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Beginn einer neuen Ballettra

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Nach einem Interregnum, das nach dem Tod der Ballettmeisterin Erika Hanka begann und nahezu fünf Jahre währte, hat das Wiener Staatsopernballett wieder einen „Herrn“ erhalten: Aurel M i 11 os s von M i h o 1 y, der soeben einen Dreijahresvertrag als „Ballettdirektor“ unterzeichnet und mit einem modernen Abend seine Visitenkarte abgegeben hat.

Der gebürtig Ungar, Jahrgang 1906, empfing seine bestimmenden künstlerischen Eindrücke im Ungarn und Deutschland der ersten Nachkriegszeit. Drei Komponenten wurden für seine Kunst und seinen Stil bestimmend: Die klassisch-slawische Tradition det „akademischen Tanzes“, die Begegnung mit dem deutschen Expressionismus, kristallisiert in der Gestalt Rudolf tob Labans, und der Einfluß romanischen Geistes, der mittelmeerländischen Serenität.

Sein Weg führte Milloss von Breslau und Augsburg an die Mailänder Scala und an die römische Oper, nach Düsseldorf (das er 1932 verließ) und nach Köln. Über eine Tätigkeit in Düsseldorf schreibt ein bekannter deutscher Ballett-Historiograph, daß er dort „als Ballettmeister auf einsamem Posten wie ein Prometheus sich seine Welt nach eigenem Bild zu schaffen versuchte“. Das ist für Milloss sehr charakteristisch. Seine Tänze sind -.nieht* wie twa: die von iBalanchin^ (den er sehr verehrt) ins Optische transponierte Musik, sondern belassen dem Tanz eine gewisse Autonomie, vor allem seine .►Architektur“, wie Milloss sagt.

Zwei andere charakteristische Tendenzen: Milloss gehört zu jenen Choreographen, die das Ballett aus seiner Isoliertheit herausgelöst und es dem modernen Musiktheater integriert haben. Anderseits wünscht er sich für seine Truppe eine gewisse „Treibhausatmosphäre“. Damit meint er die intensive, von der Außenwelt abgeschlossene, ungestörte Arbeit: jedes einzelnen an sich — und am gemeinsamen Werk.

Die ersten erstaunlichen — wenn, natürlicherweise noch unvollkommenen — Resultate seiner Arbeit sah man beim ersten Premierenabend Milloss' in der Staatsoper, wo drei von dem neuen Ballettdirektor choreographierte und einstudierte Werke gezeigt wurden. (Übrigens hat Milloss insgesamt 140 eigene Ballette geschaffen.)

,.E 11 r o A r g u t o“, ein etwas enigma-tischer Titel, den man etwa durch „Spiel mit Elan und Brillanz“ verdeutlichen könnte, ist ein dreiteiliges Ballett blanc nach dem III. Klavierkonzert von Prokofieff, einer rhythmisch prägnanten, harmonisch äußerst reizvollen und pikanten Musik, die auch hochromantischer Passagen nicht entbehrt. Zwölf in schwarz* Trikots gekleidete Tänzerpaare exekutieren im ersten motorischen Satz schöne, energische Bewegungen, schließen sich zu architektonischen Gruppierungen und stehen am Ende im Hintergrund aufgereiht Davor tanzen zwei Solisten (Christi Zimmer! und Ludwig Musil) als Pas de deux die Variationen des zweiten Prokofieff-Satzes. Im Schlußteil dann tritt wieder das Corps auf und demonstriert eine sehr disziplinierte „rauschhafte Auflösung“.

Das etwa halbstündige Ballett „M a r-s y a i“ schuf Milloss gemeinsam mit dem Komponisten Dallapiccola und dem Maler Toti S c i a 1 o j a. Damit ist den drei Künstlern ein Werk von bedeutender Einheitlichkeit und Faszination gelungen, das seit seiner Uraufführung bei der Biennale 1948, in Venedig, oft gegeben wurde. Die Sage von Marsyas, der in einen freventlichen und verderblichen Wettstreit mit Apoll tritt, wurde auf ihren Kern reduziert, der versöhnliche Schluß (die Metamorphose des Marsyas in einen Fluß) freilich weggelassen. — Auf violettem Hintergrund prangen zwei riesige flammende Seesterne in Grün und Rot. Marsyas erscheint in Gelb mit schwarzen Zeichnungen auf dem Kostüm, Apoll in Weiß und Purpur, dazu die phantastisch gewandeten Gruppen der Nymphen und Krieger, in der Begleitung des Apoll drei Musen. Für die beiden Hauptrollen, den tierhaft-anarchischen Marsyas mit seiner unheiligen Flöte und den streng-kühlen, unbarmherzigen Apoll mit seiner alles bezwingenden Leier hat Milloss eine sehr gute Wahl getroffen: Willy Dirtl und Paul Vondrak waren die beiden Protagonisten, von denen viel verlangt wurde und die ihr Bestes gegeben haben.

Das letzt Stück, „Tersztli Kalle!“, eine Tanzkomödie nach einem ungarischen Volksmärchen nach Musik von Sandor V e r e s s und von Istvan P e-k a r y freundlich-bunt und kindlich-naiv etwa im Stil der Grandma Moses ausgestattet, ist eines jener anspruchslosen Divertimenti, mit denen man einen Ballettabend zu beschließen pflegt: sehr raffiniert erdacht und skrupulös ausgeführt, aber mit einem Humor, der nicht recht „ankam“. Das lag, zum Teil wenigstens, auch an der viel zu komplizierten, mosaikartigen Partitur von Veres, die den Tänzern nicht das gab, was sie vor allem bei einem solchen Stück brauchen: längere Ostinati und jenen sonoren Auftrieb, der eine Gruppe erst beschwingt.

Das gut vorbereitete Orchester der Wiener Philharmoniker wurde von Hugo K ä c h und Ernst Märzendorfer geleitet. Solist des Klavierkonzerts von Prokofieff war Ivan E r ö d.

An diesem Abend sah man vor allem eines: daß Milloss ein Mann ist. der weiß, was er will, und der nichts Beiläufiges duldet.. Er wird, so scheint uns, ein strenger Herr sein. Aber ist dies nicht gerade das, was wir unserem Ballett in seinem eigenen Interesse wünschen müssen?

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