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„Fürst Igor“ und „Katharina Knie“

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Man weiß, daß Alexander B o r o d i n, einer der patriotischen Novatoren vom „mächtigen Häuflein“, seine einzige Oper unvollendet hinterließ. Aber es ist nicht allgemein bekannt, w i e unausgeführt die Entwürfe zu „Fürst Igor“ waren. Rimsky-KorssakoV“ und sein Schüler Glazunow nahmen sich des Fragmentes an, und ihnen ist es überhaupt zu danken, daß wir einen „Fürst Igor“ auf der Bühne sehen können. Korssakow bezeichnet nur insgesamt acht Nummern (die er aufzählt), als ausgeführt. Das meiste davon steht im ersten Akt, der vom Komponisten in eine gewisse Form gebracht worden war. „Für den zweiten und dritten Akt“, schreibt Korssakow, „gab es kein ordentliches Libretto, sondern nur einzelne Verse und musikalische Skizzen oder abgeschlossene, aber in keinem Zusammenhang stehende Nummern. Ich kannte den Inhalt dieser beiden Akte aus meinen Gesprächen mit Borodin genau, obgleich er beständig vieles änderte, ganz fallen ließ oder hinzufügte. Wir beschlossen mit Glazunow folgendes: Er würde das Fehlende im 3. Akt hinzukomponieren und aus dem Gedächtnis die Ouvertüre, die uns Borodin öfter vorgespielt hatte, aufschreiben; ich alles in Ordnung bringen, beenden und instrumentieren.“ — Man sieht also: es gibt keine Urfassung und keine Originalpartitur, nicht einmal ein fertiges Textbuch, so daß jeder Art von Revision und Klitterung Tür und Tor geöffnet sind. Paul Hager als Spielleiter und Lovro von Matacif als Dirigent waren in der für Wien hergestellten Fassung, die am 6. Februar zum erstenmal aufgeführt wurde, bestrebt, möglichst viel, möglichst alles, was auf „Fürst Igor“ Bezug hat, zu retten. (Zum Vergleich: der besprochene Opernabend dauerte volle vier Stunden, hiervon etwa drei Stunden reine Spielzeit, während die Neuinszenierung vor zehn Jahren im Theater an der Wien nur etwa zwei Stunden reine Spielzeit hatte.) Wir hörten also nicht nur den ganzen, meist gestrichenen dritten Akt, sondern auch als Interludien zu den vielen neugestalteten Bildern — Originalmusik von Borodin, die nicht aus dem Klavierauszug von „Fürst Igor“ stammt.

Hierdurch wirkte das an sich mehr episch als dramatisch angelegte Werk noch breiter, ohne deshalb freilich langweilig zu sein Denn die Musik Borodins, von russischer Folklore bis in jede Faser imprägniert, mit ihren charakteristischen Ostinati und den tiefen Bässen, ist immer eigenartig und interessant. Erfreulich war auch, daß man einen Großteil des (deutschen) Textes in der Neuübertragung von Winfried Z i 11 i g mühelos verstand. Gelungen gleichfalls waren die in gedämpften Farben gehaltenen Bühnenbilder. Projektionen und Kostüme von Wilhelm R e i n k i n g : die Steppenzelte der Tataren, ein riesiger Kuppelsaal, in den von außen rötlich-dunstiges Licht einfällt, eine beklemmende graue Ruinenlandschaft, die zerstörte Stadt Putiwl, in welche die Flüchtlinge wieder einziehen u a. Weniger überzeugend die große Balletteinlage im 2. Akt, die berühmten „Polowetzer Tänze“: ohne rechte Intensität und Stimmung, nur Tnöglichst wild und barbarisch, der reizvollen Musik Borodins nur recht oberflächlich angepaßt (einstudiert von Dimitrije Parlic, nach der alten Choreographie Fokines). In den Hauptrollen: Eberhard Wächter als Titelheld, Hilde Zadek -Jaroslawna, Giuseppe Zampieri — Wladimir Igore-witsch (die schönste Stimme und das unglücklichste Kostüm dieser Aufführung), Hans Hotter — Fürst Galitzky (imponierend, wie immer), Gottlob Frick in einer wohlgelungenen Charakterstudie als Chan Kontschak, Ira Malaniuk — Kontschakowa und das groteske Paar Karl Dönch und Peter Klein als Gudokspieler, ausgestattet und agierend wie echte Muschiks. Sie alle wurden vom Spielleiter Paul H a g e r sicher geführt, der mit dieser Neuinszenierung eine schwierige Aufgabe mit viel Talent und Fleiß gelöst hat Lovro von M a t a £ i £ hatte das Orchester, den Chor und die Solisten sicher in der Hand und erwies sich als hervorragender Interpret dieser eigenartigen Musik.

„Volksstück mit Musik“ ist ein angemessener Titel für das Seiltänzerstück „Katharina Knie“ von Carl Zuckmayer mit Musik von Mischa S p o-1 i a n s k y. Denn ein „Musical“, wie es ursprünglich genannt war, ist es nicht, dazu ist es zuwenig „Gesamtkunstwerk“, zu arm an Bewegung und Ballett, zu arm vor allem an Musik. — Die ein wenig sentimentale Geschichte des Zirkuskindes Katharina, die den Wanderwagen ihres Vaters verläßt, um den jungen Landwirt Martin Rothacker zu heiraten, die dann aber noch einmal zum väterlichen Zirkus zurückkehrt, aber nur, um dem alten Knie zu sagen, daß sie sich endgültig für das seßhafte Leben und für ihren Bauern entschieden hat — während der Vater Knie stirbt —, das wird von Zuckmayer mit Gefühl, einer Portion Derbheit und, stellenweise, auch mit Poesie dargestellt. Ohne das Zirkusmilieu freilich, mit Clowns und Balance-Spielern, Parterreakrobaten und Drahtseilakten, wirklichen Pferden, die die Zirkuswagen ziehen, und einem reizenden kleinen Zwergpony, das mit dem Köpf nicken und mit den Hufen zierlich im Manegesand rechnen kann, ohne all das wär's eine wenig interessante Geschichte. Aber Zuckmayer kennt sein Handwerk und das Publikum, und so ging die „Katharina Knie“ über viele Bühnen. Man könnte sich auch Musik dazu vorstellen, aber nicht von Spoliansky, dem außer zwei, drei Chansons und einem geglückten Chorfinale mit Ballett herzlich wenig eingefallen ist. — Im Raimundtheater hat Alfred Walter das Stück mit allen nur denkbaren Attraktionen herausgebracht und ausgestattet.

Hans Albers, lebhaft begrüßt und am Schluß gefeiert, hat immer noch seinen Charme und den unwiderstehlich strahlend blauen Blick, Trude Hesterberg („früher Stemm- und Kraftakte, jetzt Kasse, Kochen, Waschen“) legt eine scharfprofilierte Charakterrolle hin, Hannelore C r e m e r ist eine nette talentierte und bewegliche Katharina, eine lange Reihe echter Artisten sorgen für Unterhaltung, Rein Este (Choreographie) und Gerdago (Kostüme) geizen nicht mit Einfällen, das Bühnenbild Ferry Windbergers ist durch das immer attraktive Zirkusmilieu angeregt, und Oswald Unterhauser dirigiert flott. Das Premierenpublikum zeigte sich, trotz der Länge des Stückes, bis zum Schluß amüsiert.

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