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Avantgarde-Filme mit Musik

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Nur die Älteren unter uns können •ich noch an den Klavierspieler vor der Leinwand erinnern. In größeren Kinos war es eine Salonkapelle, die in den ersten Filmpalästen zu einem vollen Symphonieorchester erweitert wurde. Aus jener Frühzeit stammen drei avantgardistische Filme sowie die Partituren dreier Komponisten, die ebenfalls in der vordersten Reihe standen. Sie haben einen bestimmten „Stellenwert“ und einen fast schon legendären Ruf. Jeder Filmfreund, jeder Musik- und Kulturhistoriker hat von ihnen gelesen. Gesehen und gehört haben sie die wenigsten. Durch das Zusammenwirken mehrerer Institutionen wurde uns die Möglichkeit geboten, diese Kuriosa — denn um solche handelt es sich in erster Linie — kennenzulernen (Veranstalter des hochinteressanten Abends war die Wiener Konzerthausgesellschaft in Zusammen-

Erik Satie, gezeichnet von seinem Freund Jean Cocteau arbeit mit dem Museum des 20. Jahrhunderts und der Cinemateque Fran-(aise; Ausführende: Mitglieder des Ensembles „die reihe“ unter der Leitung von Friedrich Cerha).

Erik Satie, einer der geistigen Väter der „Gruppe der Six“, tat sich 1924 mit dem in Paris lebenden spanischen Maler und Dichter Francis Picabia zusammen, um unter dem Titel „RelAche“ ein avantgardistisches Ballett zu machen. „Re-läche“ würde sicher ein großer Erfolg, denn während der Sommermonate würde auf allen Litfaßsäulen und Plakatwänden dafür Reklame gemacht werden (,,re-läche“ bedeutet so viel :wie „gesChlos' sen“). Das Ballett wurde trotzdem kein Sukzeß, obwohl es von Rolf de Mate und seiner berühmten Truppe, den „Balleis Suedois“, kreiert wurde. Aber der Zwischenaktfilm, den Rene Clair dafür schrieb, ist gut gelungen — und hat sich glücklicherweise auch erhalten. Im Prolog erscheinen Satie und Picabia persönlich, um eine widerspenstige Kanone abzufeuern. Der Film besteht aus einer Aneinanderreihung von teils gegenständlichen, teils abstrakten Einzelmotiven und mündet in eine Folge grotesker Szenen. Saties spielerische und knappe, mit vielen Wiederholungszeichen ausgestattete Musik ermöglichte eine gewisse Synchronisation mit den gezeigten Bildern.

Von ganz anderer Art — weniger artistisch, aber ebenfalls nicht ohne Ironie — ist das gemeinsame Werk von Milhaud und Cavalcanti. Der Kurzfilm von Cavalcanti mit dem Titel „La petite Lilie“ illustriert das gleichnamige und vielstrophige französische Chanson von der kleinen Lilly, die trotz ihres engelhaften Aussehens auf die schiefe Bahn

gerät und ein gewaltsames Ende findet. Milhaud hat in seiner bekannten Technik die Melodie paraphrasiert und Instrumentiert. Einzelne Textzeilen, zuweilen auch Noten in der Handschrift Milhauds, sind in den Streifen eingeblendet und schaffen jene parodistische Verfremdung, auf die es den beiden Autoren wohl in erster Linie ankam.

In der Mitte der zwanziger Jahre beendete der Amerikaner George Antheil, das Enfant terrible der neuen Musik, in Paris sein „Ballet mecanique“, dem die auf der gleichen Linie liegenden Klavierwerke „Airplan sonata“, „Sonate sauvage“, „Mechanism“ und „Tod der Maschinen“ vorausgegangen waren. Der Titel, nüchtern und symbolisch in einem, meint keineswegs die Darstellung der Fabriken- und Maschinenwelt. „Meine Absicht war es“, schreibt Antheil in seiner amüsanten Autobiographie, „dem Zeitalter, in dem ich lebte, sowohl die Schönheit wie auch die Gefahr seiner unbewußt mechanistischen Philosophie und Ästhetik klarzumachen. Wie ich es betrachte, war mein ,Mechanisches Ballett' stromlinienförmig, glitzernd, kalt und häufig ebenso von musikalischem Schweigen erfüllt wie der interplanetare Raum und ebenso häufig heiß wie ein elektrischer Glühofen.“ Von diesem „Schweigen“ ist allerdings in dem für acht Klaviere, Xylophone, einen großen Schlagwerkapparat, Flugzeugmotore und elektrische Klingeln geschriebenen Partitur nicht viel zu bemerken. Trotz des brutalen Lärms, den der Komponist besonders zu schätzen scheint, ist das aus Klangflächen und -blocken zusammengesetzte, mit progressiven Metren arbeitende und von ganz bestimmten Vorstellungen inspirierte Werk durchaus ernst zu nehmen. Auch scheint es mehrere zeitgenössische Manieren und Werke (von Bartöks „Musik für Saiteninstrumente“ bis zu den gröbsten Orffis-men) angeregt zu haben. — 1924 war die Partitur beendet, und Antheil suchte einen Film dazu. Ezra Pound gewann den jungen amerikanischen Kameramann Dudley Murphy zur Mitarbeit, und dieser wünschte die Teilnahme Fernand Legers an dem Unternehmen. Wie groß der Anteil des einen und des anderen an dem Film ist, kann man nur ungefähr abschätzen. Am Anfang tauchen zahlreiche wohlbekannte und typische Leger-Motive auf, später werden sie von einer Bilderflucht teils malerischer, teils gegenständlicher Motive abgelöst. — Schon bei der Uraufführung im Jahr 1926 in Paris, die großes Aufsehen 'machte;-zMgte- es sich, daß die Bildfolge mit der Musik nicht genau zu synchronisieren war. Deshalb hat man in der Folgezeit ganz darauf verzichtet: Film und Musik laufen nebeneinander her. Das Ganze, als Gesamtkunstwerk, ist nicht gerade . bedeutend, aber sehr typisch: Avantgarde der zwanziger Jahre.

Auch Arnold Schönberg — was Gebrauchsmusik betrifft, äußerst zurückhaltend — ließ sich durch das neue Medium, den Stummfilm, zu einer Komposition anregen. 1930 schrieb er, streng zwölftönig zwar, aber mit lockerer Hand illustrierend, die „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“, die es freilich noch nicht gab — zu der man vielleicht aber einen Kurzfilm drehen könnte. Mit den von der Musik geschilderten Grundsituationen — drohende Gefahr, Angst und Katastrophe — befinden wir uns in einer Sphäre, in die viele Werke Schönbergs getaucht sind. Künstlerisch war das Neunminutenstück wohl das bedeutendste dieses interessanten Film-Musik-Abends.

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