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Auf der Jakobsleiter

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Im Jahre 1917 erschien in der Wiener Universal-Edition der vollstandige Text Arnold Schonbergs zu einem zwei- teiligen Oratorium mit dem Titel „D i e Jakobsleiter". Der Plan zu diesem Werk geht bis auf das Jahr 1912 zuruck (Brief an Richard Dehmel!), die Komposi- tion des 1. Teiles im Particell erfolgte 1917, wurde aber durch Schonbergs Einbe- rufung zum Militar unterbrochen. Etwa 1922 entstand ein groBes symphonisches Zwischenspiel, das zum 2. Teil uberleiten sollte, und erst 1944 nahm der Komponist seine Notenskizzen wieder vor, um das Werk zu instrumentieren, lieB jedoch nach einigen Takten die Arbeit liegen. 1951, knapp einen Monat vor seinem Tod, schrieb er an den Freund Karl Rankl: „ ... es ist die Moglichkeit, daB ich ein- sehen muB, nicht mehr in der Lage zu sein, die Jakobsleiter* zu Ende zu kom- ponieren. Keinesfalls aber kann ich die Partitur noch schreiben. Ich will Sie nun fragen, ob Sie eventuell bereit waren, eine solche Partitur anzufertigen ...“

Auf diesem Briefpassus und auf dem vorliegenden Skizzenmaterial basiert das Projekt, Schonbergs hinterlassenes Particell des 1. Teiles sowie des Zwischen- spiels zu instrumentieren und auffuhrungs- reif zu machen. Im Auftrag der Witwe Arnold Schonbergs unterzog sich der bekannte Komponist, Schonbergschiiler und Interpret neuester Musik, Winfried Z i 1- lig, der schwierigen Aufgabe. Das Re-

sultat lernten wir in einem vom Wiener Konzerthaus gemeinsam mit der Direktion der Wiener Festwochen veranstalteten Sonderkonzert im Rahmen des IGNM-Festes kennen. Die Ausfuhren- den waren die Rundfunkchore von Koln und Hamburg, das Kdlner Rundfunk- symphonieorchester sowie eine lange Reihe von Gesangssolisten und Sprechern mit dem Kammersprechchor Zurich.

Der konzertanten Auffiihrung des 1. Teiles ging eine Gesamtlesung des 30 Dtuckseiten umfassenden und etwa 50 Minuten dauernden Textes von Schonberg voraus, bei der namhafte Schauspieler wie Albin Skoda, Walter Reyer, Hans Thimig, Ernst Meister, Joana Maria Gor- win und andere mitwirkten.

Gustav Rudolf S e 11 n e r fuhrte Regie bei dieser Leseauffiihrung, hinter deren ZweckmaBigkeit und Gelingen man ein dickes Fragezeichen setzen mufi. Denn Schonbergs Text bezeugt zwar einen von religidsen Fragen Bewegten und Beunruhig- ten, aber die „Theologie“, die da vor uns ausgebreitet wird, ist recht wirr und wirkt irgendwie unreif. Der Worttext vollends mutet auch dem gutwilligen Horer allzu viel Schwulst und Dialektik zu. Folgender- maBen hat Schonberg das biblische Gleich- nis von der Jakobsleiter — die an den Himmel anstofit und auf der die Engel Gottes auf- und niedersteigen — inter- pretiert: Ein Berufener, ein Aufruhre- rischer, ein Auserwahlter, ein Monch und schlieBlich ein Sterbender werden von Gabriel an ihren Platz gewiesen, der anders ist, als ihre Wiinsche und Hoffnungen wahnen. In dem symphonischen Zwischenspiel werden die Wandlungen der Seelen gezeigt, die, je nach Verdienst, in immer neuen Inkarnationen erscheinen, bis am Ende Gabriel sie lehrt, die Vereinigung mit Gott im Gebet zu suchen und so Er* losung zu finden ...

Schonberg schrieb die Musik zur .Jakobsleiter" unmittelbar bevor er sich end- giiltig von der Tonalitat lossagte und mit Zwblftonreihen zu komponieren begann. Aber seine Tonsprache ist bereits im Zu- stand der Auflosung, die ganze Musik wirkt amorph und uberladen, obwohl Schonberg bald von der Idee einer Mon- sterbesetzung, die er ursprunglich vorgese- hen hatte, abgekommen ist (20 Floten, 24 Klarinetten, zwolf Horner, acht Har- fen usw., dazu ein zwolfstimmiger Doppel- chor von 720 Sangern auf dem Podium, Chore hinter der Szene, ein Fernorchester usw.). Zwar lag die Gigantomanie in der Zeit, sie ist aber doch auch charakteristisch fiir die Konzeption dieses pseudo- theologischen Werkes, dessen Intentionen zwar seinen Autor ehren, das aber im Ergebnis — sowohl im gehaltlichen wie im kiinstlerischen — hochst fragwiirdig bleibt.

Der Dirigent der Auffuhrung, Rafael Kubelik, war hier wohl vor die schwierigste Aufgabe gestellt, die ihm je iibertragen wurde. Und er, der eher naive und impulsive Musikant, hat sich mit be- wundernswurdigem FleiB und Anpassungs- vermogen in dieser komplizierten Tonwelt zurechtgefunden und gemeinsam mit alien Mitwirkenden eine Auffuhrung zustande gebracht, die alien Respekt verdient.

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Die Fiille der Werke, welche in den speziell fur die IGNM veranstalteten Konzerte aufgefuhrt wurden, gestattet nur allgemeine Charakterisierungen und ein- zelne Hinweise. Von den Zeitgenossen war Edgar Varese (geb. 1885) der alteste und Harrison Birtwistle, England (geboren 1935) der jungste. Wir horten Kammer- musik und Werke fiir ganz groBe Be- setzung, deren sich aber mehr die alteren unter den Avantgardisten bedienen. Das Umwerfendste auf diesem Gebiet war wohl das 120-Mann-Orchester Vareses mit einem aus 15 Spielern bestehenden Schlagwerkensemble in dem bereits 1927 geschriebenen 17-Minuten-Stuck „Arcana“, das aber weniger wie ein Wunderheilmittel, sondern eher wie eine Bombe oder ein Tank wirkt: Das Publikum ist zerstort, wird uberfahren und. hjaucht-Minuten, um sich von dem raffiriiert orgariisierten Larm iBiholminnrf raG.. .‘asfloj

Sehr bezeichnend sind die abstrakten Titel vieler dieser zeitgenossischen Kom- positionen, wie „Felder“, „Kalligraphie“, ..Monosonata" (die naturlich mit der guten alten Sonate nichts zu tun hat), „Stro- phen", „Sequenzen“ oder, am einfachsten, ,,Composizione“. — Hinter den generali- sierenden Titeln verbergen sich naturlich sehr verschiedene Temperamente und Po- tenzen, obwohl sich alle der modernen Techniken Weberns oder Schonbergs bedienen, die sehr subjektiv weiterentwickelt werden. Diese eignen sich, das wissen wir langst, ganz vorziiglich zur Herstellung von Tapetenmustern. Hier stehen die Na- men von Wildberger (Schweiz), Stefansson

(Island), Schaffer (Polen) und Martirano (USA) fiir viele andere, wahrend der Pole Penderecki sie in seinen „Di- mensionen der Zeit und der Stille" fur ein fesselndes, wenn auch manchmal abwegiges Klangzauberspiel und Franco D o n a t o n i (Italien) zu spannenden Entwicklungen und heftigen Blaserexplosionen benutzt. Dann gibt es da noch die Gruppe der Feinen, Differenzierten, wie an fernost- lichen Klangbildern Geschulten, etwa Ma- tyas Seiber in den „Tre pezzi per orchestra" oder Roman Haubenstock- R a m a t i in ..Sequences fur Geige und vier kleine, vor allem aus differenzier- tem Schlagwerk bestehende) Orchester- gruppen". — Winfried Zillig macht in seinen Brecht-Choren den interessanten Versuch, die neueste Technik mit kontra- punktischen Formen, besonders der des

Kanons, zu verschmelzen und kommt zu interessanten Resultaten. Zu diesen gelangt Olivier Messiaen in seiner „Chrono- chromie" (Zeitfarbe oder Farbenzeit, wie man will) leider nicht, sondern erzeugt mit einem Riesenorchester nur einen Riesen- larm, und dies — das ist der groBe Jammer — mit so poetischem Motivmaterial wie Vogelrufen aus Frankreich, Schweden, Japan und Mexiko, ferner mit den „Ge- rauschen von Wasserfallen der franzosi- schen Alpen", wie der Komponist selbst nicht ohne Pedanterie angibt.

Und dann horten wir noch, in zwei ver- schiedenen Konzerten, zwei andere Werke: eine Senate fur Klavier, Blaserquintett, Pauken und Streicher des 1909 geborenen Tschechen Vaclav D o b i a s, die recht apart beginnt, aber alsbald ins Unterhal- tungsgenre abgleitet, und das 1935 kom-

ponierte 2. Violinkonzert von Sergei Pro- k o f i e f f, ein Stuck von kaum uberbiet- barer Simplizitat und Gefalligkeit. Da er- innert man sich unwillkiirlich an zweiZeich- nungen Steinbergs. Die erste: ein Mann mit ungliicklich verkrampftem Gesicht liest Sartre. Die zweite, daneben: die Schadel- decke ist geoffnet, und eine Hand legt ..Readers Digest" hinein. Jetzt lachelt der Mann, aber ein wenig dummlich. Und dar- unter steht: „So geht’s auch nicht!"

Lob und Dank alien Ausfiihrenden — wer zahlt die Volker, nennt die Namen ... Sie haben GroBes geleistet. Fiir alle mo- gen hier wenigstens ein paar Namen stehen: der des Dirigenten Ernest Bour und der Sangerin Escribano, der RIAS-Kammer- chor, das Ensemble „die reihe" und das Breliner Radiosymphonieorchester.

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