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Die Gesellschaft — und ihr Satyrspiel

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Man ist schnell bereit, die Gesellschaftsstücke Henrik 1 b > e n s als überholt zu bezeichnen. Nicht nur die soziale Problemstellung, auch die in den „Stützen der Gesellschaft“ praktizierte Lösung ist es sicher. Denn der gesellschaftliche Grundwiderspruch, der darin liegt, daß der unumgängliche technische Fortschritt der liberalen Gründerjahre ebenso unumgänglich zur Machtkonzentration und zur Beseitigung jener „alten“ Arbeitsformen führen muß, um die der Schiffsbaumeister Aune (Benno S m y 11 in einer der besten Szenen des Abends) vergeblich kämpft: dieser Widerspruch bleibt ungelöst. Noch hat der Ibsen der siebziger Jahre nicht die großartige Selbstironie seiner späteren Werke, besonders der „Wildente“, die auch die eigene Patentmoral als pharisäisch verdächtigt. Besieht man dieses Stück aber genauer, dann entdeckt man, daß es auch hier nicht nur um die äußeren Mißstände, um die gesellschaftlichen Probleme allein geht. Nicht die Taten der Menschen werden dem „Gerichtstag“ unterzogen, sondern ihre Haltungen. Auch der korrupte Konsul Bernick ist kein „gewöhnlicher“ Raffer und Haifisch; er ist gebannt in eine Illusionswelt, an die er selbst glaubt. Er hält sich für den „General“, der Soldaten „opfern“ muß, so wie sich Hilmar für einen Trapper hält, der Oberlehrer Roerlund für einen Propheten und der Kaufmann Vigeland für einen puritanischen Pilgervater. Sie alle sehen in sich Übermenschen, Old Shatterhands, Wotans und ähnliches. Das Problem bei Ibsen ist auch hier nicht die Entlarvung von Zuständen, sondern die heilsame Ent-Täuschung von Menschen. Erich Neuberg, der das Stück in einer sehr rasanten Inszenierung des Volkstheaters der Gegenwart nahezubringen versuchte, hielt sich an die ungemein präzis und linienklar gekürzte Bearbeitung Florian Kalbecks und konzentrierte sich mehr auf den Ablauf der Handlung denn auf die Seelenanalyse. Und siehe da: es gelang. Die Schauspieler konnten sich weder in Arien noch in Monologen ausruhen, sondern waren gezwungen, alles in Aktion umzusetzen. Gerade dadurch aber bekamen sie Kontur und Farbe, die genau dem Stil des Bühnenbildes (Gerhard Hruby) entsprachen: dreidimensionaler Naturalismus mit tieferer Bedeutung, geschlossener Raum mit dramaturgisch dazugenommenem Außen. Neuberg zwang die Schauspieler zu intensivem Dasein vom erste Augenblick an. Otto W o e-g e r e r (Konsul) bekam diese harte Zucht sehr gut. Margarete Fries (tona) erhielt bei ihrem Anfangsauftritt zunächst zuviel Nachdruck, den sie aber dann wohltuend dämpfte. Auch Oskar W i 11 n e r (Hilmar) war von allem Anfang an so stark präsent, daß ihm kein Raum mehr zur weiteren Entwicklung seiner glänzend charakterisierten Gestalt blieb. Ganz hervorragend zwei Episoden: der schon genannte

Benno Smytt und die hilflose Humanität des Prokuristen Krap (Joseph Hend-r i c h s).

Es ist die Frage, ob unsere Zeit der beendeten großen bürgerlichen Tragödie noch ein Satyrspiel zu widmen imstande ist, wie dies etwa Dürrenmatt im „Biedermann“ versuchte. Der Gedanke, es einmal radikal andersherum zu versuchen, die verborgene Unmoral nicht langsam aufzudecken, sondern ganz einfach mit ihr als dem Gegebenen zu beginnen und von da aus erst allmählich zum Menschlichen vorzustoßen, ist nicht ohne Reiz. Nur muß man auch dazu logische und dramaturgische Konsequenz besitzen, und die hat der gute Saul O ' H a r a — wie die meisten englischen Dichter aus Irland stammend — nur in sehr geringem Ausmaß. Wir hatten eigentlich gehofft, daß ein so moderner, präziser Regisseur wie Walter Davy, der das Stück „Heiraten ist immer ein Risiko“ im Kleinen Thea-

ter der Josefstadt inszenierte, manches was dem Autor an Schärfe und blitzschneller Reaktion fehlte, aus eigenem ergänzen würde. Aber weit gefehlt. Er ließ „Zwischenräume“ mitspielen, wie bei Schnitzler. Nur, daß in diesen Pausen nichts, aber auch gar nichts drin lag. Was dennoch an Atmosphäre hier und da zu spüren war, kam von den Schauspielern, sofern diese, wie etwa Grete Zimmer und Erich N i k 6 w i t z, vor allem aber Carl Bosse (ein köstlicher Butler), wirklich bei der Sache waren. Wie man mit Entsetzen paradoxen Spott treibt und den Widerspruch zum „Widerspiel“ macht, das könnte O'Hara mit allen Zunftkollegen immer noch am besten bei Curt Goetz lernen.

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