6629079-1956_26_09.jpg
Digital In Arbeit

Modern, in klassischem Gewand

Werbung
Werbung
Werbung

Das . Gastspiel des vieldiskutierten D a r m-Städter Ensembles im Akademietheater gehörte zweifellos zu den interessantesten Ereignissen der Festwochen. Nicht nur, weil wir Gelegenheit hatten, einer Aufführung eines der ersten deutschen Theater beizuwohnen, sondern, weil wir da ein ganz spezifisches Theater sahen: eine „gehobene“, sozusagen offizielle Avantgarde, von der die deutsche Bühne während der letzten Jahre ganz entscheidende Impulse empfangen hat. viel mehr, als dies bei uns der Fall ist. Und we,.,i diese Avantgarde aus einem Häus so guten Klanges kommt, dann ist das für uns sehr aufschlußreich: denn dieses Darmstädter Landestheater ist eine sehr beachtliche Repräsentanz der deutschen Bühne und Intendant Rudolf Gustav S e 11 n e r ein Regisseur, von dem man sich Eigen-willigkeit wie Qualität erwartet. Die Gäste brachten ihr Erfolgsstück. „E 1 e k t r a“ mit, und es war vorauszusehen, daß diese Sellnersche „Elektra“ keine landläufige Tragödie und kein herkömmlicher Sophokles werden würde.

So gab es denn eine (ausgezeichnete) Aufführung, die nicht deshalb so aufschlußreich war, weil ihr Stil hart und spröde, von einer klassizistischen Nüchternheit und Sauberkeit war. oder weil die Schauspieler, damit die beabsichtigte Starre zur Geltung komme, Halbmasken trugen, und die Bühnengestaltung (von Franz Mertz) das Bild herrschen ließ und der „kalten stilisierten Illusion“ kongenial war, sondern deshalb, weil wir sehen konnten, wie sehr das alles gültig und einwandfrei und eindrucksvoll war, wie wenig „revolutionär“ es uns aber anmutete, wie veraltet unseie „Moderne“ ist, und das zu einer Zeit, da sie sich noch gar nicht überall hin durchgesprochen hat. Es zeigt sich, daß in den letzten Jahren nichts, aber schon gar nichts passiert ist, und daß wir, die nicht so eifrig mittaten, bis jetzt nicht viel versäumt haben. — Sellner ist zweifellos ein ausgezeichneter, präzise und konsequent arbeitender Regisseur, dessen Stärke die Choreographie ist, der einen sehr speziellen und makellosen Stil spielt — aber es ist kein Stil, der sich uns aufdrängt, der so kennzeichnend für irgendeine Situation ist, daß er für das, was aus dem „Gegenwartstheater“ werden soll, zwingend und bahnbrechend wäre. Es ist Selkers spezieller, sehr beachtlicher (und sehr schöner) Stil, aber es ist nur eine S t i J v e r l i o n, die keine andere ausschließt.

Wolf gang Schadewald ts Neuübersetzung, ein absichtlich herbeigeführtes Brechen des deutschen Satzbaues, zu dem Zwecke, das Wesen des Griechischen zu erschließen und eine höhere (wenn auch nicht hochwertigere) Ebene der stilisierten Monumentalität zu unterstreichen, ist ein ähnliches Unternehmen wie jenes, das den Schauspielern den Zwang der Maske auferlegt, und bringt mit ihren Elementen des Jugendstils wie des Expressionismus weder Neues, noch Außerordentliches, noch Faszinierendes. Es stört nicht so, wie man meinen möchte, das ist alles (und spricht dafür und dagegen zugleich). Die Schauspieler blieben hinter ihren Masken und Gewändern verborgen, so konnten wir nur eine sehr gute Sprech-“technik (Brigitte König, Ingrid Reinmann), ein in der Gebärde intensives Ausdrucksspiel Charlotte ] ö r e n s und die offenbar starke schauspielerische Persönlichkeit Max N o a c k s erkennen.

Auch in klassischem Gewände, sogar in klassischer Umgebung, zeigte sich das kleine Wiener „Kaleidoskop“: im römischen Amphitheater in Carnuntum, mit „M e d e a“ von Euripides und der „G o 1 d t o p f-k o m ö d i e“ von Plutüs. Während die erste Aufführung im Zeichen der beachtlichen schauspielerischen Qualität Friedrike Dorffs (Medea) und Jaromir B o r e k s (Jason), im übrigen 'aber einer wohl gut gemeinten aber nicht so eindrucksvollen Inszenierung (Horst Kepka) stand, wie sie Ort und Thema hätten erwarten lassen können, war die zweite Aufführung (Regie Helmut Matiasek) der amüsanten Ausgelassenheit und der naiven (in diesem Falle stilechten) Komödiantik gewidmet, mit der das ambi-tionierte und übermütige Ensemble (diesmal durften sie ja) das ganze, recht große Amphitheater ausfüllten. Hervorstechend die treffende Typisierung des geizigen Euklios (seinem “Nachkommen, dem „Geizigen“ Harpagon wie ein Ei dem anderen gleichend) durch Jaromir Borek. Unterhaltend und grotesk: Felicitas Ruhm, Franz Steinberg, Georg Lhotsky, Eduard Springer, ferner Marie Strohschneider, Martin Obernigg u. a.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung