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Fritz Heer und das Burgtheater

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Evelyn Ad????nka promovierte in Wien mit der ersten Dissertati on ü be r Fri e d r i c h Heer. Wir bringen zwei Auszüge aus dem 650-SeitenWe r k , das a l s Buch erscheinen wird .

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Evelyn Ad????nka promovierte in Wien mit der ersten Dissertati on ü be r Fri e d r i c h Heer. Wir bringen zwei Auszüge aus dem 650-SeitenWe r k , das a l s Buch erscheinen wird .

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Heer fand über Ingeborg Bachmannnichtnur Eingang in die österreichische Prosa, sondern kam auch einmal bei Günter Grass vor, der in „Katz und Maus" ziemlich unvermittelt ·schrieb: „Ich, Pilenz - was tut mein Vorname zur Sache - früher mal Ministrant, wollte weiß nicht was alles werden, nun Sekretär im Kolpinghaus, kann von dem Zauber nicht lassen, lese Bloy, die Gnostiker, Böll, Friedrich Heer . . . "

Ein wichtiger Aspekt von Heers Beziehung zur Kunst . war seine Beziehung zum Theater, besonders

zum Burgtheater. Seine Liebe zum Theater äußerte sich früh in den vielen Premierenkritiken, die er für die FURCHE schrieb und die sich oft wie kleine Abhandlungen zur europäischen Geistesgeschichte lasen, allerdings, was die Aufführungen selbst betrafen, manchmal etwas schlampig waren und der N achredigierung bedurften. Bereits 1954 bekam Heer von Ernst Marboe, dem damaligen Leiter der Bundestheaterverwaltung, mit dem er befreundet war, das Angebot, entweder Direktor des Burgtheaters oder zumindest Chefdramaturg zu werden.

Heers ablehnende Antwort an Marboe, der bald darauf starb, ist ein besonders kostbares Zeugnis, weil es uns einen authentischen Einblick in Heers damaliges berufliches Selbstverständnis vern1ittelt:

„Ich möchte versuchen, in Kürze meine Ablehnung des großen Angebots verständlich zu machen. Zunächst: ich war mir vom ersten Tag, an dem diese Möglichkeit sichtbar wurde, klar darüber, daß ich, wie immer meine Entscheidung ,ausfallen würde, eine hohe und ernste Verpflichtung Dir und mir gegenüber auf mich nehme. Ich habe sehr lange gebraucht, um diese Entscheidung zu erkämpfen. Zu er-· kämpfen, denn für mich konnte es sich nicht um ein unsicheres und schwächliches Zögern und Zaudern handeln, sondern um eine gewissenhafte Untersuchung aller meiner Einsicht zugänglichen Möglichkeiten, mich in diesem neuen B.eruf zu bewähren. Allmählich schälten sich zwei Fragen erster· Ordnung heraus: a) besitze ich die Berufung, die Berufung für diesen Beruf? b) ist es möglich, eine solche Stellung en passant, also etwa für drei Jahre auszufüllen?

Das Ergebnis meines inneren Ringens: die Annahme dieser Stellung würde mich verpflichten, vom ersten Tag an (ja schon früher), den gesamten Habitus meines Lebens umzustellen - vom Gehen, Sprechen, Sitzen, Speisen angefangen, bis zu den intimsten Denk- und Gefühlsordnungen. Ich glaube, daß mir eine solche Umstellung gelingen könnte - sie wäre aber eine Umstellung für immer. Einmal vom ,Theater' besessen, würde ich es nie mehr aufgeben, und wenn ich nach e????nem Scheitern in der ,Burg' als Schmierendirektor durch die deutschen Lande ziehen müßte, oder als politischer Kabarettist, vielleicht auch als Zirkusclown ,Homo' ( ! ) deutschen und anderen Spießern versuchen müßte, mores zu lehren, ein Menschen-Bild vorzustellen, und einiges andere mehr. Du ersiehst aus diesen Vorstellungen, wie ernst ich die Versuchung des Theaters nehme, wie sehr eine innere Saite in mir auf sie anspricht.

Im Anblick dieser Versuchung und einer möglichen, zu erkämpfenden Berufung sehe ich aber nun die andere Möglichkeit vor mir: weiterzugehen, wachsend und reifend in meinem · ureigensten Beruf, gehorsam jener Berufung, über die kein Zweifel besteht bei jener Hand-

voll urteilsfähiger Männer in Europa. ( ! ) Ich bin ein geborener Historiker und Publizist; befähigt, wachsend und reifend, mitzuarbeiten ·an einem neuen chr,istUchen W e l t b i l d . Dienend an einem · Werk, das vielleicht erst übermor'­ gen Früchte tragen wird. Ich habe mich für diese Verp f l i c h t u n g entschieden, Ohne die andere gering zu schätzen . . . Es ist selbstverständlich für mich, daß ich D i r, soweit ich nur kann, in Deinen Arbeiten als

Freund und Weggenosse zur Verfügung stehe. Hab' Dank für die Einblicke in mich selbst, die Du mir r vermittelt hast durch die Not dieser Auseinandersetzung."

1 96 1 nahm Heer jedoch seine neuerliche Berufung zum Chefdramaturgen des Burgtheaters unter dem Direktorat seines Schulfreundes Ernst Haeusserman an. Von den Zeitungen daraufhin über die künftigen Aufgaben des Burgtheaters befragt, entwickelte er wiederum, wie es typisch für ihn war, die größten kulturpolitischen Vorstellungen und Ideen, so als ob das Burg-

theater ein A n g e l punkt zwar nicht gerade zur Weltveränd e r u n g , aber doch zurEntprovinzialisierung und Ö f f n u n g Ö s t e r reichs, vor allem auch W i e n s , wäre. Aber für Heer, der schon immer unter dem d u m p f e n und trüben g e i s t i g e n Klima dieses Landes g e l i t t e n und dagegen anzuk ä m p f e n v e r s u c h t hatte, stand diese Kon- zeption in

logischen Kontinuität zu seinem Lebensplan: „Ich soll geistiger Berater bei der Programmgestaltung im Sinne eines großen Welttheaters sein„ . Was mir besonders am Herzen liegt, ist die Herstellung einer Beziehung zu allen wachen geistigen Kräften im deutschen Sprachraum und in Europa überhaupt. Es gilt, auf der Bühne sichtbar zu machen, was heute im Menschen ist, lebt, webt und was an geistigen Kämpfen . unsere· Gegenwart enthält. 41

Es gehe aber auch um die Integrierung der Vergangenheit mit der Zukunft, das heißt, indem man dem Lebendigen in der Vergangenheit nachspürt, um die Kontinuität mit dem Morgen herzustellen: „Wir in Österreich haben nie eine Buchkultur besessen, immer nur eine Schaukultur." „Er meint damit", interpretierte ihn eine Zeitung, „daß das

intellektuelle Leben und die geistige Auseinandersetzung weit hinter der Lust der Wiener am Schauspiel im weitesten Sinne des Wortes zurückgeblieben siild. Dieser Erschei:.. nung w1ll er entgegenwirken, indem er zwischen Schaubühne und den geistigen Auseinandersetzungen .der Zeit lebendige Beziehung herstellen möchte. Er will daher das Burgtheater-Forum entwikkeln „ . wo füe Geister aufeinanderstoßen können und eine echte Konfrontation im Geistigen erfolgen kann. Friedrich Heer verspricht sich davon auch einen Beitrag zur Überwindung der Verprovinzialisierung des geistigen Lebens in Wien . . . Sein Ziel lautet: Wien - offene Stadt. Österreich hat die Verpflichtung, für das Wachsen der Freiheit in der freieren und unfreieren Welt, tnit den hier möglichen Mitteln zu k,ämpfen. Unbelastet durch Atom???? waffän . könnte und sollte hier. in· Wien . ein Freiheitsraum entstehen."

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