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Eliots Mord in der Kathedrale als Oper

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Am 29. Dezember 1170 wurde Thomas Becket, Kanzler und Erzbischof, in der Kathedrale von Canterbury von vier dem König Heinrich II. ergebenen Rittern umgebracht. Früher Freund und Vertrauter seines Königs, darf Thomas Becket, sobald er das Amt des Erzbischofs angetreten hat, nur noch der Kirche und dem Papst gehorsam sein; in den Augen des Königs und dessen Getreuen ist er ein Hochverräter. Dieser Konflikt ist der Vorwurf des bekannten Theaterstückes von T. S. Eliot, das bereits 1935 bei den Festspielen in Canterbury uraufgeführt wurde und nach 1945 über mehrere deutschsprachige Bühnen ging (in Wien wurde das Stück 1952 während der Juni-Festwochen vor der Jesuitenkirche gespielt: die deutsche Nachdichtung von Rudolf Alexander Schröder ist in der Amandus-Edition erschienen). Wenn sich der Vorhang hebt, sind die äußeren Entscheidungen bereits gefallen. Nur Thomas Becket muß sich gegen vier „Versucher“ — personifizierte innere Stimmen — behaupten. Sein Gegenspieler, Heinrich II., tritt nicht auf. So wirkt das ganze Stück mehr wie ein Mysterienspiel, eine Allegorie, denn als historisch-religiöses Drama.

Die zahlreichen Sprechchöre (des Volkes, der Frauen, der Priester), einige responsorienartig angelegte Szenen sowie die Schlußapotheose mit dem Tedeum mögen den Komponisten Ildebrando Pizzetti, geboren 18SO in Parma, dazu veranlaßt haben, die italienische Nachdichtung des Eliotschen Dramas durch Msgr. Alberto Cantelli zur Grundlage eines Operntextes zu nehmen. Die vom Komponisten selbst durchgeführte Kürzung und Straffung des Textes ist gut gelungen. Hier zeigt sich der Theaterpraktiker, der jedes rhetorische Zuviel zu meiden weiß, und der erfahrene Autor von etwa einem Dutzend Opernwerken. Allerdings nur hier, denn die Musik, die der 77jährige Pizetti auf diesen Text schrieb, entbehrt nicht nur jeder Eigenart, sondern auch der dramatischen Schlagkraft. Gewiß, die selbstgewählte Aufgabe war schwierig. Aber was hätte etwa ein Honegger oder ein Dallapiccola, ja noch ein Britten aus dem Text zu machen gewußt! Diese Partitur ist so unpersönlich und farblos, daß es schwer wird, sie charakterisierend zu beschreiben. Darin gleicht sie einer guten Filmmusik, der sie auch darin ähnelt, daß man sie für Minuten überhaupt nicht bemerkt. Zugute halten mag man dem Komponisten eine gewisse Haltung, ferner die Geschicklichkeit, mit der er gregorianische und kirchentonale Elemente seiner Sprache assimiliert sowie, wofür man immer dankbar sein muß, die Vermeidung von Banalitäten. — Vom Musikalischen her war^jf^nnahm^^if^^Sjfilje^u^^utsch-

Staats o per ein kaum begreiflicher Fehlgriff, zumal Herbert von K a r a j a n selbst am Pult stand und daher die Partitur ante festum genau studiert haben muß. Ob ihm dabei nichts aufgefallen ist?

Erfreuliches ist von der Inszenierung, vor allem aber vom Bühnenbild zu berichten. Es war von kaum zu überbietender Einfachheit, überzeugend in seiner Symbolik und von großartiger Wirkung. In die Mitte der Bühne hat Pietro Z u f f i ein mächtiges romanisches Kreuz gestellt, das mit edlen Hochreliefs geschmückt ist. Durch aufklappbare Tafeln wird es einmal in eine Wand verwandelt, durch Herausnahme des Kernstückes entsteht ein Schrein, von welchem aus im Zwischenspiel Thomas Becket die Weihnachtspredigt hält. Im fünften Bild hätte man vielleicht auf die Kulissen, die das Innere der Kathedrale verdeutlichen sollen, verzichten können; der Grabstein, vor dem sich die vier Ritter zu rechtfertigen versuchen, ist wieder sehr eindrucksvoll; dagegen ist das letzte Bild in den Farben weniger geglückt. — Margarethe W a 11 m a n n bewährte sich als Spielleiterin in der Führung der einzelnen Personen ebenso wie in der Chorregie. Ihre Gruppen sind individuell gegliedert und ergeben doch einen geschlossenen Gesamteindruck. Die Besetzung sämtlicher Haupt- und Nebenrollen ließ keinen Wunsch offen. Hans H ö 11 e r s Darstellung des Erzbischofs hatte Größe, Würde und Dramatik. Seine Leistung als Sänger stand der des Schauspielers in nichts nach. Die drei Priester der Kathedrale, ein Herold, die vier Versucher, die vier Ritter des Königs und die beiden Chorführerinnen wurden von den Herren Equiluz, Heater, Hurshell, Detmota, Stolze, Schöffler, Berry, Kreppel und von den Damen Zadek und Ludwig dargestellt. Ein Lob gebührt auch den Übersetzern des italienischen Textes: Heinrich Schmidt und LeoUher. — Das Premierenpublikum hat den Darstellern, dem Dirigenten, der Spielleiterin und dem anwesenden Komponisten freundlich applaudiert.

Ein Landsmann Pizze'ttis, der Dirigent NeTlo S a n t i, stand an mehreren Abenden am Pult der Staatsoper. Er begann sein Gastspiel mit einer sehr erfolgreichen „A i'd a“-Aufführung (in den Hauptrollen Lucine Amara, Regina Resnik, Frederick Guthrie, P. M. Ferraro, Walter Kreppel und Aldo Protti). Hierauf folgte „Cavalleria rusti-c a n a“ mit den Damen Goltz, Milinkowic, Sjöstedt und den Herren Zampieri und Hurshell. „D e r Bajazzo“ war mit Sena Jurinac, Dagmar Hermann und den Herren Usunow, Protti, Zampieri, Pernerstorfer u. a. besetzt. In „Othello“ unter Nello Santis Leitung sangen Sena Jurinac, Dagmar Hermann, Usunow, Zampieri, Pernerstorfer, Lorenzi, Schweiger und Pröglböf.

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