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Randbemerkungen zur woche

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WIE SCHWIERIG ES IST, in einem Vorwahl- S) kiima die Stimme der Sachlichkeit, der nüch- D lernen Ueberlegung, des fachmännischen Wis- di sens selbst in einer allem Anschein nach vom le oolitischen Manöverieid entrückten Frage d zu Wort kommen zu lassen, davon muß die g Furche" in eigener Sache berichten. Die w Rückgliederung der Randgemeinden zu Nieder- e; Österreich benützte bekanntlich Universitäts- K dozeni Dr. Walter Strzygowski zu einer von a jedem politischen, geschweige denn polemi- u sehen Inhalt freien Untersuchung, welche ij Gebiete — seiner Ansicht nach — mit gutem h Grund zu Niederösterreich zurückkehren und C welche, um eine gesunde Entwicklung Wiens s in den kommenden Jahrzehnten zu garantieren, a vicleicTit besser bei der österreichischen V Metropole geblieben wären. Aus dieser mit „ großem Ernst durchgeiührten Untersuchung t. eines anerkannten Fachmannes, der jede y Wahlgeometrie" und „Steuerarithmetik" ab- v lehnt, „eine Schützenhille des katholischen c Blattes Iür die weltanschaulichen Gegner“ zu l machen, blieb — und mit Bedauern konnten z wir davon hören — einigen Heißspornen aui ( dem Landesparteitag der Volkspartei Nieder- t Österreichs Vorbehalten. Nun, Weltanschauung f ist Weltanschauung und Stadtplanung Stadt- ; Planung! Für letztere gibt es — unseres J Wissens — keine alle Katholiken in gleicher i Weise verpflichtende Lehrmeinung. Sollte es 1 über eine spezielle Fachirage keine private . und öiientliche Aussprache geben, dann wäre i es um Oesterreich und seine Demokratie i traurig bestellt. Und noch eines: .Die Furche" i ist es nicht gewohnt, mit Freunden — und wir ; dürfen gerade in Niederösterreich und seiner i Volkspartei zahlreiche Männer unsere Freunde t nennen — „Entschließungen" auszutauschen, i Sie will es, was sie betriilt, auch in Zukunft so j halten. Mit Stärke, aber auch mit Besonnen- i heit die Kampagne iür die Herbstwahlen zu , führen, dieser treffliche Ratschlag des Generalsekretärs der Volkspartei, ist allem Anschein nach in Vergessenheit geraten. Es wäre an der Zeit, sich seiner zu erinnern.

„ES WAR EINMAL EIN PFARRER " Vor langen, langen Jahren hat einmal ein Roman mit einem ähnlichen Titel in Oesterreich größtes Aufsehen erregt. Sein Verlasset hieß Müller-Gutenbrunn, und sein Held war der große Linzer Bischof Rudigier. Sein Inhalt: Die Geschichte eines Seelsorgers, der im Zuge der kirchenieindlichen Gesetzgebung nach 1867 ins Gefängnis wandern soll. Im entscheidenden Augenblick aber spricht — im Roman wie in der Wirklichkeit — der Kaiser das Machtwort, er nimmt seine Untertanen vor der Regierung in Schutz, und alles endet ln relativem Wohlbehagen. In diesen Tagen Anno Domini 1054 ist etwas ganz Aehnllches geschehen beziehungsweise im Gange. Der Pfarrvikar von Oeblarn, P. Giselbert F r e i t a g, steht wegen eines Vergehens vor dem Richter, dessen Charakter noch viel stärker elementarprlester- lich ist als der seinerzeitige Konkordatstreit Bischol Rudigiers, bei dem in gewissen Punkten Recht gegen Recht stand. Hier aber steht eindeutig höheres gegen niederes Recht, das Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, mit seinen Konsequenzen bezüglich der Spendung der Sakramente, also des innersten Bezirkes. der Religion, gegen das positive Recht des Staates, in diesem Fall sogar das eines eindeutigen Unrechtsstaates, nämlich des NS-Regimes. Der Unterschied ist nur, daß heute kaum ein Roman über dieses Thema geschrieben wird, geschweige denn einer, der Aufsehen erregt, oder gar einer, der die Dinge beim rechten Namen nennt. Der Pfarrvikar von Oeblarn wird von einer gewissen Oelientlich- keit zu den Akten gelegt. „Den Gesetzen des Staates ist zu gehorchen, auch wenn sie ungerecht sind“ werden einige besonders vollendete Juristen sagen und sich dabei aui die Haltung des Sokrates im „Kriton" berufen. Aber sie werden vergessen, den ganzen Inhalt der Rede Sokrates’ im Kerker zu berichten. Nämlich auch jene Stellen, in denen er nicht nur vom Recht, sondern sogar von der Pi lieh t des freien Bürgers in der Demokratie spricht, offenkundig ungerechte Gesetze mit aller Kraft und allem Einfluß zu ändern zu trachten. Und dies, o mein Kriton, ist doch ein offenkundig ungerechtes Gesetz! Ist es nicht so, o mein Kriton?

„WENN DIE RUSSEN BLEIBEN , bleibe ich auch Minister, wenn die Amis kommen, wandte ich eben aut ein paar Monate ins Lager und rauche weiter ,ChesterfieldIn diesen wahrhalt staatsklugen Worten gipielte. einem Dokumentarbericht seines vor Jahren nach Westen geflüchteten persönlichen Referenten zulolge, die Philosophie des Dr. Georg Dertinger, Exaußenminister der DDR, nun verurteilt zu 15 Jahren Zuchthaus. Ganz hat diese Rechnung allerdings nicht gestimmt. Denn statt zur gewohnten Chesterfield wird er jetzt zur spärlichen Machorkaration greifen müssen, wie sie für Zuchthäusler vorgesehen ist. Das alles wäre seine persönliche Geschichte, die er genau so mit seinem Gewissen vereinbaren muß, wie die Verrälereien an seiner nächsten Umgebung aus den Reihen der Ost-CDU, die er allesamt ans Messer der SED-Diktatoren lieferte. Interessant und symptomatisch aber wird der Fall des Doktor Dertinger aus einem ändern Grund. Denn dieser kommunistische Mitläufer par exesi- lence kommt nämlich nicht aus dem Lager des sogenannten „linken" Katholizismus, das, gewissen Slogans zufolge, für den Bolschewismus besonders anfällig sein soll, sondern er kommt von der äußersten liechten her. Der Kadett der königlich-preußischen Militäranstalt in Lichterfelde, der Stahlhelmfüluer und deutschnationale Stabstrompeter, trat noch im vorletzten Kriegsjahr in einer vielgelesenen Zeitung mit einer Artikelserie an die Oefientlichkeit, die die Greuel in der Ukraine schilderte. Auch von einer solchen Herkunft also gibt es — o pfui — einen möglichen Weg in die engste Gemeinschaft mit dem ,,jüdischen Weltbolschswismus". Daß ihn Dertinger nicht bis zu Ende ging, liegt an seinem persönlichen Bedürfnis, sich doppelt rückzuversichern. Und das ist bei einem Partner, der NKWD heißt — ein gefährliches Geschäft. Daß er Ihn aber überhaupt begann und bis zum Höhepunkt seiner Laufbahn, da ihm der Orden „Polonia restiluta" zum Dank für seine Unterschrift unter das Abtretungsprolokolf Schlesiens und Pommerns verliehen wurde, gehen konnte, ist das eigentlich Beachtliche. Mit erschütternder Deutlichkeit wird an die- . sem lebenden Objekt sichtbar, daß es ein Iiollaborantentum gibt, das mit ideologischer Atfinität, Schwärmerei und Linksdrall gar nichts zu tun hat, aber bereit ist, viel hemmungsloser „milzumachen" durch dick und dünn. Es entstammt einer Schicht, deren Philosophie und Lebensklugheit mangels anderer Ziele nur mehr die Erhaltung der eigenen materiellen Existenz zum bestimmenden Moment erklärt. Mit einer Blindheit, die zugleich das untrüglichste Zeichen des von den Göttern verhängten Unterganges ist, liefern sich solche Menschen auch dem aus, von dem sie wissen, daß er sie nach einer kurzen Galgenfrist mit Sicherheit fressen wird, fressen muß. Man lebt eben nur noch. Und das ist verdammt wenig.

WAHREND DIE DELEGIERTEN des kommu- 1 nistischen Parteikongresses in Budapest durch | eine wochenlange Debatte über die Rede Räko- . sis mit ihren teils griesgrämigen, teils sogar sarkastischen Schilderungen lokaler Ueber- griffe von seiten der Obrigkeit den Eindruck . einer wirklichen Parteidemokratie erwecken wollten — in Wahrheit boten sie nur Folien zu 1 der von Räkosi vorgezeichneten kritischen- 1 selbstkritischen Linie — kündigte Politbüro- ‘ mitglied Nr. 2 und Ministerpräsident Imre 1 Nagy Gewichtsverlagerungen in der Gemeinde- und Komitatsverwaltung sowie eine allgemeine Verbreiterung der Basis an, auf welcher das volksdemokratische Regime ruht oder zumin- ‘ dest in der Zukunft ruhen solle. Die örtlichen 1 Räte, denen die Gemeinde- bzw. Bezirks- und 1 Komitatsverwaltung obliegt, müßten demnach ‘ statt wie bisher der „Willkür einzelner Ministerien" von nun an unmittelbar dem Paria- 1 ment oder dem Präsidialrat unterstehen und,

‘ weitgehend unabhängig, iür die „sozialistische ‘ Entwicklung" in ihrem Bereiche verantwortlich sein. Diese Art Gemeindeautonomie erhält T freilich eine wohl ausgiebige Korrektur, sobald n man vernimmt, daß der Ministerpräsident eine e verstärkte Parteiaktivilät in den Gemeinde- s raten und insbesondere in den Dörfern ¡orderte. g Allerdings wünschte er dabei eine Aenderung der bisherigen Methode, da nämlich die all- ‘ mächtigen Parteisekretäre über die Köpfe der Gemeinderäte — meist Bauern — schalteten und ver-walteten wie sie wollten. Die andere von dem Ministerpräsidenten angekündigte "s Neuerung ist die Wiederbelebung der .Volksfront". Diese als die „eigentliche verfassnngs- ‘ mäßige Quelle der Macht" würde die Macht- I Stellung der .Partei der Werktätigen" dem i Schein nach schwächen, in Wahrheit aber stärken. Denn die Volksfront würde als „brei- i teste gesellschaftliche Organisation die tra- ditionelten Formen, die Bauernrunden, die r Lesezirkel Wiederaufleben die führenden e Persönlichkeiten des staatlichen, gesellschaft- liehen und kirchlichen Lebens, die Vertreter der Intelligenz" einschalten. In die gleiche ß Richtung zielt die zum Schluß des Kongresses s beschlossene Statutenänderung der ,,Partei der ungarischen Werktätigen", welche in ihren Reihen auch die besten Elemente der Bauernschaft und der Intellektuellen vereine. Das 8 “ "

; „Auch" wurde jetzt eliminiert: die Ebenbürtig-

‘ keit dieser beiden Klassen mit der Arbeiter- klasse hiermit schriitiich iestgelegt. Von den 850.000 Parteimitgliedern zählten bisher 60 Pro- zent zur Arbeiterklasse. Doch die Intelligenz soll mehr und überall teilnehmen, ja führen und bestimmen: dies war der Grundton aller n Ausführungen dieses Kongresses. Im Hinter- grund erfolgte gleichzeitig die nunmehr auch t terminmäßige Gleichschaltung des ungarischen (! Fünljahrplanes, wie denn auch vor kurzem des n tschechischen mit dem der Sowjetunion: Der n zweite Fünijahresplan soll nach einem Jahr der Sammlung und der Auiholung erst 1956 he- . ginnen.

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