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Der neue „Fidelio“

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„Diese Schöpfung kommt uns um so ergreifender vor, je mehr man ihren wahren Charakter achtet, ihre leidenschaftliche Naivität.“ Dieser Satz von Eduard Herriot, einem der enthusiastischesten Beethoven-Verehrer, steht zwar im Programmheft der Wiener Staatsoper, das an diesem Premierenabend verkauft wurde. Aber ob es vorher einer der Hauptbeteiligten an dieser Aufführung gelesen hat? Viele Fragen drängen sich auf nach dem neuen Wiener „F i d e 1 i o“, einer längst fälligen Neuinszenierung übrigens — der ersten nach jener optisch und regielich mißglückten vom denkwürdigen 5. November 1955, mit der das erneuerte Große Haus am Ring eingeweiht wutde.

So war denn, von vornherein, das Hauptaugenmerk des Besuchers aufs Optische, auf Bühnenbild, Kostüm und Regie gerichtet. Für all das zeichnet wohl Herbert von K a r a j a n als Verantwortlicher, auch wenn das Programm als Bühnenbildner Günther S c h n e i d e r - S i e m s s e n und als Kostümzekhnerin Charlotte Flem-ming nennt. Denn das Gesamtkonzept — der Logik und Einheitlichkeit keineswegs entbehrend, wenn auch mit unübersehbaren Fehlern behaftet — ist unverkennbar das früherer Karajan-Inszenierungen, wie wir sie während der letzten Jahre an der Wiener Staatsoper kennengelernt habes-. Die drei ersten Bilder sind architektonisch und in den Farben gut gelungen: großzügig, geschmackvoll und suggestiv in ihrem Helldunkel mit vorherrschenden Grautönen, von einer freilich mehr antik-zvklopischen Monumentalität als im Stil des spanischen 18. Jahrhunderts. Besonders eindrucksvoll das dritte Bild mit einem von vorne links nach hinten rechts über die Riesenbühne sich erstreckenden übermannshohen Eisengitter, an dem entlang schwarzuniformierte, schutzstaffelähnliche Gestalten postiert waren. Weniger geglückt: das letzte Bild: ein Lichthof mit einem „Tor ins Freie“ im Hintergrund, darüber symbolische Zacken, an den beiden Seitenwänden wie zu einem Feldgottesdienst aufgereihten Gefangenen, einem im Stechschritt einmarschierenden Minister und anderen Ungereimtheiten mehr... Dieses letzte Bild ist schwierig, wir wissen es, man hätte ihm daher alle Aufmerksamkeit widmen sollen. (Warum nicht ein „freier offener Platz vor der Festung“, wie ihn sich Librettist und Komponist gewünscht haben?)

Die Leonore sang Christa Ludwig, technisch vollkommen, angenehm anzusehen, aber ohne jene Ergriffenheit spüren zu lassen und auszustrahlen, die das A und O dieser Gestalt ist. Walter B t r r y (Pizarro), Waldemar K m e n 11 (Jacquino) und Walter K r e p p e 1 (Rocco) sangen und agierten ihre Rollen tadellos. Was bei ersterem ans Groteske streifte, geht auf Kosten einer unglücklichen Maske und der Regie. Etwas farblos: Eberhard Wächter als Don Fernando. Voll befriedigend: Gundula J a n o w i t z als Marzelline. In ihrer Bewertung stimmt der Kritiker mit dem Publikum und auch mit der Galerie über-cin, die im übrigen nur darauf kritisch reagierte, daß der sonst vorzügliche Ion W i c k e r $ (Florestan) einen schlechten Tag hatte. Einen recht schlechten freilich, sowohl was Singen als Sprechen betrifft.

Grenzenlos war dagegen der Jubel nach der recht knallig und äußerlich gespielten III. Leonoren-Ouvertüre. Wer wird es endlich beseitigen, dieses zwar von mehreren Dirigenten sanktionierte Einschiebsel das vor dem letzten Bild nichts zu suchen hat, die mit Fallgeschwindigkeit dem Ende zustrebende Handlung aufhält und die ganze, von Beethoven so mühsam erarbeitete Dramaturgie dieser Oper verdirbt? Eine .weitere Frage: Was war, bis kurz vor der Pause, mit dem Orchester an diesem Premierenabend? Wir haben es selten so beiläufig spielen hören, vor allem nicht unter Karajan. Und gedenkt man sich künftig nicht doch etwas mehr anzustrengen, um die traditionellen Homgickser auf ein bescheideneres Maß zu bringen?

Wenn man sich den Jubel und Trubel am Ende der Aufführung anhörte, so konnte einem scheinen, als seien die echten und strengen Maßstäbe (und es gibt in der Kunst keine anderen) völlig außer Kurs gesetzt, als erinnere sich niemand mehr an die Leistungen eines Hans Hotter, eines Paul Schöffler, einer Moedl, eines. Patzak und Dermota in den Hauptpartien jener Oper, die einige Minuten vom Großen Haus entfernt 1805 zum erstenmal erklang. Von anderem ganz zu schweigen. Von jenem — fehlenden — Geist des Enthusiasmus vor allem, den unser eingangs zitierter Gewährsmann meint und ohne den Beethovens Musik „ein tönend Erz und eine klingende Schelle“ ist.

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