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Alles trug die Marke „super“

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Von der „größten Zusammenarbeit in der Geschichte des Balletts“ sprach man 1939, als in New York das American Ballet Theatre gegründet wurde. Und daran hat sich bis heute nichts geändert: Das Gastspiel der wohl faszinierendsten Truppe der westlichen Welt im Theater an der Wien führte ein Ensemble der Superlative vor. Ob man von den Stars spricht - Weltstars wie Michael Barischnikow, Natalia Maka- rowa, Cynthia Gregory, Martine van Hamei zählen dazu -, oder ob man dieses fulminante Ensemble als ganzes, als unglaublich einheitlichen Kompaniekörper meint; ob man von den Choreographen spricht (Antony Tudor, Gien Tetley, Twyla Tharp und ein paar klassische Meister waren vertreten) oder von der Riesenliste des Repertoires …

Das American Ballet Theatre hat vor allem eines auch noch den großen russischen Kompanien voraus: Es ist nicht nur im klassischen Ballett hervorragend, sondern obendrein in allen Spielarten modernen Tanzes auf der Höhe. Gerade die Zusammenarbeit mit jungen Choreographen hat dieser Truppe den unvergleichlichen Schliff gegeben. Ob sie ein so poetisch versponnenes psychologisches Ballett wie Tudors „Leaves are Fading“, eine hysterisch keuchende Clownerie wie Twyla Tharps parodistische Tanzkomödie „Push Comes to Shove“ oder Adolphe Adams „Giselle“ (übrigens in der kompletten Fassung) tanzen, immer besticht die perfekte Harmonie, stimmen die Proportionen, herrscht strengste stilistische Einheitlichkeit. Eine Truppe, die hier wie dort gleich sicher ist, weil diese athletischen jungen Tänzer und schwerelosen jungen Tänzerinnen sich überall mit höchster Grazie bewegen. Und weil man merkt, daß da nur eines regiert: Arbeit und der Wille, Weltklasse zu sein. (Und daß da keifiė gewerkschaftlichen’ Bestimmungen diese Tänzer hindern, das Letzte an Kraft und Einsatz zu geben.)

Und doch, wenn man vom American Ballet spricht, muß man zuerst wohl an zwei Tänzer denken, die natürlich ganz und gar Kinder der Leningrader Ballettszene sind, sich aber in den USA jenen letzten Schliff angeeignet haben, der sie auch im Modernen zu unerreichbaren Größen macht: Michail Barischnikow und Natalia Maka- rowa.

Was sie an tänzerischer Perfektion, an Sicherheit der Sprungkultur, an differenziertem Ausdruck zu geben vermögen, zeigt sich wohl am deutlichsten im Pas de deux wie etwa aus

„Giselle“. Diese Abstimmung der Sprünge, dieses weite Hinausreichen in den Raum, dieses Edelmaß großer schöner Bewegungen, aber auch dieses schwerelose Aufsetzen nach fulminanten Sprüngen machen ihnen kaum andere nach. Mit einer Ausnahme vielleicht: die junge Gelsey Kirkland vom American Ballet ist vom gleichen Kaliber. Und wenn sie etwa im „Don-Quijote“-Pas de deux mit Barischnikow durch die Luft wirbelt, wenn sie ihre kühle Koketterie spielen läßt, so fällt es einem schon schwer zu wählen - zwischen der schwerelosen Grazie der unendlich hoheitsvollen Makarowa und der wirbeligen, federnden Eleganz der Kirkland.

Für Barischnikow sind aber beide sozusagen die Herausforderung zu immer noch rasanteren Pirouetten, noch gewagteren Sprüngen, noch dy: namischerer Gestaltung seiner Partien. Daß dem Publikum manchmal vor Staunen der Mund offen bleibt.

Die Überraschung war allerdings Baroschnikow in Twyla Tharps Slapstick-Komödie „Push Comes to Shove“: als Zwanziger-Jahre-Dandy, in schimmerndem Chenillesamt. Mit schwarzer Melone. Ein Clown, der seine Gliedmaßen bis zum Unglaublichen verrenken kann. Eine Parodie zu Lambs „Bohemian Rag 1919“ und Haydn-Musik. Die Truppe macht daraus ein Furioso aus einem Guß. Frech. Witzig. Knisternd. Die klassischen Tanzfiguren werden nach allen Regeln der Parodie zerzaust, Drehungen verrückt, Sprünge verdreht, daß man über soviel Groteske herzlich lachen muß. Und gerade da zeigt sich das Amerikanische Ballett unvergleichlich. Das ist eine Farbe im Tanz, die bei uns völlig fehlt. Sie bedeutet, daß eine Gruppe das Äußerste an tänzerischer Disziplin zu bieten hat.

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