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Vom „Bettelstudent“ zur Glasharfe

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Obwohl die Bregenzer Fastspiele noch bis zum 15. August im Gange sind, gestatten die bisher erlebten künstlerischen Ereignisse bereits ein abschließendes Urteil.

Direktor Bär hat heuer das Wagnis unternommen, 28 Tage mit 37 Aufführungen zu besetzen. Dennoch ist es gelungen, jeweils die Veranstaltungen zu füllen, und mancher, der seinen Wunsch zu spät vorbrachte, mußte vor der Tafel „Ausverkauft“ Stehen.

Ein wenig zurückgetreten ist heuer das Spiel auf dem See. Vielleicht hat Bregenz dadurch die richtige Rangordnung der Dinge gefunden. Das Spiel auf dem See soll ein Schaustück und zugleich ein Anziehungspunkt für die Massen der Zuschauer sein, die auf diesem Wege zu den Werken ernster Kunst geführt werden. Es wäre nicht unbedenklich, wenn die Bregenzer Festspiele im Spiel auf dem 5ee gipfelten. Es gab Jahre, wo dies der Fall war, ohne daß deshalb das allgemeine Niveau gesenkt worden wäre. Dies gelang aber nur, wenn das Spiel auf dem See ein Meisterwerk der leichten Muse wiedergab und vor allem, wenn die Regie den Bodensee samt seinem Hintergrund in ihren Dienst zwingen konnte. Genau gesagt: diese Voraussetzungen trafen bisher nur bei der „Nacht in Venedig“ zu; diese aber ein drittes Mal auf das Frogramm zu setzen, wird sich die Festspielleitung mindestens einige Jahre überlegen. Vielleicht gelingt es nächstes Jahr dem „Zar und Zimmermann“, die Möglichkeiten des Wassers wieder stärker auszuschöpfen.

Millöckers „Bettelstudent“ ist sicherlich eine der schönsten Operetten des klassischen Wiener Stils. Die Aufführung war erstrangig. Hilde R o e s s e I-M a d j a n, Wilma Lipp und Eta K ö h r e r ver körperten hinreißend die drei Frauenrollen, Karl D ö n c h war als Oberst Ollendorf eine Figur von Falstaffschetn Zuschnitt, und für die beiden polnischen Freiheitskämpfer hatte man sich die Schweden Per Gründen und Arne Hendriksen geholt. Anton P a u 1 ik meisterte mit den Wiener Symphonikern die immer schwerer werdende Aufgabe, den Raum ohne Wände akustisch zu durchdringen. Nicht vergessen sei der Bregenzer Festspielchor unter Rudolf Schramek und Wilhelm Schosland. Adolf Rott als Regisseur und Walter H o e ß 1 i n als Bühnengestalter schufen wieder farbenfreudiges barockes Theater, blieben aber eine letzte Vollendung schuldig. Die eine der beiden Seitenbühnen schien überhaupt nur der Symmetrie halber aufgebaut.

Das Theater am Kornmarkt war der Schauplatz einer Spieloper, wie sie nun dauernd in das Bregenzer Festspielprogramm eingefügt werden soll. Heuer waren es „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai. Hier gaben hervorragende Solisten einander ein Stelldichein und machten die Aufführung zum Genuß.

Zu den Bregenzer Festspielen gehört von jeher das Ballett, nicht nur als Einlage in das Spiel auf dem See und Ersatzvorstellung, sondern in selbständiger Pflege seiner edlen Kunst. Nach Werner Egks „Abraxas“ wählte man heuer „Dornröschen“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky. Das Ballett der Städtischen Oper Berlin mit den Solisten Suse P r e i s s e r, Wolfgang L e i s t n e r, Egbert S t r o 1 k a, Ingeborg Höhnisch, Ingeborg S e 11 g a s t, Frank H o o p-m a n n u. a. wurde dem Werke restlos gerecht. Insbesondere die getanzten Märchen der Schlußszene prägten sich dem Auge und dem Ohr wirksam ein.

Die orchestralen Veranstaltungen waren heuer um einen Strich ernster und schwerer geworden. Sogar die traditionelle Matinee war von der leichten Muse abgerückt und auf Moussorgsky und Tschaikowsky abgestellt. Obwohl gerade dieses Konzert unter der Stabführung von Heinrich H o 11 r e i s e r schlechthin vollendet war, darf man doch die Frage stellen, ob ein aus allen Zonen kommendes Festspielpublikum auch am Sonntag vormittag schwere Kost aufnehmen möchte.

Die Raumausnützung im Freien gelang nicht nur in hervorragendem Maße dem Vorarlberger Funkorchester in seiner Serenade auf dem Martinsplatz in der Bregenzer Oberstadt, sondern ebenso dem Münchener Keller-Quartett in seiner Kammermusik und vor allem dem Glasharfenkonzert von Bruno H o f f m a n n auf der Schattenburg zu Feldkirch. Der Schloßhof der Grafen von Montfort, der Vorgänger der Habsburgschen Herrschaft, eignet sich für Freilichtkonzerte in engem Räume ganz vorzüglich. Darüber hinaus zeigen die Festspiele das anerkennenswerte Bestreben, sich nicht auf Bregenz zu beschränken, sondern ihr Wirken möglichst auf Vorarlberg auszudehnen. Dornbirn kommt wegen der gleichzeitig stattfindenden Export- und Mustermesse aus räumlichen Gründen nicht in Betracht, wohl aber Feldkirch.

Die zeitliche Erstreckung der Bregenzer Festspiele hat sich bewährt. Durch sie ist der Kreis dei erfaßten kunstfreudigen Zuschauer noch wesentlich größer geworden. Unter den Festspielgästen befanden sich Menschen aus allen Erdteilen — es mag symbolisch gewesen sein, daß einmal auf dem Parkplatz ein amerikanischer, ein englischer, ein französischer und ein ägyptischer Kraftwagen friedlich nebeneinander standen. Nur die uns immer noch so vertrauten Länder an der unteren Donau fehlen ...

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