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Beim dritten Schlage ist es Mitternacht...

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„Beim dritten Schlage ist es Mitternacht . . .“ heißt es in einer Szene des Theaterstückes des Schweizer Autors Claude Richard Stange, der sich auf diese Weise ein originelles Zeitzeichen ausgedacht hat: den Schlag ins Wasser (mit einem Kochlöffel oder etwas ähnlichem).

Drei Schläge ins Wasser: Das waren auch drei der Premieren der kleinen Theater in der vergangenen Woche. Der erste Schlag: „Abraham Lincoln in Illinois“, ein Schauspiel von Robert E. S h e r-w o o d. aufgeführt vom USIS im Theater im Josefssaal (VIII, Josefsgasse). Hätte das Sujet — 11 Szenen in der Art von Auschneidebilderbogen über die Jugendtage des Präsidenten — nicht von vornherein dem Stück die Atmosphäre eines der Lebensläufe gegeben, wie sie John Dos Passos mehrfach in seine USA-Trilogie eingeblendet hat (genormte Lebensläufe, die etwa den Gewerkschaftsführer so schildern, wie ihn sich der einfache Mann vorstellt), hätte es vielleicht ein schöner Abend werden können. Denn Sherwood hat einige sehr dramatische Szenen geschaffen; im ganzen aber überwiegt doch das Belehrende, die Schulstunde über Abe Lincoln. Zwei Schauspielerleistungen sind zu nennen: Guido Wieland und Kurt Sowinetz.

Der zweite Schlag: Ein Einakterabend im Kleinen Theater im Konzerthaus, der ganz dem Theater auf dem Theater gewidmet ist. Man sah „Die schwarze Dame der Sonette“, ein Zwischenspiel von Bernard Shaw (am Anfang), „Der verwandelte Komödiant“, ein Spiel aus dem deutschen Rokoko von Stefan Zweig, und „Das Veilchen“, aus dem Einakterzyklus „Theater“ von Franz M o 1 n ä r. Theater auf dem Theater — das ist Theater zur Potenz; also etwas, das gute Schauspieler und gute Regie verlangt. Dem hat das Konzerthaustheater nur zwei Dilettantenaufführungen (die ersten beiden Stücke) und eine allerdings sehr schwungvolle Molnär-Inszenierung entgegenzusetzen — alles in allem zuwenig für einen Theaterabend.

Diesen beiden Abenden stehen zwei gelungene Aufführungen gegenüber: einmal Ibsens „Nora“ im Neuen Theater in der S c a 1 a in der Regie von

Wolfgang Heinz (Nora: Erika Pelikowsky), und John B. P r i e s 11 e y s „Gefährliche Wahrheit“ (Dan-gerous Corner) im Theater der Courage. In der „Gefährlichen Wahrheit“ entwickelt Priestley die gleiche (Ibsensche) Enthüllungstechnik die er auch in (dem später entstandenen) „Ein Inspektor kommt“ verwendet hat; die Rolle des Inspektors spielt hier eine Kuckucksdose, so daß die Feststellung der Wahrheit eigentlich durch einen Zufall herbeigeführt wird. Auch diesmal wird — wieder wie in „Ein Inspektor kommt“ — zum Schluß durch eine Wendung ins Irreale, Imaginäre alles ins Unverbindliche abgebogen. Was ist Wahrheit? Ein Leben ohne Illusionen? Den „Tatsachen“ ins Auge zu blicken? Priestley gibt keine eindeutige Antwort. Aber er hat ein hochdramatisches, effektsicheres, packendes Stück geschrieben, von dem manche Szene im Gedächtnis bleibt und über das man noch eine Weile nachdenken kann. Eine starke Aufführung: Regie Helmut Wagner; Georg Hartmann zeichnet Robert Caplan, den Mann, der alles über den Tod seines Bruders, den er vergötterte, erfahren will, und der dann die Wahrheit nicht erträgt und sich erschießt; Franziska Kalmar gibt Olwen Peel, die Frau, die Roberts Bruder tötete, und die doch als einzige vielleicht an seinem Tode unschuldig ist. Doch darüber ließe sich diskutieren . . .

Der dritte Schlag ins Wasser: „Lionel der Low e“, eine seltsame Komödie des oben erwähnten Claude Richard Stange im Theater am P a r k r i n g. „Ich finde Sie langweilig“, sagt eine seiner Gestalten. „Wir können nicht mehr zurück“, sagt eine andere; „Er schläft. Das ist gut“ eine dritte. Eine davon ist die Besitzerin einer Achterbahn, in deren Landhaus sich alles zuträgt. Weiter wird gesagt: „Wir sind nicht schlecht, nur schwach.“ Und: „Sehr witzig!“ „Nein, sehr eng“. Der Leser möge entschuldigen, wenn er sich in diesen Zitaten nicht auskennt; der Rezensent hat sich in der Komödie auch nicht auspekannt. Ueberdies war die Inszenierung herzlich schwach (Einbrecher poltern bei der Tür herein, Zigarette im Mund, als ging's auf einen Jahrmarkt, usw.).

Es ist Mitternacht, Mr. Stange!

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