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Vier Jahrhunderte franzsischer Phantastik

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In der Reihe der Sonderausstellungen der „A 1 b e r t i n a“ ist diese interessante Schau seltener, wenig bekannter französischer Graphik wohl eine der bedeutendsten und erweckt gerade wegen des zeitlichen Zusammentreffens mit der großen modernen Schau des „Salon d'Automne“ im Kunstgewerbemuseum berechtigte Beachtung. Denn hier handelt es' sich vor allem1 um Kunstwerke, die von der gewohnten großen klassischen Linie der französischen Kunst stark abweichen, weil sie nicht von der „raison“ der auf äußerlich ruhige Formengebung ausgehenden kühlen Berechnung, diktiert werden, sondern tief im Übersinnlichen verwurzelt sind. Unter den Schöpfern dieser Kupferstiche, Radierungen und Holzschnitte, die allein schon wegen ihrer technischen Eigenart und Meisterschaft bedeutsam sind, befinden sich Künstler, die selbst in Frankreich noch weiten Kreisen unbekannt sind, aber gerade in unserer Zeit, die wieder für die subtilsten Schwingungen der Seele empfindlich geworden ist, regstes Interesse hervorrufen müssen; denn wir spüren in, diesen Blättern die ausgesprochen expressive Formensprache der Gegenwartskunst vorausgeahnt und begründet.

Die Ausstellung, die vor allem von Frau Dr. Spitzmüller feinfühlig zusammengestellt wurde, schöpft aus dem gewaltigen Schatze der „Albertina“ und wurde durch Leihgaben der großen Wiener Kunstinstitute bereichert, so daß sie an Wert und Reichhaltigkeit selbst in Ausstellungen in Frankreich kaum übertroffen werden könnte.

Mit den wundervollen mittelalterlichen Miniaturmalereien des Rene d'Anjou setzt sie ein und führt hinüber bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. In Anbetracht der Fülle von Kunstwerken, die in dieser Ausstellung geboten werden, erscheint es fasr unmöglich, in Einzelheiten einzugehen, gibt es doch Blätter darunter, die allein schon eine ausführliche Besprechung und Würdigung verdienten. Einen Höhepunkt bedeuten aber wohl die Radierungen von Jacques Beilange, eines Zeitgenossen Grecos, dessen äußere Lebensumstände fast unbekannt sind. Seine Graphik ist flächig und geht auf starke Kontrastwirkung aus. seine langgezogenen Gestalten sind mit innerer Spannung geladen, er versteht es, große, phantastische Ideen in ausdrucksvoller Weise zu gestalten. Seine Vorläufer sind die Meister der Schule vonFontaineb'eau aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die in ihrer Art .die Renaissancekunst eines Rosso und Prima-ticcio zu der neuen Kunstrichtung des „M a n i e r i s m u s“ verarbeiteten, Hieher gehört in erster Linie Jean D u v e t, dessen Blätter aus der „Apokalypse“ und aus der „Geschichte de? Einhorns“ in ihrer Phantastik und ihrer fast raffinierten Behandlung von Hell und Dunkel ganz meisterhaft sind.

Die bedeutsame Entwicklung der “-aphi-schen Kunst brachte es mit sich, daß auch die Buchdruckerkunst in Lyon und Paris einen beachtenswerten Aufschwung nahm. Die ausgestellten Bücher mit Holzschnitten nach Entwürfen von Jean Cousin, Jean G o u j o n, Jacques Tort o r e 1 und Jean P e r i s s i n zeigen nicht nur die prunkvollen höfischen Feierlichkeiten jener Zeit, die Theaterinszenierungen, Festzüge und Leichenfeierlichkeiten, sondern besonders auch die hochinteressanten kunsttheoretischen Untersuchungen, die uns einen Einblick in die geschmackvolle, eigenartige Methode geben, mit der Künstler wie V i a t o r und besonders Androuet Ducer-c e a u sowie Philibert de L o r m e Fragen der Architektur und Perspektive zu behandeln verstanden. Es sind Blätter von köst-lidaem Reiz und künstlerischer sowie technischer Vollendung.

Erwähnenswert sind auch die eigenartigen, tiefempfundenen Darstellungen aus dem Leben Christi von Gregoire Huret und die Meisterwerke J. J. G a 11 o t s. dessen Theaterbilder und Genreszenen noch übertroffen werden von dem nr'cht“olIen B'atte der „Versuchung des heiligen Antonius“. Als vielseitiger Barockkünstler auf allen künstlerischen und kunstgewerblichen Gebieten erweist sich Jean Le Pautre, der Hauptvertreter einer Zeit unerhörter Prunkentfaltung, die uns auch durch die 16 Meter lange Folge kolorierter Stiche von J. F r a n-quart lebendig gemacht wird, der den pompösen Trauerzug für Erzherzog Albrcclit schildert.

Die Rokokokunst des 18. Jahrhunderts ist weit bekannter als jene der vorhergehenden Jahrhunderte Sie gipfelt auch in d'eser Ausstellung in den entzückenden Blättern Watteaus und in den wundervollen, damals so beliebten ChinoisTien nach B o u c h e r und P i 11 e m e n t. Mit erlesenen Proben von Fragonard und L e P r i n c e sowie den schon ins 19. Jahrhundert hinüberleitenden Marcenav d e Ghuy, Ingouf und Ledoux schließt sich der Reigen dieser überwältigenden Schau französischer Graphik, deren Eigenart ergänzt und unterstrichen wird dutrrh die aus gleicher Kunstgesinnung entstandenen köstlichen Emails aus Limoges und die wundervolle, in ihrer Technik und Farbenharmonie g'eich vollendete Tapisserie aus der Schule von Fontaineb'eau.

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