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Am Quell der Muttersprache

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Der stattliche, von Prof. F. Korger hübsch bebilderte Band enthält mehr als 200 Mundartgedichte und Prosadichtungen von über 170 in den Jahren zwischen 1860 und 1930 geborenen Verfassern; darunter die größere Mehrzahl von bisher noch unbekannten aus allen Bundesländern. Am stärksten sind Oberösterreich (116 Seiten mit 47 Verfassern) und Niederösterreich (94 Seiten mit 38 Verfassern), am schwächsten ist Wien (16 Seiten mit 4 Verfassern, darunter allerdings Weinheber) vertreten. Der Herausgeber, Dr. Johannes Hauer aus Wels, ein Schüler Josef Nadlers, der auch ein schönes Geleitwort voranstellt, hat sie in vieljähriger Arbeit gesammelt.

Unserer Meinung nach soll man das Buch nicht in kurzer Frist lesen, weil dann die Fülle übermüdet, sondern von Zeit zu Zeit, besonders am Feierabend, daheim stückweise langsam vorlesen. Wie der Herausgeber selber sagt, ist nicht alles „bester Weizen, aber es ist ohne Zweifel viel Spreu weggeblasen“. Wirkliche Meister der Mundartdichtung sind ja überhaupt selten, und wir Steirer sind durch Hans Klopfers unübertroffene mundartliche Dichtungen besonders verwöhnt. Von ihm bringt das Buch, obwohl es die seit 1945 Verstorbenen mit aufgenommen hat, leider nur zwei und auch von Weinheber nur drei. Bei anderen wäre weniger mehr gewesen. Die Meisterschaft, die nicht nur mundartlich richtig zu schreiben, sondern wirklich in der Mundart zu denken vermag und keine hochdeutschen Formeln (z. B. „er hat an güldenen Hamur“) in die Mundart überträgt, findet man nicht in allzu vielen Gedichten erreicht, und von diesem Gesichtspunkt aus hätte man die Auswahl noch strenger gewünscht.

Dennoch bleibt das große Verdienst des Herausgebers bestehen, uns einmal einen reichen Einblick in die gegenwärtige österreichische Mundartdichtung geschenkt zu haben. Wer will, wird auch sehr viel Schönes, ja einzelnes Hervorragendes in der großen Fülle finden können. Und auch Josef Nadlers Geleitworte, daß man „durch das Tor dieses Buches in ein Reich des Friedens, des reinen Einklanges und der Menschlichkeit“ tritt und daß hier „das wirkliche Oesterreich in der Vielfalt seiner Natur bei sich selber zu Hause ist“, behalten ihr Recht. Ebenso der Wunsch des Herausgebers, daß sein Buch ein richtiges Hausbuch werden möchte.

Besonders sei auf den vortrefflichen „Abriß zur

Geschichte der österreichischen Mundart“ hingewiesen, der den Herausgeber sogleich als sehr begabten Nadler-Schüler legitimiert. Hier kann jeder gebildete Leser einen vortrefflichen Einblick in die so wenig bekannte, bisher zu sehr vernachlässigte Geschichte dieser Forschung in kurzer (14 Seiten umfassender) Darstellung gewinnen. Sie reicht in ihren Anfängen bis ins 13. Jahrhundert (Hugo von Trimberg, 1235 bis 1315) zurück und bietet für das 16. Jahrhundert schon sehr reiche Quellen (Fastnachtsspiele, Jesuiten- und Piaristendramen mit ganzen Reihen mundartlicher Szenen), wie denn überhaupt die Geistlichen, P. Martin W i m m e r, Pater Florian Reichsiegel, P. Abraham a S a n c t a Clara und vor allem der Lambacher P. Maurus Lindemayr, einen hervorragenden Anteil an der heiteren und auch an den Anfängen der ernsten Mundartdichtung haben. Sie haben sie nicht nur auf die Volksbühnen in Stadt und Land, sondern auch in die obersten Kreise der Höfe getragen, und Gestalten, wie der „Riepl, Jokl und Jodl“ in den Klosterspielen, der wienerische „Bauern-Hanswurst“, der salzburgische Bauer, der Tiroler Wastl in den Stegreiftheatern Stranitzkys, Prehausers, Hafners, Schikaneders u. a., entzückten generationenlang Stadt und Land. Auch ernste Schriften, wie das „Hausbuch der Stampferin“ und Briefe höchster Persönlichkeiten, z. B. der aus Bayern stammenden Erzherzogin Maria Anna, der Mutter Ferdinands IL, bedienten sich gerne solcher mundartlicher Reden und Trutzgsangln („Schnadahüpfeln“) und blieben auch auf den „Wirtschaften“ unter Karl VI. am Wiener Hof bis zu den „Schäfereien“ der Rokokozeit beliebt. Mehr im Jargon als in echter Mundart folgten ihnen die beliebten Briefe des E i p e 1 d a u e r, des P e c h h u e b e r, des steiri-schen Kohlenpraxel und des Hans J ö r g 1 aus Gumpoldskirchen. Sie alle aber waren vor allem Mittel zum Zweck, bis erst Marus Lindemayr die Bahn zu wirklicher Mundartdichtung brach und vielen Nachfolgern, wie Tschischka und Schottky, J. F. Castelli, Johann Gabriel S e i d 1, dem Freiherrn von K1 e s h e i m, Alexander Baumann, Stelzhamer, Johann M i s s o n und so weiter, die Wege bereitete.

Ueber die jungen österreichischen Mundartdichter unterrichten 56 Seiten kurzer Biographien am Schluß des empfehlenswerten, inhaltsreichen Bandes.

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