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Grand Old Vic!

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Besorgnis erruilt das fcnsemble des Lon doner Old Vic Theatre: Vor kurzem gin die Meldung durch die Preise, wonacl diese Bühne in dem geplanten Britische: Nationaltheater aufgehen soll. Es sini „sentimental reasons“, gefühlsmäßig Gründe und Erinnerungen an große künst lerische Ereignisse, die Schauspieler um Publikum an das traditionsreiche Haus ii der Waterloo Road binden, jene Heim Stätte englischer Theaterkunst, seit Emm; Cons in dem gar nicht eleganten Stadttei die „Old Victorian Music Hall and Coffei House“ eröffnete. Aus dem Variete wurdi die Shakespeare-Bühne Großbritanniens und die volkstümliche Abkürzung Old Vit wurde zum offiziellen Namen und Ehren-titel.

Auf der großen diesjährigen Tournee, die das Ensemble in der Folge bis nach Griechenland und Ägypten führt, gastierte das Old Vic Theatre im Theater an der Wien. Es wurden glanzvolle Festaufführungen, gleichsam ein inoffizieller Epilog zu den Wiener Festwochen.

Der erste Abend war Bernard Shaws „Saint J o a n“ gewidmet. In Wien, wo man in den letzten Jahren problematische und mißlungene Shaw-Inszenierungen sah, durfte man auf diese „authentische“ Interpretation gespannt sein. Man erlebte eine Vorstellung von seltener Geschlossenheit. Unter der Regie von Douglas S e a 1 e erhält das Geschehen auf der Bühne klare Konturierung, vor allem gelingen die Ubergänge von den komödienhaften Szenen zu den dramatischen Höhepunkten in bruchloser, virtuoser Aneinanderfügung. Johanna, diesen „wunderlichsten Kauz unter den exzentrischen Notabein des Mittelalters“, die Auserwählte, die in dem scharf pointierten, traumhaften Epilog des Stückes erkennen muß, daß Gottes Schöp fung noch nicht bereit ist, die wortreicl verehrten Heiligen als erneut lebendi] wirksame Kräfte zu empfangen, spiel Barbara J e f f o r d. Welch eine großartige junge Damel Eine vitalere englische Elisa beth Bergner mit dunkler, ausdrucksfähige Stimme. Sie schöpft die darstellerischei Möglichkeiten ihrer Rolle voll aus, vor der Wandlung des entschlossenen, seinei Sendung kindhaft bewußten Landmädchem zur lenkenden, ordnenden Persönlichkei bis zum Absturz in die kreatürlkhe Angsi des gehetzten Menschen vor den Schranken des unerbittlichen Gerichts.

Die. große schauspielerische tüntel leistung' entfaltet sieh im“ Rahmen ein« h e r vorragend en Ens embl es.' 'Job Stfwari ist ein Dauphin im Sinne des Autors: weich und unköniglich, ein Spielball seinei Umgebung, doch begabt mit Mutterwitz und dem scharfen BHck für die Schwächer seiner Mitmenschen. Eindrucksvoll William Sylvester als mannhafter Bastard von Orleans, John Humphry als noblei Earl of Warwick und Andre van G y s e g-hem als hoheitsvoller Bischof von Beau-vais. Sehr intensiv der eifernde englische Kaplan von David D o d i m e a d, Oswald Laurence als Höfling „Bluebeard“ sieht aus wie eine Gestalt im Stundenbuch des Duc de Berry. (Leslie Hurry entwarf die Kostüme und beschränkte sich bei den Bühnenbildern auf sparsame, wirkungsvolle Andeutung der Schauplätze. Matte, helle Farben herrschen vor.) Ein

■ sehr erfolgreicher Abend, ein „red Iettei ; day“ im Wiener Theaterleben, i Als zweite Aufführung brachte das Old i Vic Shakespeares „Romeo and l J u l i e t“ in der Inszenierung des Italie-! ners Franco Z e f f i r e 11 i, der sich bereits in seiner Heimat einen bekannten Namen machte, ehe er nach London kam. Zefi-relli führt als Augenmensch Regie, ihm geht es um die malerisch gesteigerte Wirkung des szenischen Konzepts. Er entwirft auch die Bühnenbilder selbst, große Formen, schweres mittelalterliches Mauerwerk, nur Rahmen für Spiel, Bewegung und Licht. Zeffirellis Gestaltung des Dramas atmet südliches Temperament, die Geschichte der beiden Liebenden ist mitten in die gewalttätige italienische Renaissance gestellt. Man muß an die atmosphärische Dichte von Max Reinhardts besten Regieleistungen denken. Disziplin zügelt und leitet das Temperament, die Massenszenen sind atemberaubend dramatisch und mit meisterhafter Beherrschung der Bewegungsregie einstudiert, die Führung der Schauspieler läßt fast keinen Wunsch offen. John S t r i d e bringt alles mit, was man von einem modernen Romeo erwartet: Jugend, Unbefangenheit, Feuer und unsentimentale Empfindungstiefe, die Julia von Joanna Dunham erschien uns im Wesen und stimmlich etwas zu spröde, um Nuancen zu derb. Dafür bot Edward Aticnza als Mercutio eine rhetorische und darstellerische. Meisterleistung voll Kraft, Humor und italienischem Brio. Job Stewart zeigte sich als ein heiterer, gewinnender Benvolio, und Edward de S o u z a (der wie ein junger Robert Taylor aussieht) war ein aristokratischer Tybalt. Rosalind A t k i n s o n gab der Rolle der Amme echt Shakespearesche Farbe und Kontur. Der Bruder Lorenzo von Gerald James war ein Priester, der die Dinge dieser Welt in feste männliche Hände nimmt.

Beide Abende hinterließen einen starken Eindruck, und es gab wohl im ganzen Theater an der Wien nur einen Wunsch, der aus dem minutenlangen Beifall sprach: Grand Old Vic, in deinem Glanz mögest du noch viele Jahre bestehen, und möge es bald ein Wiedersehen geben I

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