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Tschechoslowakische Graphik

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Nach Jahren geistiger Not und Vereinsamung, gewaltsamer Abschließung von dem kulturellen Leben der europäischen Völker, brachte uns das letzte Jahr Ausstellungen englischer, französischer und russischer Malerei und Graphik, die uns wieder den Weg in den europäischen Kunstkreis eröffneten. Vor wenigen Tagen wurde, gewissermaßen eingeleitet durch die interessante Schau tschechischer Liditbild-kunst, die großartige Ausstellung tschechischer Graphik eröffnet, mit der alte Fäden künstlerischer Verbundenheit zwischen Wien und Prag, zwischen dem österreichischen und tschechischen Volke neu geknüpft wurden.

Schon vor 1914, als Prag und Wien kulturelle Brennpunkte des jahrhundertealten Donaustaates waren, gab es enge Beziehungen zwischen den Prager und Wiener Künstlern, die gegenseitige wertvolle künstlerische Befruditungen im Gefolge hatten, und nach dem Ende der Monarchie wurden diese Beziehungen bald wieder aufgenommen, vor allem durch „Sezession“ und „Künstlerhaus“ auf der einen, durch die Prager Künstlervereinigungen „Manes“ und „Hol-lar“ auf der anderen Seite. Wenn daher die tschechische Graphik mit einem vierteltausend künstlerischer Werke ihrer Einzug in die schönen Ausstellungsräume der Wiener Kunstakademie gehalten hat, so bedeutet dies mehr als die Abgabe einer liebenswürdigen Visitkarte ausländischer Kunst, es bedeutet den Beginn einer kulturellen Zusammenarbeit, die eine alte Tradition fortsetzen will, die nicht mehr durch nationale oder politische Gegensätze belastet ist.

Gerade die Graphik, die am stärksten und unmittelbarsten die künstlerische Haltung einer Entwicklungsepoche festhält, vermag einen tieferen Einblick in den geistigen Zustand eines Volkes zu vermitteln. Wenn man das Gesamtbild dieser Ausstellung auf sich wirken läßt, dann erkennt man sehr deutlich, daß auch die tschechische Gegenwartskunst von den Fieberschauern einer chaotischen Zeit gerüttelt wird, die noch keine klare Entwiddung erkennen lassen. Auf der einen Seite sehen wir die starke Manifestation einer volks- und landschaftsgebundenen Kunst, auf der anderen die intellektuellen Experimente einer zweifellos interessanten künstlerischen Entwicklung, die ihre Vorbilder in Frankreich gefunden hat, einer Entwiddung, der aber doch kaum mehr als ein Übergangscharakter zugesprochen werden kann. Zwischen den meisterhaften Blättern eines Max 5 v a-b i n s k f, die in der herrlichen Lithographie „Madonna offenbart sich dem hl. Lukas“ oder in der tiefempfundenen „Pieta“ Höhepunkte graphischer Kunst erreichen, und den Graphiken eines Vaclav Z y k m u n d steht mehr als der Gegensatz künstlerischer Richtungen, hier prallen zwei Weltanschauungen aufeinander, eine, die aus dem unversiegbaren Quell echten Volkstums schöpft, und die andere, die diesen Zusammenhang verloren hat und wurzellos einen Weg zu gehen versucht, der nimmermehr aus dem Chaos einer entgotteten Welt herausführen kann.

Es spricht für den gesunden Sinn der tschechischen Kunst, daß sie bei aller Weltaufgeschlossenheit, die sich schon darin zeigt, daß viele ihrer Motive aus dem Ausland stammen, vor allem mit der heimischen Landschaft und dem tschechischen Volke aufs engste verbunden bleibt. Ob Zdenka Braunerova, Louda, Moravec, S i 1 o t s k f, Naumann, Jaromir Stretti-Zamponi oder Josef K o 6 i verträumte Prager Gäßchen oder Plätze, die stimmungsvolle Landschaft Böhmens und Mährens in brillanten Blättern zeichnen, immer spüren wir in diesen Arbeiten die tiefe Naturverbundenheit ihrer Schöpfer, die über den engen Naturausschnitt hinaus in das Reich beseelter Schilderungen vordringen.

Aber auch in der figuralen Komposition sind hervorragende Leistungen festzustellen. D i 11 i n g e r j „Don Quixote“, zwei Holzschnitte grotesken Humors, Müllers an Daumier gemahnende köstliche Radierung „In der Kutsche“, L i e s 1 e r s eigenartige, überaus eindrucksvolle Schauspielerszenen, K a i p a r s vorzügliche Lithographie „Beim Spiegel“ und H o 1 f s einfach-wuchtiger „Ziegenhirt“ sind graphische Leckerbissen erlesenster Art. Technisch vollendet und von feinster Stimmung erfüllt sind K o b 1 i-h a s Holzschnitte. D u I a s „Hochofen“, Silovskfs „Witkowitzer Hochofen“ führen in die Welt industrieller Arbeit, während Sedl£2eks „Winter“ und Preissigs farbige Aquatinta „Winterstimmung“ im Gegensatz daziu den stillen Zauber der Natur überaus stimmungsvoll festhalten.

Gerade eine graphische Ausstellung läßt sich nicht in einer kritischen Besprechung erschöpfend behandeln, sie verlangt ein liebevolles Versenken in jedes einzeln Blatt, um die künstlerische Handschrift und das Wollen des Künstlers ganz zu erfassen. Wesentlich erschien es, das Gesamtbild, den Gesamteindruck dieser graphischen Schau tschechischer Gegenwartsgraphik zu charakterisieren, denn es kommt nicht auf die Gesamteindruck dieser graphischen Schau an, sondern auf die geistige Haltung der Gesamtschau, die in ihrem wertvollen Werken, aber auch in ihren Verirrungen das künstlerische Schaffen eines Volkes widerspiegelt, das zweifellos berufen erscheint, die künstlerisdie Kultur Mitteleuropas mit bedeutsamen Leistungen zu bereichern.

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