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Junger Ibsen, alter O'Neill

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Ibsens „Ein Volksfeind“ im A R a-demietheater. Ibsen, der große Erzvater und Nährvater des modernen europäischen und amerikanischen Dramas, ist in dieser von Ernst Lothar meisterhaft betreuten Aufführung Gegenwart, beklemmende Gegenwart. „Da Stück spielt in einer Küstenstadt des südlichen Norwegens.“ Das Drama spielt hier und heute. Man hat mit dem Begriff „Nonkonformismus“ Schindluder getrieben. Hier steht, in Fleisch und Blut (ganz prächtig Ewald B a 1 e r als Doktor Thomas Stockmann), der Nonkonformist vor uns: ein Mann, ein Zeuge der Wahrheit, aus ältestem und würdigstem europäischem Geblüt; ein echter Wiking, so wie es einer einer Söhne werden will. Ein Mann, der die teure Heimat so sehr liebt, daß er lieber auswandert, als im Sumpf zu dienen. Visionär sieht Ibsen den Terror de Spießbürger voraus, der sich heute, ein tödlicher Meltau, über unsere österreichischen Verhältnisse legt, und nicht nur über diese. In vielen großen und kleinen Ländern dieser Erde droht diese neue Inquisition, die Gleichschaltung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner harter Interessen und harter Lügen, jeden Ansatz zu gesunder Neubildung, jede schöpferische Initiative zu ersticken. Ibsen schildert die Mittel und Methoden dieses Terrors, die heute wie damals praktiziert werden: Verleumdung, Mundtotmachen, Entzug der beruflichen Stellung. Nicht zuletzt die Schändung der Presse, die durch „freiwillige Selbstkontrolle“ sich zum Handlanger der Positionsbesitzer degradiert. Dieses politische Lehrstück für unsere Tage gewinnt Fleisch und Blut, den Atem des Lebens, durch die Besetzung: neben Baiser steht, als seine liebe, zuerst vorsichtige, dann überaus tapfere Frau Alma S e i d-ler, seine Tochter Petra — Annemarie Düringer. Sein Gegenpol, sein Bruder Peter, der Stadtvogt, wird von Heinz Moog präsentiert: ein amusischer Junggeselle, verheiratet mit seiner Macht, seinem Prestige, im Bunde mit den „Interessen“ Meisterhaft handhabt r die heute so überaus erfolgreiche Parole: Kleinbürger und Reaktionäre aller Länder, vereinigt euchl — Zwei Kabinettstücke: Hans T h i m i g als Buchdrucker Aslaksen und Alexander Trojan als Redakteur des „Volksboten“: Nichtgröße und Elend der Presse.

Am Tag nach der Premiere feierte das B u r gt h e a t e r in einer Morgenfeier Ernst Lothar, den Regisseur, den Dichter und Menschen, dessen siebzigster Geburtstag nicht zuletzt durch sein eben erschienenes Buch der Erinnerungen, „Das Wunder des Überlebens“, für gelernte Österreicher Anlaß gibt, unserer Vergangenheit und dieses Mannes zu gedenken. Hofrat Ernst Lothar ist, wie alle echten Österreicher, oft jenen vielen unbequem gewesen, die es mit der hierzulande außerordentlich kultivierten Kunst der Phrase, der Verdeckung, des Selbstbetruges, kurz und schlecht, aller falschen Österreichereien halten. Sein Lebenswerk könnte Anlaß zu Selbstbesinnung werden: Wieviel haben wir verloren, durch eigene Schuld, seit dem Tag, von dem Ernst Lothar festhält: „Der Tag, an dem Österreich-Ungarn unterging, traf mich wie Unzählige ins Herz. Wir wußten mit schneidender Klarheit: etwas Unersetzliches war gestorben, dessengleichen nicht wiederkam.“ — Ernst Lothar hat auf der Bühne unserer Theater, in der Burg, im Akademietheater, in der Josefstadt, bei den Salzburger Festspielen im Schauspiel österreichischer Dichter eben jene Menschlichkeit und Kultur zur Darstellung gebracht, die in der niederen Realität unserer gesellschaftlichen Verhältnisse keinen Raum mehr erhalten haben, um sich leuchtend und einleuchtend darzubieten. Das Theater ist hier, durch ihn, zum Refugium der Zivilität, der Mitmenschlichkeit, geworden.

Wieder ein O'N eill im Volkstheater: „Jenseits vom Horizont“. Eine ganz unpoetische Übersetzung, die Befangenheit einiger Schauspieler, machen die Anfänge dieses Spieles schleppend und schwer erträglich. Im Schlußteil ein Aufleuchten: der Dichtung, der Spieler. Die simple Mär vom untüchtigen, verträumten Farmerseohn, der die Farm zugrunde richtet, von seinem cleveren und herzguten, tüchtigen Bruder und von der Frau, die zwischen ihnen steht, erhält jetzt Dimension: das Land jenseits des Horizonts wird nun wahrnehmbar, es ist das innere Land, in dem die Sehnsucht, die Herzkraft, die Liebe und der Tod säen und ernten. Kurt S o w i n e t z fand sich mit der Rolle des „Versagers“ nicht leicht ab, leichter und dichter gelang die leichtese Rolle des tüchtigen Bruders Frank Dietrich. Julia Gschnitzer entfaltete sich, sehr intensiv, vom arglosen Mädchen zur leidsfarken Frau. Sehr bemüht, in Nebenrollen, Martha Hartmann, Benno Smytt, Maria Waldner, Herbert Prodinger und Ludwig Blaha.

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