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Vom Hanswurst zur Musikbox

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In den Kellertheatern gibt es zur Saisoneröffnung ganz Altes und Neuestes aus Wien: Am Parkringtheater sehen wir den „Furchtsame n“, eine 200 Jahre alte Posse von Philipp Hafner, die Tribüne zeigt die „M u s i k b o x“, ein Erstlingswerk der jungen Wiener Autorin Gertrude Ä r n o 13. Ein Stück von Hafner ist ein sonderbares, ein reizvolles Erlebnis. Nicht nur das „Historische“ daran berührt einen so sehr, auch nicht die literarische Parität, zu der man sich angesichts der ehrwürdigen Ausgrabung des Schöpfers . der Wiener Volkskomödie verpflichtet fühlen mag — Hafners . Drollerien waren weder so pietätvoll noch waren sie bewußt literarisch; man fühlt sich ganz einfach hingezogen, man fühlt sich von etwas ganz Besonderem angesprochen, man nimmt Anteil, man unterhält sich bei einem Werkchen, das es sonst wohl nirgends auf der Welt gibt. Ü3 stehen der Hanswurst und der Arlecchino auf einer Bühne, in ein und demselben Stück völlig organisch nebeneinander, da vollzieht eine wienerisch gekleidete Colombine, die sich in einem Wiener Gäßchen tummelt, einen nahezu erregenden, höchst lebendigen Kontakt zwischen der Commedia und der Lokalposse der in unserer Theatertradition noch immer gegenwärtigen „Barock-pawlatschen“. Der Vorhang öffnet sich, und man erblickt, man fühlt den Ursprung des abendländischen Theaters grWfbar nahe. Die Aufführung der Posse (in der Bearbeitung von Joseph Gregor) ist bei Kurt Julius Schwarz in guten Händen, der das, was war, und das, was ist, geschickt zusammenführte. Von den Gestaltern ist vor allem der gewandte Kurt Müller hervorzuheben; neben ihm steht Joe Trümmer, stehen Herbert F u x und Anton Rudolph mit komödiantischem Instinkt für das Wiener Ur-Theater ein. Das anmutige Bühnenbild entwarf Walter L o t h k a.

Gertrude Arnolds „M u s i k b o x“ trägt alle äußerlichen Merkmale eines Problemstückes aus dem Wien von heute, gestern, morgen — wobei Wien nur ein freigewählter Schauplatz ist: nur insofern typisch wienerisch, als die Personen der Handlung viel im Kaffeehaus sitzen. Auch die Situation ist allgemein und, wiewohl sie unsere Generation darzustellen scheint, nur dadurch „aktuell“, als sich das geschilderte Zerwürfnis einer Familie in einem modisch getünchten Espresso vollzieht. Die Musikbox, die sehr programmatisch moderne Klänge von sich gibt, ist nicht „Symbol“, ist nur Versatzstück auf der alten Bühne der menschlichen Versagen und gibt nur den zeitgemäßen Rahmen für eine literarische „Revolte der Jungen“, die gegen die Unwahrhaftigkeit und gegen das Banale (im konkreten Fall gegen die Konventionen des Vaters und den Seitensprung der Mutter) revoltieren. Der Wortschatz ambitionierter Anklagen ist althergebracht und eher abgedroschen, die Konzeption des Stückes ist indes schlicht und sauber und kann als geglücktes erstes Zusammentreffen eines Autors mit der Bühne gewertet werden. Die Inszenierung von Hans B r a n d ist konventionell, die Gestaltungen Kitty Stengels und Alexander Wagners sind intensiv. Das Bühnenbild von Magda S t r e h 1 y ist gut gelungen.

Im Theater der Courage dringt etwas sehr Erschütterndes zu uns. Ein Stück aus dem heutigen Polen: „Das Schweigen.“ Ein Stück der Sehnsucht, der Furcht, des Freiheitsdranges, ein Stück der Bitterkeit verlassener, zum Schweigen verurteilter, mit sich, mit den Gesetzen des totalitären Staates und mit ihren verratenen Ideen überworfener Menschen jenseits der Grenzen im Osten. Der zwei-undfünfzigjährige polnische Autor Roman Brand-staetter gestaltete drei mutige Akte der Verwirrung und der Schuld, die, wiewohl künstlerisch nicht sehr bedeutungsvoll, kraft ihrer inneren Dramatik eines gefährlichen, konzessionslosen Bekenntnisses eine packende Wirkung ausüben. Die verdienstvolle Aufführung in der Courage (Regie: Wolf Harnisch) findet starken Widerhall. Gute Leistungen von Tino Schubert, Wolf Harnisch, Ilse L a f k a, Andreas R o n a i, Gudrun E r f u r t h.

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