Das Wiener Volkstheater ist ja der legitime Erbe der alten Wiener „Vorstadttheater“. Zu seinen glücklichen Unternehmungen gehören die jetzt siebenjährigen Aufführungen in den Randbezirken der Stadt. Adolf Bäuerle, der Schöpfer der „Theaterzeitung“, Verfasser vo-56 Volksstücken, im Vormärz vor genau hundert Jahren tragisch endend, als Verfolgter, auf der Flucht in Basel, hat die Grundlage beigesteuert: „Der Fiaker als Marqui s.“ Kurt Nachmann hat diese Posse umgearbeitet, erfolgreich; einige sprachliche Schlampereien sind zu überhören. Das Volkstheater hat sich selbst und seinem Stammpublikum eine Aufführung bereitet, die so recht ein lebenssprühendes Bild Alt-Wiens ist. Paula Pfluger als Kräutlerin Petersilie Hauswurzen, Fritz Muliar in der Doppelrolle als Marquis und Fiaker, Else Rambausek als Marquise de la Critz, Viktor Gschmeidler als Advokat Falotti führen den Reigen der drastisch und vollsaftig gezeichneten Typen an. Gustav Zelibor macht Musik, Maxi.Tschunko das Bühnenbild. Hans Trank führt mit“ breiten Strichen “Regie. Ält-Wiens Glanz und Glück regieren die volle Stunde; das bunte Volk auf der Bühne macht aus dem Publikum selbst wieder Volk: Wiener theaternärrisches, spielverliebtes Volk, das sich selbst so gern lachen und ein bißchen weinen sieht auf der Bühne. ..

So recht eine Weihnachts- und Festaufführung ist in der Josef Stadt Shakespeares „Viel Lärm um nichts“. Man müßte das ganze Ensemble aufzählen, das da mitwirkt unter der Regie Leonard Steckeis, geführt von Susi Nicoletti als Beatrice und Walther Reyer als Benedikt. Komödiantisch, brillierend, aus einem Guß: voll Musik, die aus dem Spiel klingt, von innen her, ganz hell, ganz heiter. Diese innere Musik verbindet Shakespeares Komödien mit Mozart. Beiden ist die hohe Kunst eigen, die Schwere des Menschenlebens so zu durchlichten, daß der frohe Gast vergißt, wie tief und wie dunkel die Gründe sind, aus denen sich dieses helle Spiel hebt.

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