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Koloriert, zuckerlrosa, schwarz
Drei Wiener Premieren, drei sehr ver-ichiedene Farbtöne. Wenn man will, kann man nach Geschmack unter ihnen wählen. Es bleibt allerdings dahingestellt, wie weit *ie den Stücken selbst entsprechen.
Michael Kehlmann, dem man die langjährige Beschäftigung mit Dramaturgie und Praxis des Fernsehens anmerkt, ist nach Wien zurückgekehrt. Er hat für seine Inszenierung der „M ademoisellc M o 1 i e r e“ von Jean A n o u i 1 h am Volkstheater einen ausgesprochenen Tech-nicolor-Stil gewählt. Manches an diesem Manuskript, das auf weite Strecken hin wie ein Filmdrehbuch wirkt, rechtfertigt dies gewiß: eine Biographie des großen Meliere mit eingebauten Liebesszenen und einmontierten Dialogen, die nach Art einer Hörfolge für den höheren Schulfunk die dichterische Entwicklung des Meisters, die Entstehungsgeschichte der „Schule der Frauen“, des „Eingebildeten Kranken“ und des „Misantrope“ verdeutlichen sollen. Aber dann wird unter diesem Handlungsgeflecht, das kaum mehr ist als eine bühnenwirksam erzählte Chronik, doch noch etwas anderes sichtbar: das Anouilhsche Grundmuster: der qualvoll unlösbare Widerspruch zwischen menschenfreundlicher Untugend und boshaft-herrschsüchtiger Reinheit, verkörpert in Madeleine, der Lebenskameradin, und Armande, der spröde-tyrannischen jungen Rivalin, die die Mutter verdrängt und den „Bürger“ Moliere zur Ehe zwingt. Für dieses Grund-muster reichen Technicolor-Farben nicht aus. Hier wären Pastelltöne und Schattierungen nötig gewesen. Halten wir uns an das, was geboten wurde und nennen wir Walter Dörflers Bühnenbild (trotz gelegentlicher technischer Unbeholfenheiten) sowie auch die bemerkenswerten Kostüme Maxi Tschunkos gleich neben der Regieleistung. Am überzeugendsten in allen Phasen und Facetten: Traute W a s s 1 e r (Madeleine); in den Stadien der Resignation und der Bitterkeit überzeugender als im genialischen Sprühen Heinrich Trimbur (Moliere); ausgezeichnet nuanciert in der Wandlung vom Klösterlichen zum Tyrannischen Ingrid Capelle (Armande). Die Episodenfiguren der Komödiantenwelt entsprachen den Urbildern nahezu alle, die Randfiguren des Hofes hingegen blieben fast alle blaß oder verzeichnet.
Schade, daß Hermann Kutscher die an sich schon nicht eben sehr gewichtige und spritzige Komödie „Der bemerkenswerte Mr. Pennypacker“ von Liam O'B rien an der Josefstadl in der Art einer sentimentalen Familienposse inszenierte und die Geschichte des Sozial- und Ehereformers, der bei bestem Gewissen in Bigamie lebte, mit einei zuckerlrosa Soße übergoß. Wie reizvoll wäre es gewesen, die Gestalt des im Grunde tierisch ernsten, Darwin und Shaw gelesen habenden „Systematikers“ ohne Schwerenöterei durch die konventionelle Umwelt eines (von Herta Hareiter im Bühnenbild treffend ironisch festgehaltenen) Amerika von 1890 stolpern zu lassen! Aber verbiete einer dem Erik Frey in der Titelrolle den Charme! Das wäre genauso unmöglich wie die Regieanweisung an Vilma Degischer, einmal nicht wissend-herzensklug, sondern dümmlich-haus-mütterchenhaft zu sein, wie es der Rolle wahrscheinlich angemessener gewesen wäre. Köstlich, und dem von der Regie übertönten Feingehalt der Komödie angepaßt, die Tante der Gretl Elb. Dezent in der Karikatur Nikolaus P a r y 1 a und Peter M a t.i c als „Twens“ von damals.
Günther Grass nennt „Onkel, O n-kel“ ganz einfach ein „Stück“. Und das ist es auch. Theater und nicht Film. Ein Stück und keine Szenenabfolge. Ein Werk, das mit schwarzem Humor ins Schwarze der Zeit trifft. Der Inhalt: Einer möchte Mörder sein, Bösewicht, Neinsager. Aber er kommt nicht dazu. Die Welt von heute ist so gesichtslos, so verquollen, so zerflossen, daß es zu ihr keine Antithese mehr gibt. Die Mutter des Mädchens, das er schänden will, lädt ihn betulich zum Kaffee, der Förster, den er umbringen will, ergeht sich in phrasenhafter Naturschilderung, die Sängerin, die er töten will, spielt ihr eigenes Lebenstheater im Opemstil. Am Ende bleiben zwei Halbstarke Sieger. Sie haben den Blick für das Sachliche. Sie lachen ihn aus und schießen ihn tot. Ein erfrischend mitleidloses, scharfblickendes Stück, unverkrampft und ohne Aufplustern. Niels Kopf inszenierte es im kleinen, echtbürtig gebliebenen Kellertheater „Experiment“. Bewundernswert, wie er seine Schauspieler führt, sie von Stück zu Stück mehr der Theaterroutine im üblichen Sinn entfremdet (bei Friederike Weber glückte dal noch nicht ganz) und ihnen Mut gibt, eine der Entwicklung fähige Originalität immer glaubhafter ausstrahlen zu lassen.
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