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„Die katholische Wirklichkeit“

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Nach fünfzehnjähriger Unterbrechung fand 1948 wieder der erste deutsche Katholikentag in Mainz statt. Ihm folgten der sozialbetonte Katholikentag von Bochum 1949 und im Heiligen Jahr vom 1. bis 3. September der 74. Deutsche Katholikentag von P a s s a u, an dem trotz der verkehrsmäßig ungünstigen Lage 80.000 Menschen, davon 20.000 Oster-reicher, teilnahmen. Man hatte den Eindruck, daß für die Wahl des Ortes nicht nur seine Schönheit und die Möglichkeit der Ausstrahlung gegen Osten ausschlaggebend war, sondern auch die Nähe Österreichs und seiner einst kirchlich zu Passau gehörenden Gebiete der Diözesen Linz, St. Pölten und Wien (dessen Stephansdom nach dem Vorbild der Stephanskirche zu Passau errichtet wurde). Es sollte sichtlich nach den Jahren der Trennung die geistige und religiöse Einheit betont werden. So waren vor allem die herzlich gehaltenen Worte des Bundeskanzlers Adenauer bei der Schlußkundgebung zu verstehen (der übrigens selbst einmal im Jahre 1922 Präsident eines Deutschen Katholikentages in München war).

Daß sich der diesjährige Katholikentag von den ersten beiden Katholikentagen nach dem Krieg wesentlich unterschied, liegt einmal begründet im Unterschied der west- und der süddeutschen Bevölkerung und im Gegensatz von Bauernland und Industriewelt. Die Kundgebung trug wesentlich bayrischen Charakter, da die übrigen Teile Deutschlands nur durch Delegierte vertreten waren. Dennoch bot der Gottsdienst am Sonntagmorgen und die Schlußfeier auf dem Festplatz, in Anwesenheit zahlreicher Bischöfe des Inund Auslandes und prominenter Vertreter des öffentlichen Lebens, ein imposantes Bild katholischer Repräsentation.

Das große Charaktermal dieses Katholikentages besteht darin, daß nicht in erster Linie auf äußere Kundgebungen, sondern vielmehr auf Innerlichkeit der Akzent gelegt wurde. Dies bedeutete eine hohe Anforderung an Gehalt und Form, die nicht immer und überall erfüllt werden konnte.

Stellen wir aber die wesentlichen Gedanken zusammen, die auf der vorhergegangenen Werktagung in A 11 ö 11 i n g und in Vorträgen und Predigten in P a s s a u dargelegt wurden, dann ergibt sich neben dem gemütshaften und religiösen Erleben ein deutlicher Gewinn an Uberblick und katholischer Selbstkritik, die diesen großen Einkehrtag der deutschen Katholiken auch geistig bedeutsam machen.

Das Referat von Prälat Dr. Robert G r o s c h e, Köln, das zu Beginn der Werktagung in Altötting gehalten wurde, führte gleich in die heutige Situation hinein. „Das Christentum ist in den Untergang des Bürgertums hineingezogen, und es ist sicher, daß aus dieser Schichte eine Rettung nicht mehr kommen kann. Wir müssen neu anfangen und unsere Methoden erbarmungslos überprüfen. Wir ersticken fast in unserer Organisation. Statt lebendiger Brennpunkte, von denen Licht ausstrahlt, haben wir eine Unzahl von Zentralen, die einfach dem Gesetz der Bürokratie erliegen. Man bescheidet ich nicht, irgendwo anzufangen und schlicht etwas zu tun, sondern man entwirft Programme, die nie verwirklicht werden und die mittlerweile kein Mensch mehr glaubt.

Was wir an Programmen zu viel haben, das fehlt uns an schöpferischer Initiative, an der Spiritualität von Priestern und Laien. Vor dem Geist sind wir in die Betriebsamkeit geflohen, vor der Tat in das Gerede... Der deutsche Katholizismus ist aufgerufen, Buße zu tun und sich auf das eine Notwendige zu besinnen ...“ Wenn Ministerpräsident Dr. Ehard, ein Politiker also, es als etwas „Beruhigendes“ ansieht, daß „die Stunde der Gefahr einen schöpferischen Akt verlangt“, dann ist diese Haltung neu und zeugt von einer Lebendigkeit, die wir in unserer Zeit des Kollektivs nicht überall vorfinden. „Der verflachenden handfesten Wirklichkeit ist eine noch stärkere und editere Wirklichkeit entgegenzusetzen“, sagte Ehard. Wichtig ist weiter vor allem „das wirksame Wort. Nur in diesem entsteht die Idee, die in den Herzen der Mensdjen zündet und sie zur Vollbringung befähigt.“

Prof. Dr. Rudolf G r ab er stellte in seinem Vortrag über „Maria und unsere Zeit“ in der Versammlung in der-Nibelungenhalle fest: „Es fehlt unserem.religiösen Leben der Schwung, das Apostolische, das Dynamische, es fehlt die große mitreißende Idee, die uns zum Einsatz aller Kräfte und zum Opfer selbst des Lebens befähigt. Und dies ist doppelt schlimm, weil wir im Osten einem Gegner gegenüberstehen, der ganz erfüllt ist von der düsteren Glut eines missionarischen Fanatismus...“ Gegenüber den Verfallserscheinungen unserer Tage: der V e r.w e 11 Ii c h u n g, Müdigkeit und der Angst, muß wieder das.Gespür für Goli.rjewpckt, wert den. „Inmitten unserer-- Ausgesetztheit über tausend Abgründen“ (Frau Elisabeth Scherer) kann Sicherheit . nur aus dem Glauben erwachsen und .im Gefühl der Geborgenheit 1- der Mütter- lichkeit Märiens. Gott ließ frK„unserer Zeit keinen Propheten, aufstehen, aber es ist, wie der ständige Präsident des Zentralkomitees der deutschen /Katholikentage, Erbprinz zu L ö wen s te i n, ausführte, „eine ungewöhnliche Gnade Gottes, daß uns nun schon seit Generationen eine ununterbrochene Reihe bedeutender Päpste geschenkt wurde“. Prof. Hö f er sagte in Altötting: „Seit hundert Jahren sind di e Reformen von oben eingeleitet worden, die früher von unten gekomme n s i n d.“ Wir leben in einer Zeit des Papstes, und es ist irgendwie erschütternd, dieEinsamkeitunsererPäpste zu sehen, deren Sozialenzykliken noch zu wenig fruchtbar gemacht und auch nicht entsprechend verkündet wurden. Das, worum wir uns bemühen, ist, wie Höfer ausführte, stark das Vordergründige, die Sicherung der Lebensform. Die Erkenntnis, daß diese Welt erlösungsbedürftig ist, schreckt uns nicht. Kein Wunder, wenn das Christentum, wie in einem der Arbeitskreise festgestellt wurde, den anderen nicht mehr denn als „Reminiszenz“ erscheint, wenn der Anspruch der Kirche, auch die natürlichen Einrichtungen zu erkennen und zu erklären, im öffentlichen Bewußtsein keine Rolle spielt — angesichts der „merkwürdigen Entkräftung unseres Willens“. Wir folgen im' öffentlichen Leben doch mehr den allgemeinen Antrieben der Zeit, wir agieren doch immer wieder aus der Verteidigung heraus.

Warum ist die christliche Selbstdarstel-Inng so unbefriedigend? Offenbar fehlt es an geeigneten Personen. Es fehlt aber auch an richtigen Vorstellungen von dem, was zu vertreten ist.“

Was bleibt demgegenüber zu tun? „Notwendig ist die Sammlung aller Kräfte des Guten, wo immer sie sich finden, die Ausgleichung aller Gegensätze, die Mitwirkung und Entwicklung des neuen Bildes vom Menschen, die Pflege der besten abendländischen Tradition in um so stärkerem Maße, als die Produktivität in unserer Zeit ebenso nachläßt wie der Strom der Uberlieferung.“

Der Raum, der sich dem Katholizismus auftut, ist so groß, daß er angesichts der vorhandenen Kräfte in uns die Sorge erweckt, ob wir fähig sein werden, ihn auszufüllen. Dieser Mangel an Persönlichkeiten, der immer wieder besprochen wurde, is. freilich nicht nur in der Kirche spürbar, sondern ein Charakteristikum der Zeit.

Eben dieses war das Anliegen des Katholikentages. Die Ausgleichung der Gegensätze im Nationalen wurde besonders deutlich bei der Kundgebung der Deutschen Katholischen Jugend, bei der auch Vertreter des Auslandes zu Wort kamen. Sehr herzlich gehalten war vor allem die Ansprache des belgischen Sprechers. Er sagte unter anderem: „Deutschland ist das Herz Europas, und ihr seid das Herz Deutschlands. Vor dem Kriege hatten wir euch viel zu danken, so Rilkes .Cornet': ,Sei stolz, ich trage die Fahne ... Schätze nichts höher als Gott'.“

In einer Ansprache des amerikanischen Hochkommissars für Deutschland, McCloy, die vom Landeskommissar verlesen wurde, heißt es: „Ihr Volk vor allem ersehnt den Frieden. Zahllose Tausende ihrer Söhne sind auf den Schlachtfeldern gefallen. Tausende sind noch in Gefangenschaft. Und viele Tausende ihrer Töchter sind heimatlos und entehrt worden. In diesem Sinne werden Sie ganz besonders zu Brüdern meiner Landsleute...“

Stark und anhaltend war der Beifall, als von der überbrückung der konfessionellen Gegensätze gesprochen wurde. Der Präsident des

Evangelischen Kirchentages, von Thad-den-Trieglaff, der im übrigen durchaus den evangelischen Standpunkt betonte, sagte: „Lassen Sie uns in der weitgespannten christlichen Gemeinschaft, die Gott uns in der Welt schenkt, zusammenstehen. Ihr katholischen Christen seid nicht unsere Widersacher. Wir evangelischen Christen sind nicht die eurigen, solange wir das Kreuz Christi unter uns aufrichten. Wir haben einen gemeinsamen Widersacher, den unser, Herr als seinen Antichristen bezeichnet hat. Und je mehr Sie und wir das alleinige Wort des Meisters hören und auf die Stimme des guten Hirten achten, um so stärker können wir gemeinsam widerstehen.“

Im übrigen: Die wahren wirken: den Kräfte sind nicht, organisier b a r. Sie fließen irgendwo im Geheimen. Das Reich Gottes wird von innen her gebaut. Eben dieses herauszustellen, war ja das Anliegen dieses Katholikentages, der aber auch auf sozialem Sektor und in den Fragen „Not und Nothilfe“, „Ehe und Familie“, „Schule und Erziehung“, „Recht, Staat und Gesellschaft“ und vor allem über die Rekonsolidierung der Familien ernste Beratungen gepflo-

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