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Das New York City Ballet

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Durch das Gastspiel des berühmten, von George Balanchine geleiteten New fYork City Ballet empfingen die heurigen Salzburger Festspiele nicht nur Glanz und internationales Gepräge, sondern auch, in ihrer letzten Woche, einen künstlerischen Höhepunkt. In drei Veranstaltungen mit zwei verschiedenen Programmen zeigte das Ensemble insgesamt acht Ballette. Daß sich unter diesen nur zwei bzw. drei Tanzschöpfungen befanden, die den Ruf der Balanchine-Truppe als der derzeit „modernsten“ und die abstrakteste Richtung pflegenden rechtfertigten, ist — Salzburger on dits zufolge — darauf zurückzuführen, daß von Seiten der Festspielleitung der Wunsch geäußert wurde, hier nur konservativere, allgemein verständliche Tanzdarbietungen vorzuführen, weil das sich in Salzburg treffende Publikum angeblich nicht schockiert werden will. Hierüber wäre, wenn ein solcher Wunsch tatsächlich geäußert worden ist, mancherlei zu sagen. Tatsache ist jedenfalls, daß der erste Abend dieses großartigen, virtuosen und interessanten Ensembles ein wenig enttäuschte.

Zwar kamen in dem Divertimento von Mozart, im Pas.de deux aus „Sylvia“ von D e 1 i b e s und in der aus drei verschiedenen Werken Chabriers zusammengestellten „B o u r e e p h a n t a s t i q u e“ die technischen Qualitäten des Ensembles und einzelner Tänzer (Maria Tallchief und Andre Eglewsky, Tanaquil Le Clercq und Todd Bolender, Patricia Wilde und Jacques d'Amboise) ebenso glänzend zur Geltung wie die Virtuosität Balanchines in der Gruppenbewegung. Aber was man gerade von diesem Ensemble erwartete, wurde eigentlich nur in Benjamin Brittens „Fantare“ ganz erfüllt. Diese Variationen über ein Thema von Purcell wurden ursprünglich für einen Lehrfilm geschrieben, in dem nacheinander die einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen vorgeführt werden, die sich am Schluß in einer prunkvollen Fuge vereinigen. Jerome Robbins, der Choreograph dieses originellen Balletts, hat den einzelnen Instrumenten symbolisch einleuchtende Bewegungen und Farben zugeordnet: verschiedene Schattierungen von Blau für die Holzbläser; Gelb für das Blech; Rosa, Rot und Purpur für die Streicher; Weiß für die Harfe und Schwarz für das Schlagwerk. Höhepunkt des ersten Abends war die Schlußfuge, in der die raschen Figuren der Streicher und der majestätische Choral der Blechbläser, in zwei voneinander getrennten Gruppen, großartig und eindrucksvoll in Bewegung transponiert waren (Bühnenbild und Kostüme: Irene Shareff).

Das Programm des zweiten Abends hieß: „Schwanensee“ von Tschaikowsky, „Der Käfig“ nch dem Konzert für Streicher in D von Strawin-sky, „L'apres-midi d'un faune“ von Debussy und „Western Symphony“ von Hershy Kay. — Das 1877 uraufgeführte Schwanensee-Ballett, von dem der 1. Akt mit der Choreographie Balanchines gezeigt wurde, ist übrigens das einzige Stück, das sich, gewissermaßen die Ahnentafel symbolisierend, als Relikt aus der großen Zeit des klassisch-romantischen Balletts im Repertoire des New York City Ballets findet. Hier gab es Momente zauberhafter Poesie, großartige und überraschende Ensemblegruppierungen und einige Soli (Marie Tallchief, Andre Eglewsky) sowie einen Pas de quatre, die, in ihrer unwahrscheinlichen Synthese von Anmut und sensibler Erregtheit, unverkennbar die Klaue des Löwen zeigten. Die den Abend beschließende Western Symphony ist nicht viel mehr als ein unterhaltsames und virtuoses Divertimento, offensichtlich dem Geschmack eines amerikanischen Massenpublikums (zu einer recht knalligen, folkloristischen Musik) huldigend. — Die beiden heikelsten und schwierigsten Ballette waren auch zugleich die künstlerisch bedeutendsten und signifikantesten. — In einen Ballettsaal, einen lichtdurchfluteten Trainingsraum in Weiß und Blau, wurde Debussys raffiniertes Naturgedicht vom „Nachmittag eines Fauns“ transponiert. Nach der Choreographie von Jerome Robbins tanzten hier Tanaquil Le Clercq — blond, schmal und ein wenig morbid — mit Francisco Moncion — einem sehr aparten, schlanken und dunkelhäutigen jungen Tänzer — nicht etwa eine Liebesszene, sondern eine Elegie des Narzismus: sehr verhalten, hochstiliert und darum um so eindrucksvoller. — „Der K ä f i g“, ebenfalls nach einer Choreographie von Jerome Robbins, symbolisiert einen urzeitlichen Ritus, der sich heute nur noch in der Natur, bei gewissen Insekten findet. Melissa Hayden, Yvonne Mounsey und Nicholas Magallanes mit einer Zwölfergruppe waren die faszinierenden Darsteller dieses unheimlichen Spieles, das wie ein Angsttraum wirkte. — Aber das angeblich so empfindliche Festspielpubli-kum hat die Originalität und den Rang gerade dieser Darbietungen genau erkannt und würdigte sie durch einen Beifall, gegen den der des ersten Abends mit den braveren und konventionelleren Balletten um so flauer wirkte.

Da das New York City Ballet unmittelbar nach Abschluß der Salzburger Festspiele an mehreren Abenden in der Wiener Staatsoper gastiert, sei sein Leiter kurz vorgestellt. Georg Melitono-witsch Balanchinadse, der seine Ausbildung noch im Kaiserlich Russischen Ballett empfing, kam 1925 aus der Sowjetunion über Berlin nach Paris. Hier wurde er von Serge Diaghilew engagiert und gründete nach dessen Tod (1929) die Ballets Russes de Monte Carlo. 1933 ging Balanchine (wie er sich in Frankreich nannte) nach New York, wo eben Lincoln Kirstein die „American Ballet School“ ins Leben gerufen hatte. Aus dieser Schulgruppe entstand das „Ballet Caravane“, das 1946 in die Ballet Society umgewandelt wurde, und aus dieser wurde das heutige New York City Ballet. Romola Nijinska, die Witwe des berühmten Tänzers, schreibt, daß sie vom ersten Augenblick an, da sie (1933) Balanchine kennenlernte, in diesem nicht nur einen phantasiereichen Choreographen, sondern auch einen hochmusikalischen Künstler kennenlernte, der mit unwahrscheinlicher Präzision Musik in Bewegung zu transponieren imstande war. Eine neue Höhe der Ballettkunst,so meint Romola Nijinska, wird immer dann erklommen, wenn sich die Choreographen von der Tradition der Vergangenheit inspirieren lassen und ihre Kunst mit den charakteristischen Eigenschaften ihrer eigenen Epoche bereichern. Die Tradition — das war die klassische russische Ballettkunst, die Balanchine mit dem Neuen, dem „abstrakten“, in Amerika erarbeiteten Stil, verband.

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