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Theaterstücke, die keine sind

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Die Zahl der kleinen Theater ist in diesem Herbst sprunghaft gestiegen, so daß der Mangel an guten Stücken, der schon immer bestanden hat, fühlbarer geworden ist. So erscheinen die verschiedenartigsten Gebilde auf den Bühnen, die oft alles andere als Theaterstücke sind, und mit diesen oft nur gemeinsam haben, daß darin Schauspieler agieren. Das junge Theater „Kaleidoskop" in der Secession hat nach seinem ersten Achtungserfolg das Schauspiel in drei Akten „Gesch wister" des Dänen Hans Christian B r a n n e r (deutsch von Fritz Nothardt) aufs Programm gesetzt, mit dem es weit weniger Lorbeeren ernten dürfte, obwohl ein deutlicher Fortschritt in der Spielweise zu erkennen ist. Der intime Rahmen des Einraumtheaters, der das Publikum weitgehend in die Spielrealität mit einbezieht, stellt an Regle und Schauspieler andere Ansprüche als die große Bühne: Jede weitausholende Geste, jede plötzliche Wendung kann hier schon übertrieben und deplaciert wirken. Und diesen Erfordernissen, so scheint es, will man im „Kaleidoskop" allmählich gerecht werden. — Das Stück, das an einem Herbstnachmittag in der Wohnung des Richters einer dänischen Provinzstadt spielt, ist die Geschichte dreier Geschwister, die der Tod des Vaters — der als eine Art H e r m a n n Kafka gezeichnet ist — in das Haus ihrer Jugend zurückruft. Es gibt wohl eher den Stoff für einen breit angelegten Gesellschaftsroman — den man sich in der Nähe und im Schatten Galsworthys beheimatet vorstellen kann —-, als für ein bühnenwirksames Theaterstück ab, so arm an dramatischen Akzenten und Komplikationen ist es. Und da sich unter den Kindern kein einziger Franz Kafka befindet, ist der Inhalt der Gespräche etwas abstrakt geraten: Philosophie aus zweiter Hand. — Die Schauspieler waren mit viel Ambition bei der Sache und verdienen Pauschallob.

Einige Stufen weiter hinunter führt der Weg zur

„Kleinen Komödie" und der „Tante aus L y o n", einer musikalischen „Komödie" von Jean Desmarės, deutsch von Kurt Nachmann. Eine Parodie auf einen Existentialistenkeller in Paris, w'irkt sie nur zu oft als Parodie auf ein ungeratenes Theaterstück, und damit auf sich selbst. An der dünnen Handlungskette sind ein paar kabarettistische Perlen aufgefädelt; Glasperlen. Auf der Bühne glaubt man nur Kurt Sowinetz, daß er von Beruf Schauspieler ist. — Das „A t e 1 i e r t h e a t e t" begnügt sich in den Weihnachtstagen mit dem Sittenbild „Unsere Haut" von Andrė L a c o u r, das nicht mehr Theater, sondern eine Krankheit ist. Man begegnet derlei Symptomen — deren Inhalt auf keine Haut geht — im Kinoprogramm jeder Woche.

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