6701222-1963_30_15.jpg
Digital In Arbeit

Rummel in Venezia

Werbung
Werbung
Werbung

Genau sieben Tage nach der Uraufführung in Berlin, erlebten die Wiener am 9. Oktober 1883 „Eine Nacht in Venedig“. An der Spree hatte man gepfiffen, an der Donau, oder besser gesagt, an der Wien, applaudierte man dem Herzog von Urbino, diesem Genüßling mit Samtbarett und Spitzbart, der sich zwischen San Marco und dem Rialto auf unerlaubte Liebespfade begibt, streng inkognito natürlich; ein Don Giovanni, der es lieber nicht mit dem Komtur, sondern mit dümmlich-eitlen Senatoren aufnimmt. Früher als bei anderen Werken traten bei dieser komischen Oper mit Operettenlibretto bemühte Bearbeiter auf den Plan, änderten am Plüschkostüm aus der Werkstätte Genee-Zell, wendeten den wohlfeilen Stoff, setzten neue Teile ein. Fritz Eckhardt nun, renommierter Schauspieler und Autor, trennte die alten Klamotten ganz auf, fügte sie neu zusammen, applizierte Pailletten und stückelte bunte Commedia-dell'Arte-Flicken dazu. Bei der Firma „Eckhardt k Co.“ figuriert Karl Loube als „Compagnon“, gewissermaßen als „Johann Strauß' Nachfolger“. Er machte sich an die Aufgabe, wesentlich teureres Material nach den Richtlinien zeitgemäßer Couture mit Heftstichen anzupassen. Was ihm für seine Kollektion fehlte, holte er aus dem übrigen, reich aussortierten Lager des Walzerkönigs. Der Rest ist Strauß, Ia-Qualität, nach wie vor.

Für die Fremden und die Einheimischen bringt man imTheateranderWien „Eine Nacht in Venedig“ als Karnevalsspiel aus dem venezianischen Rokoko. Doch alle guten Geister Goldonis, Cana-lettos und Guardis haben da wohl die Flucht ergriffen, denn dieser Markusplatz, nicht von ungefähr in der Nähe des

Naschmarktes, wurde zum Rummelplatz für einen Rosenmontag mit Spaghetti. Am besten ist das szenische Vorspiel: da entfesselt Regisseur Otto Fritz Solisten, Chor und Ballett in einer fast virtuosen Parodie auf den Fremdenverkehrswirbel in der Lagunenstadt von heute; derartiges könnte sich Arno Assmann ausgedacht haben. Dann aber beginnt das Bei- und Rankenwerk der Witze, Blödeleien, Wortspiele, Verwechslungen und bodengymnastischen Scherze recht üppig zu wuchern. Fritz inszeniert als Groß-Tumultarius ein tolles Treiben um Liebelei und Intrigen, durchsetzt mit Spaß, G'spaß und Spaßetteln, ein Gschnasfest zwischen der Wien und dem Canale Grande, unterbrochen von großen, mittleren und kleinen Auftritten und Gesangsnummern.

Und damit sind wir bei ihm, bei i h m, dem italienischen Duodez-Serenissismus, dem Tenorissimus Rudolf Schock, Beherrscher des schmetternden Forte und des tauberisch-zauberischen Piano, ein Herzog voll Grandezza, dem man fast, bei jedem Ton anmerkt, daß er auch auf der Nürnberger Festwiese der Meistersinger wohl bewandert ist. Fritz Eckhardt bescherte ihm eine fürstliche Gemahlin, eine spätgeborene Schwester der Adele in der „Fledermaus“ und der Gräfin Melanie in „Wiener Blut“. Verlarvt täuscht sie den lockeren Vogel und gondelt mit ihm zu guter Letzt aus den verführerischen Lagunen wieder in den sicheren Hafen der Ehe zurück. Christiane S o r e 11 bringt das mit weiblicher Grazie, Humor und ihrem schönen Mezzo zuwege. Friedrich N i-d e t z k y macht aus dem genarrten Senator (bei Genee-Zell gibt es drei solcher Würdenträger) einen leichtergewichtigen venezianischen Ochs von Lerchenau, diesem Dogenanwärter hätte Goldoni vielleicht, insgeheim lächelnd, seine Reverenz erwiesen. Eine der erfreulichsten Begegnungen des Abends: Peter Minich als herzoglicher Leibbarbier, gut bei Stimme und ein sympathischer moderner Komiker obendrein. Seine Partnerin Sonja M o 111 -P r e g e r, auf der Bühne das Mündel des Senators, hält leider Affektiertheit für kapriziöse Mädchenhaftigkeit. Helga P a p o us c h e k ist ein schnippisches Teenager-zöfchen mit viel Spielfreude und Schwung. Ex-Raimundtheater-Buffo Franco Steinberg hat von allen Mitwirkenden das meiste südliche Brio und ersetzt durch Gelenkigkeit und fröhliche Wurstelei, was ihm an Stimme fehlt. Eine glückliche Hand bewies der Textbearbeiter mit der Einfügung des Dottore, eines kleinen Intriganten, der das zerschlissene Mäntelchen nach allen Winden zugleich hängt. Wolfgang Zimmer gab dieser Rolle die gebotene skurril-schmierige Note.

Walter H o e s s 1 i n arbeitete bei der szenischen Gestaltung mit großformatigen Ausschnitten aus Schwarzweißphotos, bunten Versatzstücken, rauschenden Draperien und Goldpapiergondeln, manches originell, manches alter Operettenkitsch. Ernie Knieperts Kostüme fielen diesmal recht unterschiedlich aus. Animiert leitet Paul Walter das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester und den Chor der Volksoper. Dia Lucas Choreographie gipfelt in der mitreißenden, sehr exakt getanzten Tarantella.

Wer eine richtige „Hetz“ suchte — und die meisten Ausländer taten es — kam voll und ganz auf seine Rechnung. Wer sich aber den alten Zauber der Wiener Operette in neuem Gewand erhoffte, mußte eine größtenteils versäumte Chance beklagen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung