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Berliner Schauspiel 1960

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Zum zehntenmal jährten sich die Berliner Festwochen, zum zehntenmal erbrachte die bedrohte Stadt der Welt den Beweis ihres ungebrochenen Lebenswillens und ihrer künstlerischen Vitalität. Mehr als fünf Dutzend kultureller Veranstaltungen zeugten davon, daß in Berlin der Geist und die Schaffenskraft des Abendlandes immer noch und ungeachtet aller Bedrängnis und Isolation höchst präsent sind. Und das wiegt mehr als die Enttäuschung darüber, daß, zumindest auf dramatischem Sektor, das große künstlerische Ereignis ausgeblieben war.

Das Schiller-Theater eröffnete mit einer eher lau aufgenommenen „E gm o nt“-Inszenierung von Gustav Rudolf Seilner. Erich Schellow in der Titelrolle, Marianne Hoppe in Gestalt der Regentin und Wilhelm Borchert als Oranien boten zwar den Reiz einer prominenten Besetzung, der kühle, steife und reichlich schleppende Stil der Aufführung ließ indes dieses Stück, das sich weit eher kraft seiner Poesie und meisterhaften Charakterzeichnungen einzelner Figuren als infolge dramaturgischer Vorzüge behauptet, seltsam blaß und monoton erscheinen.

Im Schloßpark-Theater folgte die Urauffuhrung von Leopold Ahl s e n s szenisch recht geschickt angefertigten Bühnenfassung des „R a s-k o 1 n i k o f f“. Zwischen einem andeutungsweise transparenten Prolog und einem transparent andeutungsweisen Epilog ziehen fünfzehn naturalistische Bilder am Zuschauer vorüber, in jedem eine Spur Dostojewski, in jedem ein Körnchen jener russischen Schicksalsdämonie auf dem Weg zum Menschentum und mehr noch Ubermenschentum, doch mehr als ein Gebrauchsstück wurde unter Ahlsens Dramatisierung dieses kaum gestaltbaren Stoffes nicht daraus: eine Kriminalstory mit Weltanschauungshintergrund. Eine Reader's-Digest-Popularisierung auf der Bühne. Willi Schmidt besorgte die gläsern-spröde Inszenierung, Klaus Kammer verkörperte mit allen Mitteln der Charakteranalyse den Titelhelden.

Von den Gastspielen (unter anderem die Comidie Francaise mit der bereits in Wien gezeigten „Electre“ von Giraudoux, die „Dublin Festival Company“ mit dem berühmten irischen Volksstück „The Playboy of the Western World“ von J. M. Synge und der prachtvollen Siobhan McKenna in der Hauptrolle, und das Düsseldorfer Schauspielhaus mit den in Wien schon gespielten „Nashörnern“ von Ionesco) fand die Kölner Inszenierung der „Z i m m e r w i r t i n“ von Jacques A u d i b e r t i das stärkste Echo. Es war ein Abend der Poesie, Ironie und Verzauberung; die Dramaturgie des Traumes herrschte und die Szenerie eines Traumas, halb Mythos, halb Fabel, ein Spiel der Gestalten und Gedanken: Madame Cirque, die Zimmerwirtin eines Junggesellenetablissements, gleicht jener Circe, die in der Sage die Gefährtin des Odysseus in Tiere verwandelt hatte. Auch sie, ein Ausbund weiblicher Bosheit und Behexung, herrscht zum Unheil aller in der Rue Vanneau: sie macht sich ihre Untermieter Untertan, verwandelt sie in Kreaturen, die die Witterung des stärkeren Willens zum Vegetieren brauchen. Wenn man es o nehmen will, dann ist alle Urform der menschlichen Existenz spielerisch darin verwoben: die Sehnsucht nach der Freiheit und die nach der Unterwerfung und der Wunsch, zu herrschen und beherrscht zu werden. Der Regisseur Hans Bauer und ein vortreffliches Ensemble, mit Gisela Holzinger an der Spitze, trugen zum Erfolg entscheidend bei.

Weniger glücklich verlief Heinz Hilperts Inszenierung des Hofmannsthalschen „Bergwerks zu Falun“. Diese szenische Ballade, symbolbeladen und streckenweise eher undramatisch, ein reizvolles Märchen vor nordischer Sa^enland-schaft, ist gewiß schwer zu erfassen und schwer zu spielen. So wie Hilpert es versucht, ist es aber gar nicht glücklich: Er wollte das behutsame Stück erdig, spröde haben, einem Barlach gleich und (warum wohl?) fern vom Märchen und prononciert volkstüm-TfcrPün'il' deklamatorisch, anstatt “pöetlsoFi. küobig und unsciö^^aret die j^tü^^.vers^ubt^^turaliis^cj^, die Dekoration.

Zum Abschluß der Festwochen brachte Boleslaw Barlog die europäische Erstaufführung der amerikanischen Komödie „Der beste Mann“. Der Autor Gore V i d a 1 glossiert darin und kommentiert ebenso amüsant wie sarkastisch alle wohlbekannten Unsitten eines Wahlkampfes zwischen Präsidentschaftskandidaten — und nicht zuletzt die Entscheidung, vor die ein Mann gestellt wird, der, lauteren Charakters, anscheinend seinen Idealen der Sauberkeit untreu werden muß, widrigenfalls er nie zu jener Position gelangt, die es ihm ermöglicht, der Sauberkeit in Politik und Staatsführung zum Recht zu verhelfen. Ein äußerst aktuelles — und zugleich routiniert gebautes, wenn auch stets an der Oberfläche der Konversation dahingleitendes Stück. Martin Held und Alfred Schieske entzückten das Publikum sehr zu Recht.

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