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Berliner Theater, Ost und West

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Die Suche nach einem Dramatiker, der Theater unserer Zeit in deutscher Sprache schreibt, geht weiter. In Berlin, geistig schon immer Einfuhrgebiet, ist sie besonders dringend und genau sowenig erfolgreich wie anderswo. Nun sollte es im Osten, in gewissem Sinne, leichter sein, ein brauchbares Stück zu verfassen: der Marxismus liefert die nötige Klarheit, Lösungen für die schwierigen Fragen, in denen ein westlicher Autor sich verwirrt, liefert die dramatische Spannung auch der Gegensätze; und der Schreiber kann eich ganz dem dramatischen Handwerk widmen, das zu vermitteln staatliche Kurse und Hilfen sich eifrig bemühen.

Das jüngste Ergebnis dieser vielfältigen Zusammenarbeit legte Erwin Stritt- matter, von Brecht für seinen Erstling sehr gelobt, nun mit seinem zweiten Stück „Ho 11 Sn der br a u t vor. Politisch geschickt legt er den Beginn der Geschichte in die letzten Kriegstage, um von da an in einem kleinen mecklenburgischen Dörfchen den Beginn des Wiederaufbaus zu zeigen, den der Zuschauer als positiver Held nur noch, ungebrochen und herrlichen Zeiten zusteuemd, bis in ‘die Gegenwart und darüber hinaus fortzusetzen braucht. Von der Doktrin werden Klassenspannung und Menschenbild geliefert: die Tagelöhner sind fleißig, und ehrlich, die Großbauern eine Ansammlung sämtlicher Laster und Gemeinheiten, ständig mit dem Schnapsglas in der Hand, Frauen vergewaltigend, Fleisch verschie bend. Wenn das Stück trotzdem packt und anrührt, so liegt das nicht an Stritt- matters einfacher, von Lorca herkommender Sprache (die in östlichen Kritiken immer wieder mit Poesie verwechselt und als volksliedhaft höchlichst gelobt wird), sondern an der wunderbaren Intensität, mit der Käthe Reichel den Weg der Holländerbraut von der betrogenen Landarbeiterin zur Dorfbürgermeisterin gestaltet: ein armes, schwirrendes Ding in einer ungeheuren Einsamkeit und Verlorenheit, in Scheu und Scham, die auch zu den Genossen kein Vertrauen findet. Diese Interpretation macht die Holländerbraut zur Gefährtin von Jonescos Behringer, in ihr liegt west-östliche Gemeinsamkeit.

Ähnlich auch die Spielpläne. Wo deutsche Autoren fehlen, behilft man sich mit Übersetzungen. Westlichen im Westen: der Amerikaner Le Vitt schreibt im „A n d e r s o n v i 11 e - P r o z e ß“ von der Verantwortung des Soldaten im Krieg, dankenswerterweise ein amerikanisches Beispiel für seine Demonstration benutzend (Schillertheater); Sartre untersucht in seinen „Eingeschlossenen“ die Auseinandersetzung mit Vergangenem nach dem Versagen (Volksbühne West, die nach anhaltender Krise unter ihrem neuen Leiter Dr. Skopnik jetzt wieder ihren früheren Rang zurückzugewinnen beginnt). Bemerkenswert, wie hier im Stil der Aufführung deutlich der Unterschied zum Wiener Spiel sichtbar wurde: Schalla bewältigte das Stück in zweieinhalb Stunden,

stellte cs hart und straff in die grau- schwarzen Dekorationen. (Wien braun) und schaffte mit schwächeren Schauspielern eine packende Aufführung voll geballter persönlicher Dramatik, aus der das Politische erst spät, dann aber mächtig aufbricht.

Von deutschen Soldaten handelt auch des Slowenen K a r v a s „M i t f e r- 11 a c h t s m e s s e" (Deutsches Theater, Ost; dort spielt man, natürlich, östliche Übersetzungen), von deutschen Soldaten und ihren slowenischen Mitarbeitern und Nutznießern: im Ibsen-Stil wird hier die Verrottung der bürgerlichen Welt geschildert, an den Altmeister oder O’Neill bei weitem nicht heranreichend; löblich allerdings, daß die positiven Helden (der Partei, der Kommunistischen natürlich) nur ganz am Rande auftreten.

Da aber auch die Übersetzungen nicht ausreichen, wird der Rückgriff auf die Dramatik der zwanziger Jahre nunmehr schon lawinenhaft. Das Schillertheater (West) hatte vor Jahren mit Kaiser, Hasenclever und Sternheim begönnen; jetzt brachte die Tribüne (West) Hasen- clevers „Napoleon greift ein“: ein vergnüglicher Spaß; das Musée Grevin war um den großen Adolf, der Text umeinige aktuelle Spitzen bereichert (und es hätten derer- ruhig mehr sein dürfen!). Der Osten folgte. Vor geraumer Zeit schon brachten die Studenten der Humboldt-Universität Tollers „Entfesselten Wotan“: großartig bestürzend die Ge-

nesis eines .Volksverführers, 1923 (!) ges. schrieben. — ach, man wußte ja alles, -r- Kürzlich inszenierte die östliche Volks bühne Stern heims „Kandidaten" (ich konnte die Aufführung noch nicht sehen, weil man, wieder einmal, im letzten Augenblick den Spielplan änderte: aber ich war nicht etwa böse darum, trotz des scheußlichen, jämmerlichen sozialistischen Ersafzstückes. Während der Aufführung nämlich nähte die Garderobenfrau den

— o Schande, es zu gestehen — zerrissenen Aufhänger und das geplatzte Futter meines Mantels wieder fest. Auch das ist Berlin. „Wir tun das schon mal“, war ihre Antwort auf meinen völlig, verdutzten Ausruf. Zur nächsten Aufführung brachte ich ihr eine Tafel Schokolade mit: kapitalistischer Lohn für sozialistische Arbeit

— hoffentlich gibt’s keine Komplikationen! Und das Deutsche Theater (Ost) hat Sternheims „Hose“ angekündigt (ich suche, schon nach einem zweiten zerrissenen Mantel).

In der Oper (Ost) ist von der vergnüglichen Wiederentdeckung des Herrn „Pimpinone“ zu melden. Telemanns Zweipersonenbuff a von der Serva-Padrona (vor Pergolese!) wurde zu einem lauteren Spaß für alle Beteiligten: Man kann sich nur wundem, wie lange man ohne die Bekanntschaft dieses prächtigen alten Trottels auskam. Er sei der Wiener Kammer oper begeistert empfohlen!

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